Grünen-Politikerin Jamila Schäfer: "Aufwand der Kommunen wird sinken, wenn aus Asylbewerbern Steuerzahler werden"
Der Fachkräftemangel hat Deutschland fest im Griff. Auch im Freistaat Bayern bleiben zehntausende Arbeits- und Ausbildungsplätze unbesetzt. Die Bundesregierung will nun mit einem Fachkräfteeinwanderungsgesetz für Abhilfe schaffen. Dieses soll es ausländischen Arbeitskräften vereinfachen, in Deutschland Fuß zu fassen.
Zu den Befürwortern des Gesetzes gehört Jamila Schäfer (Grüne). Die 30-jährige Münchnerin ist seit 2021 Abgeordnete im Bundestag. Sie wünscht sich, dass aus Deutschland ein attraktiveres Einwanderungsland wird. Die Strategie der Unionsparteien, bei Asylbewerbern eher auf Abschreckung zu setzen, findet Schäfer "wirtschaftsfeindlich".
Familiennachzug für Einwanderer? "Das ist gut", findet Jamila Schäfer
AZ: Frau Schäfer, am Freitag soll das Fachkräfteeinwanderungsgesetz im Bundestag verabschiedet werden. Was sind die wichtigsten Neuerungen?
JAMILA SCHÄFER: Wir haben im parlamentarischen Verfahren noch den Spurwechsel erreicht. Das heißt, dass Geflüchtete, die im Asylverfahren sind und die Voraussetzungen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes erfüllen, einen Aufenthaltstitel bekommen können. Neu ist auch, dass bei eingewanderten Fachkräften ein Familiennachzug möglich ist.
Das ist gut, weil Menschen, die zum Beispiel Verantwortung für zu pflegende Angehörige übernehmen wollten, unser Land vorher wieder verlassen mussten. Wir ermöglichen jetzt, dass die Eltern von Fachkräften nachziehen dürfen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Zweck-Wechsel.

Was bedeutet das genau: Zweck-Wechsel?
Bisher sah das deutsche Aufenthaltsgesetz vor, dass Visa zu einem bestimmten Zweck ausgestellt wurden. Hatte man ein Touristen-Visum und bekam einen Arbeitsplatz in Deutschland angeboten, musste man kurioserweise wieder ausreisen, im Herkunftsland ein monatelanges Visumverfahren über sich ergehen lassen, bis man dann mit einem Arbeitsvisum wieder einreisen durfte.
Jetzt kann man den Zweck des Visums einfach wechseln. Und was noch neu ist: Das notwendige Bruttogehalt, um einwandern zu dürfen, wird von 3.795 auf 3.500 Euro gesenkt. Das klingt nicht viel, ist aber für ein Unternehmen aufs Jahr gerechnet über 5.000 Euro.
Jamila Schäfer: "Betriebe und Unternehmen wollen Auszubildende, die bislang nur geduldet sind, behalten"
Aus der Union kommt der Vorwurf, der Spurwechsel würde Asylbewerber erst recht dazu ermutigen, nach Deutschland zu kommen. Die Rede ist von einem möglichen "Pull-Effekt".
Wir müssen endlich ein attraktiveres Einwanderungsland werden, das im globalen Wettbewerb um Fach- und Arbeitskräfte mithalten kann. Dafür muss man endlich aus dieser Denke raus, die Leute abschrecken zu müssen. Das ist wirtschaftsfeindlich. Wenn ich mit Menschen aus Handwerksbetrieben oder Unternehmen spreche, höre ich immer wieder, dass sie Auszubildende, die bislang nur geduldet sind, behalten wollen.
Das wird durch den Spurwechsel möglich. Das betrifft die Leute, die vor dem 29. März 2023 eingereist sind. Wer in Zukunft mit Aussicht auf einen Arbeitsplatz zu uns kommen will, kann das über die Fachkräfteeinwanderung. So schaffen wir geordnete Verfahren und Rechtssicherheit für Arbeitgeber und Betroffene.
Wie hoch ist der Bedarf an Fachkräften in Bayern aktuell?
Laut Ifo-Institut waren im letzten Sommer 162.660 offene Arbeitsstellen gemeldet, Tendenz stetig steigend. Viele Unternehmen haben bereits einen existenzbedrohenden Fachkräftemangel angemeldet: in der Gastronomie zum Beispiel, in der Pflege, bei der Kinderbetreuung oder im Baugewerbe. Der Markt ist einfach leer gefegt.
Laut Ifo-Institut hat sich die Zahl der nicht besetzten Ausbildungsstellen in den letzten Jahren von 8,5 auf 18,2 Prozent mehr als verdoppelt. Das sind schon krasse Zahlen. Deshalb wird Bayern – auch vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung – enorm von diesem Gesetz profitieren.
Grünen-Politikerin: "Der Aufwand der Kommunen wird sinken, wenn aus Asylbewerbern Steuerzahlerinnen werden"
Aktuell klagen viele Kommunen, sie seien mit der Unterbringung und Versorgung der vielen Geflüchteten überfordert. Würden sie auch profitieren?
Natürlich. Der finanzielle und der personelle Verwaltungsaufwand der Kommunen wird sinken, wenn aus Asylbewerbern Steuerzahlerinnen werden. Und dadurch, dass wir Arbeitsverbote beenden, haben wir viel schlankere Verfahren.
Das haben wir schon beim Rechtskreis-Wechsel bei den Menschen aus der Ukraine gesehen: Dass sie nicht übers Asylbewerberleistungsgesetz versorgt werden und wir schnell die Arbeitsverbote abgebaut haben, hat Entlastung gebracht.
Laut IHK werden 2035 rund 1,3 Millionen Stellen im Freistaat unbesetzt sein. Reicht das Einwanderungsgesetz aus, um diese Lücke zu schließen?
Es wird vieles verbessern, kann aber natürlich nicht alle Probleme lösen. Wir brauchen noch weitere Schritte: mehr Investitionen in Qualifizierung, damit sich Menschen auch umqualifizieren können für Jobs, die vielleicht gefragter sind als das, was sie einmal gelernt haben. Da sind wir als Koalition dran. Zirkuläre Migration ist ein weiterer wichtiger Punkt: dass man mehr Ausbildungs-Partnerschaften ermöglicht und Menschen für eine bestimmte Zeit bei uns arbeiten können.
Außerdem müssen wir die Kommunen unterstützen – beim Thema Kinderbetreuung, beim Thema Integration. Wenn wir das gut aufgegleist kriegen, hilft es auch gegen den Fachkräftemangel, weil zum Beispiel wieder mehr Frauen in die Erwerbsarbeit gehen können. Es gibt viele Stellschrauben und Baustellen, die wir im Blick haben müssen.