Wohnungslose Frauen in München: In diesem Keller finden sie eine Zuflucht

Lehel - Für Obdachlose stellt sich am 24. Dezember wohl weniger die Frage nach der Beilage zur Weihnachtsgans. Stattdessen wohl eher die gleiche Frage wie an jeden anderen Wintertag: Wo muss ich am wenigsten frieren? Neben beispielsweise dem Kältebus gibt es weitere Angebote, die Menschen ohne Zuhause eine Zuflucht bieten.
Eines dieser Angebote findet sich im Lehel in St. Lukas. Dort gibt es bereits seit 1993 die "Unterkunft für wohnungslose Frauen". Bis zu elf Frauen können dort einkehren und die Nacht verbringen. In dem Schutzraum bekommen sie eine warme Mahlzeit, ein Bett und einen Ort zum Ratschen. Ehrenamtliche Helfer – so genannte Gastgeber – bleiben über Nacht bei den Frauen, kochen, und stehen bei Sorgen bei.
Eine davon ist Gabriele Krack. Seit etwa 15 Jahren ist sie dabei. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Christine Hartmann leitet sie das Angebot von St. Lukas. Finanziert wird das Angebot durch Spenden. Mit der Bahnhofsmission wird eng zusammengearbeitet.
AZ: Frau Krack, welche Geschichten haben die Frauen, die zu Ihnen kommen?
GABRIELE KRACK: Die Frauen sind geprägt von schweren Schicksalsschlägen, finden sich in unserer oft so verständnislosen Gesellschaft nur noch schwer zurecht. Zuerst der Verlust der Arbeit, dann der Wohnung ... damit geht die Spirale schnell nach unten. Manchmal erzählen die Frauen, was sie zu uns führt, oft auch nicht. Manchmal wollen sie nur essen und legen sich direkt ins Bett, einfach nur, um ihre Ruhe zu haben. Das können sie in unserem Schutzraum, der auch beispielsweise für Männer – außer die Gastgeber – tabu ist. Sie müssen sich vorstellen, draußen sind unsere Frauen selten alleine, immer im öffentlichen Raum. Manche Frauen tragen noch die Last einer Erkrankung, zeigen manchmal Auffälligkeiten.
Zuflucht für obdachlose Frauen in München: "Es gibt auch mal Streit – oft um Kleinigkeiten"
Das stellt Sie sicher häufig vor Herausforderungen...
Bei elf Damen mit unterschiedlicher Herkunft und Schicksalen, kann man sich gut vorstellen, dass es auch mal Unstimmigkeiten, Streit – oft um Kleinigkeiten – gibt. Wir Gastgeber versuchen dazu beizutragen, dass ein Kompromiss ausgehandelt wird. Selten endet ein Streit mit dem Weggang einer Dame.
Bekommen die Gastgeber auch Schulungen im Umgang mit solchen Situationen?
Wir gehen davon aus, dass eine gesunde Lebenserfahrung und Menschenkenntnis ausreichen, in einem Streit hilfreich unterstützen zu können. Dennoch gibt es sich zuspitzende und wiederkehrende Probleme, sodass wir eine Supervision brauchen.
Weihnachten in der Obdachlosenhilfe St. Lukas: "Wir haben sogar eine Krippe"
Weihnachten steht an. Was unterscheidet diese Zeit zur restlichen Saison?
Die Weihnachtsfeiertage haben wir auch tagsüber geöffnet. Der Gastgeber wird mit viel Mühe am Heiligen Abend den Damen ein besonderes Weihnachtsessen kochen. Es wird Geschenke, zum Beispiel vom Verein "Frauen für Frauen", geben und einen Christbaum. Wir haben sogar eine Krippe. Je nach Laune wird gesungen, erzählt, werden Plätzchen gegessen und vielleicht für kurze Zeit die eigene Not vergessen. An den Feiertagen dürfen die Frauen ausschlafen, weil bis 15 Uhr geöffnet ist.
Ist die Stimmung eine andere? Spielt in dieser Zeit Einsamkeit eine größere Rolle?
Man spürt, wie froh die Frauen sind, dass sie Weihnachten bei uns im Keller feiern können und nicht alleine sein müssen. Auch an diesen Tagen hat Schweigen, Lachen, Erzählen oder Nachdenklichkeit ohne großes Nachfragen Platz. Ich habe noch nicht erlebt, dass die Frauen speziell an Weihnachten die große Krise kriegen. Diese Frauen haben alle schon zu viel erlebt.
Sie sind selber oft vor Ort. Würden Sie ein Ereignis mit der AZ teilen, welches Sie besonders berührt hat?
Oft werde ich nach Geschichten von Frauen gefragt, die es geschafft haben. Das kommt leider relativ selten vor. Bei einer Frau aber konnte ich das direkt mitverfolgen. Das ging über eine ganze Saison. Sie ging regelmäßig in die Teestube "Komm". Dort hatte sie Kontakt zu einer Streetworkerin. Die beiden hatten wohl einen guten Draht zu einander. Denn so bekam sie eine Wohnung und sie hat den Sprung geschafft. Daran denke ich sehr gerne. Viele Frauen kommen schon jahrelang jede Saison zu uns. Nicht alle haben dieses Glück. Ich frage mich: Warum gelingt das so selten?
"Der säuft ja eh bloß, hört man oft"
Was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern, damit solche Geschichten öfter gut ausgehen, wenn jemand obdachlos wird?
Ich finde es erschreckend, wie schnell man obdachlos werden kann; Verlust der Arbeit, Mietrückstände... Der Weg über Wohnungsamt und Pensionszimmer ist für viele, die angeschlagen sind, schwierig. Das schaffen viele nicht. Sie müssten vorübergehend in eine Notunterkunft oder Pensionszimmer. Das ist vielen Wohnungslosen zu viel. Dann lieber die Straße. Da bräuchte es Ansprechpartner, die über die Hürden begleiten.
Die Vorurteile gegenüber Obdachlosen sind mannigfaltig. Niemand müsse auf der Straße schlafen oder sie wollten nur nicht arbeiten. Wie kann man dem entgegenwirken?
Ganz wichtig: Nicht jeder Obdachlose, der in der Ecke hockt, hat ein Alkohol- oder Drogenproblem. "Der säuft ja eh bloß", hört man oft. Ohne das man sich mit den Menschen beschäftigt, sollte man mit solchen oder ähnlichen Äußerungen sehr vorsichtig sein. Ich finde es arrogant, wenn wir sagen: Schau her, der ist doch nur betrunken. Ich habe von Obdachlosen gehört, die unter einer Brücke schlafen, tagsüber Hilfsarbeitertätigkeiten verrichten und am Ende des Monats ihr gesamtes Geld nach Hause, oft Osteuropa schicken. Viele unsere Frauen halten eine Fassade aufrecht, man sieht vielen nicht an, dass sie wohnungslos sind.
Kann es helfen, statt Geld eine Semmel oder einen Tee anzubieten?
Damit habe ich auch schon eine schlechte Erfahrung gemacht. Eine Banane oder einen Apfel habe ich verschenkt und gesehen, wie das Obst direkt im Müll landete. Das kann passieren. Aber davon sollte man sich nicht entmutigen lassen.
Ganz ohne Geld geht es dann doch nicht. Auch nicht bei Ihnen im Keller. Woher beziehen Sie das Geld für das Angebot?
Der Arbeitskreis Armut besteht aus dem Keller-Angebot und dem Brunch für Bedürftige jeden ersten Sonntag im Monat. In der Kirche gibt es immer wieder Aufrufe zur Spende. In der Gemeinde sind wir bekannt. So können wir unsere Lebensmittel bezahlen.
Auch ohne Ehrenamtliche geht es nicht. Haben sie genügend Helfer?
Zu Beginn der Saison hatten wir deutlich weniger Gastgeber. An zwei Tagen konnten wir dieses Jahr nicht öffnen, weil wir nicht genügend Leute hatten. Inzwischen hat sich die Lage entspannt. Wir kommen gut über die Saison. Aber jedes Jahr ist es ein Balance-Akt. Gerade bei den Studenten, die bei uns arbeiten, beobachten wir, dass sie einige Zeit als Gastgeber zur Verfügung stehen, aber dann irgendwann weiterziehen. Das müssen wir jedes Jahr auffüllen. Das Problem ist oft: Gastgeber ist immer nur einer. Nicht jeder kann oder will die ganze Nacht dort bleiben. Aber wir haben ebenso Helfer, die zwar nicht mit übernachten, dafür aber kochen. Das ist auch ein sehr wertvoller Beitrag!
Weitere Informationen und Spendenmöglichkeit unter www.sanktlukas.de
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