Prekäre Lage für Kräfte aus Osteuropa: Sie arbeiten hart, eine Bleibe in München können sie sich trotzdem nicht leisten
Ludwigsvorstadt - Piotr Kurkowski ist ein großer Mann. 1,90 sagt er und streckt den Rücken durch. Zehn Jahre lebt er in Deutschland. Seine wachen eisblauen Augen fallen von weitem auf. Er trägt ein blaumelliertes Longsleeve und eine ordentliche schwarze Jacke. Wer ihn trifft, ahnt nicht, dass er kein eigenes Zuhause hat. Würde es den Übernachtungsschutz der Diakonie nicht geben, müsste er auf der Straße schlafen. Jeden Abend macht er sich auf den Weg nach Freimann, zur Bayernkaserne.
Mit der U2 hoch zum Frankfurter Ring, von da mit dem Bus in ein zweckmäßiges Industriegebiet. In einem abgenutzten Gebäude der Bayernkaserne schläft er mit zwei anderen Männern aus Polen und zwei Rumänen im Mehrbett-Zimmer. "Der Securitymann sagt immer, alles top in Ordnung, wenn er nach unserem Zimmer sieht", sagt Kurkowski. Er streckt den rechten Daumen nach oben. Er sieht stolz aus, als er das sagt.

Jeden Abend kommen etwa 450 Wohnungslose ins Schiller 25. Rumänen und Bulgaren sind die größte Gruppe der Besucher. Es kommen aber auch Italiener, Polen, Tschechen und Menschen aus afrikanischen Staaten, die in einem anderen EU-Land registriert sind, dort aber keine Arbeit finden. Etwa ein Drittel sind deutsche Wohnungslose, die keinen Platz in einer Unterkunft finden.
"Es gibt keine Zugangsbeschränkung": Darum ist das Schiller 25 in München einzigartig
Das Angebot wurde mit der EU-Osterweiterung für Arbeitsmigranten eingerichtet. Sie arbeiten hart, aber die Miete für eine eigene Bleibe können sie sich trotzdem nicht leisten. Sie sind auf Baustellen, bei Reinigungsfirmen, in Großküchen oder in der Lebensmittelproduktion im Einsatz. "Bei uns wird jeder aufgenommen, es gibt keine Zugangsbeschränkung", sagt Andreea Garlonta, eine der beiden Einrichtungsleitungen.
Damit sei das Schiller 25 einzigartig, sagt die 44-Jährige. Etwa die Hälfte der Besucher ginge einer Arbeit nach. Die anderen seien zum Arbeiten gekommen, aber könnten wegen körperlicher Beschwerden, psychischer Krankheit oder Sucht nicht. Sozialhilfe ist für sie nicht vorgesehen. Sie stehen dann ohne alles da.

Angefangen hat das Projekt des evangelischen Hilfswerks von der Diakonie mit einer Migrationsberatung. Weil mit der EU-Osterweiterung 2007 und der zugehörigen Arbeitserlaubnis in EU-Staaten 2014 immer mehr Arbeiter versuchten, in Deutschland Geld zu verdienen. Der Übernachtungsschutz war zuerst nur in kalten Monaten, mit Temperaturen unter null Grad, geöffnet. Heute an 365 Tagen im Jahr.
Im Oktober feierte das Schiller 25 zehnjähriges Jubiläum. Zehn Jahre, in denen das Projekt immer größer wurde; und von vier Mitarbeitern auf 23 angewachsen ist.

Es ist auch Andreea Garlontas persönliches Jubiläum. Sie war von Tag eins an dabei. "Wir haben hier alles gesehen. Da sind höchst spannende Biografien, aber auch schlimme Schicksale dabei." Andreea Garlonta kennt beides: Diejenigen, die irgendwann mit 50 Jahren vom vielen Alkohol sterben. Und diejenigen, die es schaffen das Ruder herumzureißen, trocken werden und arbeiten. "Aber aus dem Niedriglohnsektor und seinen prekären Bedingungen kommen nur sehr wenige raus", sagt Garlonta. Ihre Klienten seien meist ungelernte Kräfte.
Die Situation für Arbeitskräfte aus Osteuropa ist in München prekär
Zum Schiller 25 gehören neben der Notunterkunft auch Streetworker, die Menschen besuchen, die auf der Straße schlafen und ihnen anbieten den Übernachtungsschutz auszuprobieren. An jedem Wochentag bieten Sozialarbeiter in der Bayernkaserne und in einem Büro in der Innenstadt Migrationsberatung an. Etwa wie man eine Arbeit finden kann, einen Sprachkurs bekommt, einen Arzttermin, eine Postadresse oder was die Klienten tun können, wenn sie um ihren Lohn betrogen werden.
"Lohnbetrug kommt leider sehr, sehr häufig vor", sagt Andreea Garlonta. Arbeitgeber heuern Leute zum Beispiel auf dem sogenannten Arbeiterstrich in der Goethestraße an, ohne Arbeitsvertrag nur per mündlicher Absprache. Andere zahlen Mindestlohn, rechnen aber weniger Stunden ab. Manchmal sehen Klienten für eine Woche Arbeit keinen Euro. "Aber wenn sich jemand beschwert, heißt es, du kannst auch rausfliegen. Es gibt viele, die deinen Job wollen", sagt Andreea Garlonta.

Das Bettenlager im Schiller 25 ist spartanisch. Metallgestell-Betten mit Spind in Mehrbettzimmern. Aber es gibt frische Bettwäsche und die Räume werden jeden Tag ab neun Uhr gereinigt. 750 Betten haben sie insgesamt, sagt Andreea Garlonta. Im Frühjahr ziehen sie in einen Neubau keine 500 Meter weit weg. "Die Zimmer sind dann nicht mehr so groß, das meiste sind dann Vier-Bett-Zimmer", sagt sie.
Ein Notquartier-Bewohner findet einen Job als Straßenmagazin-Verkäufer
Piotr Kurkowski sitzt im Büro von Sozialarbeiterin Aleksandra im gleichen Flur wie der Tagesaufenthalt. "Ich brauche ein Bankkonto, es ist schlecht, das Geld am Körper zu tragen auf der Straße", sagt er. Aleksandra erklärt, dass Banken allen Interessenten ein Basiskonto einrichten müssen. Seit drei Wochen hat der 53-Jährige eine Arbeit.
Zum ersten Mal seit vielen Jahren. Die Sozialarbeiter haben ihm geholfen, einen Job als BISS-Verkäufer zu bekommen. Seitdem verkauft er das Straßenmagazin im Münchner Stadtgebiet. "Morgens ist ganz schlecht, da sind die Leute sehr schnell unterwegs", sagt Kurkowsi. Am Nachmittag werde es besser, da blieben sie auch mal stehen.
Das Notquartier Schiller 25 kann ein Sprungbrett sein
"Wir haben hier viele Leute, die harte Arbeit machen, auf dem Bau arbeiten, putzen oder spülen", sagt Andreea Garlonta. Aber selbst wenn sie einmal so viel verdienen würden, dass sie sich eine kleine Wohnung leisten können, hätten sie an einem Wohnungsmarkt wie in München keine Chance. "Unsere Klienten können nicht nachweisen, dass sie regelmäßig längerfristig Einkommen bekommen."
Manche würden zusätzlich ihre Familie in ihren Heimatländern unterstützen. Während sie Europäisches Wirtschaftsrecht studiert hat, ist sie selbst als 22-Jährige aus Rumänien zum Arbeiten in einem Hotel nach München gekommen. Es macht sie wütend, wie Subunternehmen, die auch für Firmen wie die MVG und auf öffentlichen Baustellen engagiert sind, ihre Klienten ausbeuten. Menschen, die unter hohem Druck stehen und wenig Chancen haben, sich zu wehren.
"Wir machen immer wieder Meldungen beim Zoll. Aber wenn zu der betreffenden Firma nicht schon eine andere Beschwerde vorliegt, schicken die keine Beamten und verweisen auf ihren Personalmangel", sagt die Schiller-Leitung. Dass Piotr Kurkowski jetzt in voller Größe vor einem steht, ist alles andere als selbstverständlich. Seine Geschichte zeigt, wie das Schiller 25 ein Sprungbrett sein kann. Eine Räuberleiter in ein stabileres Leben.
"Im Juni habe ich Sie noch im Rollstuhl und Krücken gesehen, oder?", sagt die Sozialarbeiterin zu ihm. Kurkowski nickt. Er hat Wassereinlagerungen im Fuß und seine Arterien sind verstopft. "Ich habe bis vor einem Jahr sehr viel Alkohol getrunken", sagt er. Bis der Arzt zu ihm gesagt hat: "Wenn Sie nicht aufhören zu trinken, werden Sie nicht wieder laufen können." Kurkowski hat die Wende geschafft. Er trinkt ein Jahr nicht mehr, seit Juni kann er wieder laufen. Vier Monate später hatte er seinen ersten Arbeitstag. Die erste Arbeit, das erste Geld, ein neues Selbstbewusstsein.
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