Weihnachten in München – Wie Juden, Hindus und Muslime die Zeit erleben: "Ein Tag wie jeder andere"
München - Für den einen sind es die Bratwürschtl am Heiligabend, für die anderen ist es das Weihnachtsoratorium, für die nächsten ist es das gemeinsame Christbaumschmücken. Die Traditionen an Weihnachten sind so bunt und unterschiedlich wie die Kugeln, die an Münchens Christbäumen hängen. Selbst für weniger fleißige Kirchgänger gehört oft der Besuch in der Mette dazu, meist untermalt mit den Worten "Zu Weihnachten is ja scho schee". Feierlich ist es allemal.
Und selbst wer mit der Kirche wenig zu tun hat, kommt dem Fest nicht aus. Ein Ausflug in die Innenstadt gleicht in den Tagen vor Weihnachten einem Spießrutenlauf, aus jedem zweiten Lautsprecher in München dudeln Weihnachtslieder und im Freundeskreis wird sich zu der Zeit statt mit Bergwanderungen mit Plätzchenback-Abenteuern übertrumpft.
Weihnachten in München: Drei Menschen mit unterschiedlichen Religionen erzählen
Aber was ist eigentlich mit den Münchnern, die keine Christen sind, sondern einer anderen Religion angehören? Werden vielleicht trotzdem Plätzchen verziert und die Wohnung geschmückt, pfeifen auch Nicht-Christen gerne "Let it snow" oder sind sie vielleicht sogar im Weihnachtsstress?
Die AZ hat drei Menschen gebeten, ihre Eindrücke zu teilen. Wie erleben sie den Advent und die Tage rund um Weihnachten? Welche eigenen Traditionen haben sich etabliert oder von was wird sich klar distanziert? Sicher nicht repräsentativ, dennoch ein spannender Einblick in teils überraschend weihnachtlich-gestimmte Gedanken einiger Münchner, die mit dem Christentum eigentlich nichts zu tun haben.
Islam und Christentum: "Viel Gemeinsamkeit"
Einen religiösen Bezug hat Belmin Mehic (34) nicht zu Weihnachten. Er ist Imam im Münchner Forum für Islam. Dennoch sind die vergangenen und kommenden Tage für ihn eine sehr besondere Zeit. "Weihnachten ist längst ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Man spürt die Freude der Mitmenschen, die besondere Stimmung", findet Mehic.
Deshalb freut er sich mit den Menschen, denen Weihnachten etwas bedeutet, einfach mit. Und auch für ihn und seine Familie stehen besinnliche Tage bevor. "Durch diese Zeit kann man Abstand vom Alltag nehmen und dem Stress entkommen", findet er.

Besonders wichtig ist ihm, auch seinen Kindern die Bedeutung von Weihnachten näher zu bringen, die in der Schule und im Kindergarten mit dem christlichen Fest konfrontiert sind. "Zwischen Christentum und Islam gibt es viele Gemeinsamkeiten. Diese sind ein Bindeglied zwischen den Religionen. Das möchte ich in den Vordergrund stellen und so meinen Kindern beibringen, die anderen Religionen zu respektieren."
Auch im Koran hat Jesus eine Bedeutung. "Jesus hat einen besonderen Draht zu Gott. Allerdings ist er für uns nicht das Fleisch gewordene Wort Gottes. Dennoch ist er ein wichtiges Vorbild und eine hochgeschätzte Person", erklärt der Imam.
Die Kinder bekommen Geschenke – aber nicht zu Weihnachten
Besondere Rituale pflegen Mehic und seine Familie aber nicht. Auch, dass es keine Geschenke gibt, stört seine Kinder nicht. "Wir haben zwei große Feste. Ramadan und das Opferfest. Da bekommen die Kinder Geschenke." Ob Mehic gerne mal den Weihnachtsmarkt besucht? "Da ich in der Innenstadt arbeite, war ich quasi jeden Tag", sagt er und lacht. "Also zumindest an dem am Sendlinger Tor bin ich jeden Tag vorbeigelaufen."
Das Wochenende wird Mehic ganz entspannt mit der Familie in München verbringen, gut essen und die gemeinsame Zeit genießen. Der Rest seiner Familie lebt in Bosnien. Auch die besucht er gerne über Weihnachten. Dieses Jahr bleibt er in Deutschland. Mehic: "Wir werden einen ruhigen Abend mit vielen Gesprächen verbringen, um ganz entspannt vom Alltag Abstand zu nehmen."
Ein Adventskranz mit Kerzen war für Mrinale Shinde neu
Mrinale Shinde (28) lebt seit fünf Jahren in München. Für das Studium hat sie damals ihre Heimat im indischen Bundesstaat Goa verlassen. Sie selbst ist Hindu, allerdings leben in Goa viele Christen. Weihnachten war für die Wahlmünchnerin also nicht neu.
"In Goa gibt es viele Weihnachtsmärkte. Eine große Sache für uns sind Krippen. In allen Variationen stehen sie in den Städten. Manche bewegen sich, manche singen, das ist immer etwas Besonderes", sagt die 28-Jährige.

Weihnachten in München ist für sie dennoch etwas anderes, direkt begeistert ist sie von dem christlichen Fest und den Bräuchen drum herum. "Die Märkte sind so schön, es wird viel früher dunkel, manchmal liegt Schnee. Das ist ein ganz besonderes Gefühl", findet die gebürtige Inderin. Dinge wie der Adventskranz mit den Kerzen oder auch ein Adventskalender waren für sie neu – heute für sie unverzichtbar in ihrer Wohnung.
Shinde ist in München zweifellos ein richtiger Weihnachtsfan geworden. "Ich liebe Käsespätzle, Feuerzangenbowle und die ganze Dekoration!", schwärmt sie. Seit dem 1. Advent hat sie einen Christbaum aufgestellt.
Eine Weihnachtsparty mit indischen Freunden
Der Adventskalender gehört mittlerweile nicht mehr nur für Shinde selbst dazu. "Auch für meine Katze habe ich einen", sagt sie und lacht. Für sie ist Weihnachten vor allem der "cozy vibe", wie sie sagt. Also die gemütliche Atmosphäre dieser Tage. Auch ihre Nächsten gehören für sie dazu. "Ich habe viele indische Freunde in ganz Deutschland. Die besuchen mich an Weihnachten und wir machen eine Christmas-Party", sagt Shinde.

Dafür hat sie sich extra ein Raclette-Set angeschafft, es gibt Schokoladenfondue und gemeinsam werden Plätzchen verziert und Punsch getrunken. "Und dann singen wir alle gemeinsam Weihnachtslieder", schwärmt sie.
Nächstes Jahr wollen sie auch ihre Eltern besuchen. "Sie wollen die Weihnachtsmärkte sehen, von denen ich so begeistert bin." Einen der schönsten, die sie je gesehen hat, hat Shinde für sich in Straßburg ausgemacht. Auch Augsburg hat es ihr angetan. "Aber besonders die kleinen Weihnachtsmärkte in München sind toll!"
Für Juden hat Weihnachten keine Bedeutung – für einen Familienvater schon
Als sich die Abendzeitung bei Peter Merkin (56) meldet, ist für ihn erstmal wichtig zu wissen, in welcher Funktion man ihn fragt.
Der Bauingenieur ist zum einen jüdischer Familienvater, zum anderen ist er Vorstand der Synagoge "Ohel Jakob" der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Er selbst bezeichnet sich als "modern orthodox". In seiner offiziellen Funktion darauf angesprochen, ob Weihnachten eine Bedeutung hat, verneint er ganz klar. "Weihnachten existiert im Judentum nicht. Unser Lichterfest Chanukka ist auch nicht, wie manche vermuten, eine Art 'jüdisches Weihnachten‘. Das liegt nur zufällig nah beieinander."
Weiter komme es stark darauf an, wie ausgeprägt der Glaube gelebt wird. "Liberale Juden feiern vielleicht auch mal mit Freunden. Gemischte Paare haben vielleicht einen Weihnachtsbaum zu Hause. Aber für orthodoxe Juden ist Weihnachten ein Tag wie jeder andere, wenn es nicht zufällig auf einen Schabbat fällt."
Die Kinder fragten nach Geschenken
Aber Merkin ist eben auch Familienvater. Seine Tochter ist 13 Jahre alt und auf einer Mädchenschule mit fast nur Christinnen. "Dort gibt es Weihnachtsfeiern und -konzerte. Da fragt sie mich auch, was sie dann machen soll. 'Sing halt mit, habe ich gesagt.‘ Das hat sie gemacht und das ist in Ordnung."
Merkins Sohn geht auf eine jüdische Grundschule. Dort hat Weihnachten keine Bedeutung. Das Thema Geschenke wiederum beschäftigt die Kinder von Merkin doch. "Als sie klein waren, haben sie gefragt, warum sie keine Geschenke bekommen und andere Kinder schon", erinnert sich der Bauingenieur. Schließlich habe sich die Familie entschlossen, zu Chanukka etwas herzuschenken.
Für jüdische Feiertage muss er sich häufig frei nehmen
"Üblicherweise bekommen Kinder zu Chanukka ein kleines Taschengeld. Wir haben angefangen zu schenken, damit die Kinder nicht das Gefühl haben, zu kurz zu kommen." Für Merkin bedeuten Weihnachten eine entspannte Zeit, in der er frei seinen Tag gestalten kann und sich nicht extra Urlaub nehmen muss.
"Für die jüdischen Feiertage muss ich mir fast immer extra frei nehmen. Am Schabbat wiederum darf ich nicht Auto fahren oder Fernsehschauen. An Weihnachten gibt es für uns keine Vorschriften", sagt er. Was die Familie also an Weihnachten plant? "Es wird sehr entspannt. Am liebsten gehen wir an Weihnachten ins Kino. Wir wollen spazieren gehen, Musik hören, Sport treiben."