"Wir haben überhaupt keine Handhabe": Krach um die Gratis-Bibeln
München – Dunkel gekleidet waren die beiden Herren, sagt Klaus Zahn, „das kam mir schon merkwürdig vor“. Sie standen am Dienstag vor dem Eingang des Wilhelm-Hausenstein-Gymnasiums am Arabellapark und näherten sich seinem elfjährigen Sohn, den er gerade mit dem Auto dort abgesetzt hatte. „Das hat mich beunruhigt“, sagt Zahn.
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Am Ende war alles schnell vorbei: Sein Sohn war ein bisschen spät dran und lief schnell an ihnen vorbei. „Aber der Vorgang selbst hat mich sehr irritiert“, sagt Zahn, „wie kommt denn irgendwer dazu, Jugendliche vor der Schule abzupassen, um ihnen eine Bibel in die Hand zu drücken? Ich finde schon, das ist ein Unding.“
Aufs Gelände dürfen sie nicht – davor aber ist öffentlicher Raum
Als der Tierarzt und seine Frau sich wegen des Vorfalls bei der Schulleitung und der Polizei meldeten, gab es als Reaktion: Eingeständnisse von Machtlosigkeit. „Im Sekretariat der Schule waren offenbar schon mehrere Anrufe diesbezüglich eingegangen, der Schulleiter hatte mehrmals versucht, die Herren des Platzes zu verweisen.“ Sie hätten aber erklärt, als Mitglieder des Gideonbunds (siehe Erklärtext unten) eine Genehmigung dafür zu haben, dort zu stehen.
Ein Versuch der Anzeige scheiterte ebenfalls. Die Polizei teilte Familie Zahn mit, gegen die Verteilung, die gerade an allen Münchner Schulen stattfinde, könne man nichts tun, außer sich an die Stadtverwaltung zu wenden.
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Auf das Schulgelände selbst dürfen die Herren nicht. Öffentliche Schulen sind in Bezug auf Religiosität ein neutraler Raum. Das Schulgesetz verbietet es, Schüler und Schülerinnen einseitig zu beeinflussen. Das bedeutet: Politische oder religiöse Schriften darf man dort nicht verteilen.
Im Kreisverwaltungsreferat sind die aktuellen Verteilaktionen nicht bekannt gewesen – was auch daran liegt, dass die nicht genehmigt werden müssen. Flyer oder Unterlagen ohne wirtschaftlichen Hintergrund verteilen, das darf auf öffentlichem Grund jeder. „Wenn es mehr ist, etwa wenn jemand bedrängt wird, sollten die Schulen die Polizei rufen“, empfiehlt eine KVR-Sprecherin. Die könnte dann einen Platzverweis aussprechen.
"Wir haben da überhaupt keine Handhabe", sagt ein Polizeisprecher.
Aber auch nur dann. „Es ist absolut rechtmäßig, wenn sie die Bibeln da verteilen“, sagt Polizeisprecher Christoph Reichenbach. „Wenn sie nicht aggressiv auftreten, dann haben wir da überhaupt keine Handhabe.“ In Baden-Württemberg etwa ist es den „Gideons“ verboten, Bibeln auf Polizeirevieren zu verschenken. In Bayern nicht – „das entscheidet man nach Einzelfall“, so Reichenbach.
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Am Klenze-Gymnasium in Sendling sind die Verteiler am Montag gewesen. Schulleiterin Anette Kreim sagt, die Schulleiter wurden darüber vorher vom Bildungsreferat per Brief informiert. „Ich kann das nicht verbieten, also was soll ich machen?“, fragt sie. „Ich kann denen nur sagen: Stehen Sie nicht direkt vor dem Eingang und behindern Sie die Schüler nicht.“ Sie habe aber die Bibeln überprüft und über den Gideonbund gelesen. „Zu wissen, was eine solche Gemeinschaft wirklich will, ist natürlich schwierig. Aber ich sehe nicht, dass die eine radikale oder terroristische Absicht hat.“
Tipp für die Schüler vom Bildungsreferat: „Geht hintenrum“
Im Bildungsreferat sieht man das Thema nicht als Problem. „Ich gehe davon aus, dass unsere Schulen und Lehrer gut reagieren werden“, sagt eine Sprecherin. „Man könnte den Schülern vielleicht auch sagen, dass sie hintenrum gehen sollen. Oder ,Lasst euch nicht stören’.“
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Vater Klaus Zahn macht das fassungslos. „Es geht mir ja nicht um die Bibel selbst“, sagt er. „Es geht um die Tatsache, dass sich da jemand hinstellt und einfach seine Sachen verteilt. Ich könnte mir den Aufschrei vorstellen, wenn das der Koran wäre. Oder das Parteiprogramm der AfD.“
Was ist der Gideonbund?
Der Gideonbund ist eine internationale Vereinigung, die 1899 in Amerika von drei Handlungsreisenden gegründet wurde. Sie beschlossen, Bibeln kostenlos in Hotels auszulegen, weil die Kirchengemeinden meist nur wenig Kontakt zu solchen Einrichtungen hatten.
In Deutschland gibt es den Gideonbund seit 1956. Die Mitglieder – in der Regel Männer, die einer wirtschaftlichen Arbeit nachgehen müssen – verteilten seitdem Millionen Bibeln und Neue Testamente an Hotels, Krankenhäuser, Kasernen, Justizvollzugsanstalten, Schulen und Universitäten.
Der Bund versteht sich als ein überkonfessionelles internationales Werk, das von Menschen getragen wird, die aus einer evangelischen Kirche, Freikirche oder Gemeinschaft stammen.
Axel Seegers vom Erzbischöflichen Ordinariat München erklärt: „Die Angst, es bei den Bibelverteilern mit einer Sekte zu tun zu haben, ist unbegründet.“ Er kritisiert aber die Bekenntnis-Einforderung , mit denen die Exemplare versehen sind.