"Werden Schließorgie erleben": Wirt in München zeichnet erschreckendes Gastro-Szenario

Die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Speisen treibt Münchens Wirten Sorgenfalten auf die Stirn. In der AZ warnen sie, was bald auf ihre Gäste zukommt.
Ruth Frömmer,
Carmen Merckenschlager
|
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
95  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Steffen Marx ist zwar Brauer, aber in seinem Giesinger Bräustüberl gibt es auch was zu Essen. Und das dürfte im nächsten Jahr teurer werden.
Steffen Marx ist zwar Brauer, aber in seinem Giesinger Bräustüberl gibt es auch was zu Essen. Und das dürfte im nächsten Jahr teurer werden. © Sigi Müller

München - Die Stimmung bei Steffen Marx ist nicht gut. "Das ist schon der Hammer. Jetzt müssen wir uns was überlegen", sagt der Chef des Giesinger Bräu. "Wir können ja nicht irgendwann 40 Euro für einen Schweinsbraten verlangen", sagt er der AZ an diesem Freitag, einen Tag nachdem die Ampel-Koalition eine für Wirte bittere Entscheidung getroffen hat.

Nach Angaben der Chefhaushälter hat sich die Koalition aus SPD, Grünen und FDP darauf verständigt, die Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie ab dem 1. Januar wieder auf 19 Prozent anzuheben. Zur Unterstützung der Gastronomie während der Corona-Pandemie wurde sie vorübergehend auf sieben Prozent gesenkt. Monatelang kämpften der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband Dehoga und viele Wirte dafür, dass das nicht passiert und für eine dauerhafte Senkung der Mehrwertsteuer auf Speisen.

Für den Gast ist die Mehrwertsteuer in Giesing schon sichtbar

Giesinger-Bräu-Wirt Marx hatte vor ein paar Wochen mit einer doppelten Karte bereits für Aufregung gesorgt; zwei Preise sind darauf abgebildet. Einmal mit sieben und einmal mit 19 Prozent Mehrwertsteuer. So kosten Käsespätzle einmal 15,90 Euro und 17,70 Euro.

Für die kommende Erhöhung der Mehrwertsteuer wird Marx die Preise der Doppel-Karte aber nicht eins zu eins übernehmen. "Wir überarbeiten die Karte, schauen, ob wir mehr einfachere Gerichte dazunehmen, die erschwinglicher sind."

Auf die Frage, ob man die höhere Mehrwertsteuer durch den Endpreis an den Kunden weitergeben könne, antwortet der Wirt mit einer Gegenfrage: "Wo sollen wir's den sonst drauf schlagen? Von uns macht sich keiner die Taschen voll."

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Der Dehoga spricht von einem "fatalen Irrweg"

Um seine Existenz fürchtet Marx nicht, aber Kollegen von ihm könnte es hart treffen, warnt der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga. "Diese Steuererhöhung auf Speisen ist ein fataler Irrweg, es wird in der Gastronomie zu Betriebsschließungen, steigenden Preisen, sinkenden Umsätzen und einem enormen Verlust an Arbeitsplätzen und Lebensqualität führen, gerade auch in ländlichen Regionen", warnt Dehoga-Präsidentin Angela Inselkammer.

Eine solche Entscheidung richte sich gegen Hunderttausende familiengeführte klein- und mittelständische Unternehmen, gegen Millionen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie gegen Abermillionen Gäste.

Auch Gregor Lemke, Sprecher der Münchner Innenstadtwirte, erklärt warum die Mehrwertsteuer auf den Gast übertragen werden wird: "In den letzten Jahren hatten wir Lohnsteigerungen von bis zu 40 Prozent, die Einkaufspreise steigen stetig, obendrauf kommen die Energiekrise und schließlich der gestiegene Mindestlohn. Das führt dazu, dass wir die Preise weitergeben müssen."

Persönlich deprimiert sei er über die Erhöhung, seinen Wirtskollegen gehe es ähnlich. "In den kommenden ein bis drei Jahren werden wir eine Schließorgie erleben. Dagegen war Corona Kindergeburtstag."

Gregor Lemke. (Archivbild)
Gregor Lemke. (Archivbild) © Daniel von Loeper

Münchner Wirt: "Noch nie so Angst vor der Zukunft gehabt"

Andreas Vollath betreibt das Café Vollaths in der Thalkirchner Straße. Er hatte der AZ schon vor einem Vierteljahr ganz genau vorgerechnet, welche Preiserhöhungen im Fall einer Mehrwertsteuererhöhung auf seine Gäste zukommen würden.

Am Freitag sagt er: "Ich habe noch nie so eine Angst vor der Zukunft gehabt wie jetzt." Dabei gehe es ihm weniger um sein Lokal als um die Gäste. Er möchte auch weiterhin Gastgeber für alle Bevölkerungsschichten bleiben.

Andreas Vollath.
Andreas Vollath. © Daniel von Loeper

"Aber wenn ein Latte Macchiato fünf Euro kostet: Wer kann sich das dann noch leisten?" Soviel muss er mit der gestiegenen Mehrwertsteuer verlangen, sagt er. Für sein Lokal macht die Erhöhung von sieben auf 19 Prozent einen vierstelligen Betrag mehr aus, den er an Steuern ans Finanzamt zahlen muss.

Seit letztem Jahr kämpfen Wirte mit gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreisen und Lohnkosten. Einen Teil davon konnten sie mit der reduzierten Mehrwertsteuer auffangen. Damit ist ab Januar Schluss. Essen gehen wird wohl Luxus.

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
95 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
  • Wolff am 20.11.2023 09:41 Uhr / Bewertung:

    Die Preise würden mich gar nicht so sehr stören - wenn denn die Qualität dazu passen würde. Auch weil es generell eine Fehlentwicklung ist, dass LEBENSmittel bei uns keine angemessene Wertigkeit haben.

    Aber daran haben viele Gastrobetriebe inzwischen schon deutliche Abstriche gemacht. Für industriellen Plastikfraß muss ich nicht extra Essen gehen, das kann ich zuhause auch haben!

    Ja, gestiegene Kosten müssen weitergegeben werden. Da müssen sich auch die Gäste mal ehrlich - entweder für gerechte Löhne sein oder für Schleuderpreise. Beides zusammen geht nicht.

    Und für Herrne Marx. Wenn wir nicht irgendwann eine Währungsreform bekommen, wird ein Schweinsbraten auch irgendwann 40 Euro kosten. Ganz normale Entwicklung.

  • F. Graf Denunziant am 19.11.2023 16:16 Uhr / Bewertung:

    Dieser (H)Ampel kann man nicht mehr vertrauen. Sagte Scholz noch in der Wahlkampfarena die Mwst wird nie erhöht, so kann er sich jetzt nicht mehr daran erinnern.

  • glooskugl am 19.11.2023 14:29 Uhr / Bewertung:

    Prinzipiell wollen sie ja alle gar keine normale Wirtschaft betreiben , sondern jeder meint er sei was besonderes und verlangt dann auch seine besonderen Preise. Ist jetzt der Bereich Gastronomie nur noch was für selbsternannte "Künstler"? Mei, wenn ich da an den Brunnerwirt denke, Ecke Buttermilch und Baaderstrasse... ua. Kartn spuin , Billiard war a do. Das Schnitzel mit Bratkartoffel oder der Leberkas mit Ei eine Sensation wie alles einfache auf seiner kleinen Karte. Und..wennst auf was anderes Lust hattest hast das auch bekommen. Bene wir vermissen dich...Künstler ...schleichts eich...

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.