Versuch Miniblocks in der Maxvorstadt in München: Vorbild war europäische Super-Stadt
München - Steinhuber heißt Münchens neuestes Straßenraumprojekt an der Steinheil- und Enhuberstraße in der Maxvorstadt. Hier ist gerade ein sogenannter Miniblock entstanden, angelehnt an die Superblocks in Barcelona.
Die AZ hat mit Projektleiter Benjamin Büttner vom Lehrstuhl für Siedlungsstruktur und Verkehrsplanung der TU München über derlei Projekte im Allgemeinen und das Münchner Projekt im Speziellen gesprochen.
AZ: Herr Büttner, Sie machen mit Ihrem Team zwei Straßen in der Maxvorstadt zu einem Miniblock. Wie kommt es dazu?
BENJAMIN BÜTTNER: Wir haben uns mit der Idee auf eine Ausschreibung des Mobilitätsreferats beworben. Meine Kolleginnen Ana Rivas, Simone Aumann und ich hatten in der Steinheilstraße im letzten Jahr schon ein Parklet in Zusammenarbeit mit WOW! Urbane Utopien installiert und ziemlich positive Rückmeldungen bekommen und dachten uns, wir probieren es nochmal und etwas größer.
Miniblocks in der Münchner Maxvorstadt: Vorbild sind die Superblocks in Barcelona
Und was hat man sich darunter vorzustellen?
Vorbild sind die Superblocks in Barcelona. Die Grundidee ist, den Durchgangsverkehr zu minimieren, nur noch die Anwohner dürfen einfahren. Diese neuen Flächen werden genutzt für öffentlichen Raum. Damit wieder mehr Raum für aktive Mobilität, soziale Interaktion, für Austausch, für Beisammensein und damit auch Teilhabe entsteht.
Minimieren heißt aber nicht autofrei, oder?
Ursprünglich wollten wir den Miniblock für den Durchgangsverkehr komplett sperren, das war aber nicht möglich, etwa wegen der Müllabfuhr. Aber durch die verschiedenen Parklets, werden die Spuren natürlich enger. Autofahrer müssen mehr aufpassen, langsamer fahren. So hat man eine Art natürlich Entschleunigung des Verkehrs und für den Durchgangsverkehr wird es unattraktiver.
Und die Parkplätze fallen weg?
Die meisten sind noch da, es fallen 22 Parkplätze weg. Und die fehlen auch nicht einfach nur, sondern werden für Aufenthaltsqualität genutzt. Wir hatten eine Infoveranstaltung, bei der wir die Nachbarschaft gefragt haben, was sie hier gerne haben wollen, was fehlt. Ein Punkt war: Es gibt zu wenig grün, es ist zu versiegelt, zu grau. Und ein anderer: Es wäre schön, wenn man sich ein bisschen sportlich betätigen könnte. Deshalb ist ein Parklet mit einer Tischtennisplatte ausgestattet.
Proteste in der Kolumbusstraße: "Diese Stimmen sind wichtig und die muss man ernst nehmen"
Und in Barcelona ist das auch so?
Barcelona ist die Pionierstadt. Da gibt es extrem viele dieser Superblocks über das ganze Stadtgebiet verteilt. Die funktionieren sehr gut. Aber, auch da gab es Proteste, das muss man ganz klar sagen.
So wie hier in München bei der Kolumbusstraße?
Das ist vielleicht immer ein bisschen das Problem, vielleicht auch in der Kolumbusstraße, wie wir Wissenschaftler und auch die Behörden mit den Anwohnern kommunizieren oder auch nicht kommunizieren. Das ist manchmal ein Problem des Vokabulars, aber auch die Frage, was für eine Kultur haben wir, wenn es darum geht sich auszutauschen, gemeinsam Ideen zu entwickeln und die auch umzusetzen. Ich glaube, das kommt manchmal sehr von oben herab auf die Menschen rüber. Das sollte man vermeiden. Da muss man Formate und auch die richtige Sprache finden, um gemeinsam etwas voranzubringen.
Und das klappt beim Steinhuber hier jetzt besser?
Auch hier gibt es Verbesserungsbedarf, aber der schon erwähnte Infostandtermin in der Steinheilstraße hat recht gut geklappt. Wir haben präsentiert, was wir so vorhaben, aber auch Wünsche abgefragt und aufgenommen. Klar gab es Leute, die das nicht befürworten, die vor allem Probleme haben mit dem Wegfall der 22 Parkplätze. Auch diese Stimmen sind uns wichtig und die muss man ernst nehmen und Lösungen suchen. Das hat an dem Tag ganz gut funktioniert. Wir können nicht jeden Tag dort stehen, haben aber vor, das alle zwei Wochen zu machen, damit wir mit der Nachbarschaft im Austausch bleiben. Außerdem gibt's schwarze Bretter und Briefkästen an den Parklets, wo Anwohner und Besucher ihr Feedback hinterlassen können und wir haben auch eine Mailadresse und Telefonnummer.
Sie geben sich also viel Mühe die Menschen mitzunehmen.
Man muss sehen, dass man die Leute richtig erreicht. Bei Flyern beispielsweise überprüfen, ob die überhaupt gelesen oder eher als Werbung wahrgenommen und weggeworfen werden. In der Kolumbusstraße wurde eine große, durchdachte Informationskampagne aufgezogen; es wurden 8.000 Briefe verteilt, aber es gab trotzdem Stimmen, dass nicht alle informiert wurden.
Mobilität vor Ort: München steht im Vergleich gar nicht so schlecht da
Aber Sie sind optimistisch.
Wir hatten schon sehr schöne Momente. Beim Aufbau kam eine Nachbarin aus dem Haus und hat gesagt, sie hat vor einen Stammtisch mit ihren Nachbarn zu gründen und will das in den Parklets vor Ort machen. Diese ungezwungenen Möglichkeiten sich auszutauschen können eine Nachbarschaft stärken. Wir haben auch wahnsinnig viele Gießpatinnen und -paten. Es gibt viele Nachbarn, die rauskommen und neugierig sind, unterstützen wollen. Wir haben bisher viel mehr positives Feedback als negatives.
Neben den Superblocks oder Miniblocks gibt es auch andere Konzepte der Stadtgestaltung, wie die 15-Minuten-Stadt. Spielt das bei ihrem Projekt auch eine Rolle?
Das wurde durch Carlos Moreno in Paris mit der Unterstützung von Anne Hidalgo, der Bürgermeisterin, ausprobiert und umgesetzt. Hier ist die Grundidee, dass die Bürgerinnen und Bürger alle Dinge des täglichen Bedarfs innerhalb von 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Rad erreichen können. Also Supermärkte, Apotheken, Kitas... Da geht es also um aktive und geteilte Mobilität und in unserem Miniblock gibt es auch Mobilitätsstationen.
Wo steht München da im Vergleich mit anderen Städten?
Wir haben das hier an TU mit einem Erreichbarkeitsinstrument untersucht und München ist da schon ziemlich gut. Es gibt genug verschiedene Mischnutzung, aber es hakt oft an der Qualität der Rad- und teilweise auch der Fußwege.
Wobei das je nach Stadtbezirk recht unterschiedlich ausfallen dürfte?
Ja, manche Bezirke sind sehr monofunktional, es gibt also beispielsweise fast nur Wohnen, vielleicht hier und da mal ein Gewerbegebiet und irgendwo ein Supermarkt. Aber eben keine bunte Mischnutzung. Sowas findet sich in Vierteln wieder der Maxvorstadt natürlich eher. Leider hat die Maxvorstadt aber oft keine guten Radwege. Auch auf den Fußwegen gibt es Probleme beispielsweise durch wildparkende E-Scooter oder Radl. Da wollen wir beim Miniblock auch etwas aufräumen.

Wie schaut das dann aus?
Wir haben an den verschiedenen Einfahrten Mobilitätspunkte errichtet. Hier können die Anwohner und Passanten E-Scooter leihen oder auch zurückgeben. Die Anwohner bekommen Extra-Minuten, um sie zu ermutigen, etwas Neues auszuprobieren wie Bike- oder Carsharing oder eben E-Scooter. Wir haben auch Lastenräder dort. "Wir wollen ihnen nicht einfach nur die Parkplätze wegnehmen und sagen 'Pech gehabt'. Unser Experiment geht bis zum 31. Oktober und danach wird auch wieder rückgebaut und die Parkplätze sind wieder da. Vielleicht haben ein paar Leute dann festgestellt, so schlecht ist das gar nicht, ich bin eigentlich viel flexibler, wenn ich mir ein Auto leihe oder öfters mal aufs Rad umsteige. Das ist die Hoffnung und das werden wir evaluieren in dem Projekt.
Stichwort evaluieren. Was für Erkenntnisse sammeln Sie bei ihrem Straßenraumexperiment?
Uns interessiert sehr, was gibt es für Änderungen im Mobilitätsverhalten? Wie wird das akzeptiert vor Ort? Aber auch, was hat das für eine Auswirkung auf das Microklima? Wir alle leiden unter den Hitzeperioden und die werden deutlich schlimmer, wenn man kein Grün in den Straßen hat. Deshalb haben wir auch Urban-Gardening-Beete und 14 zusätzliche Bäume von der Wanderbaumallee in den Miniblock transportiert. Und wir haben Wärmekameras und messen, ob sich die Temperatur verändert.
Neue Mobilität: "Was in Amsterdam funktioniert, funktioniert vielleicht nicht in München"
All diese Ideen, wie Städte verändert werden können, sind ja weltweit ein Thema. Wo steht München da im Vergleich?
Ich arbeite seit fünf Jahren in diesem Bereich "tactical urbanism" und wir haben anfangs Mailand, Amsterdam und München verglichen, dann kamen noch Paris, Madrid, Barcelona, Gent und London dazu. München liegt dort in der Mitte.
Das ist ja schon nicht schlecht.
Und es tut sich was. Die Initiative des Mobilitätsreferats zeigt, es ist ein Wille da, Dinge auszuprobieren. Aber jede Stadt ist anders, hat eine andere Mobilitätskultur. Was in Amsterdam funktioniert, funktioniert vielleicht nicht in München, und was in München funktioniert, funktioniert vielleicht nicht in London. Deshalb müssen wir immer schauen, was ist der lokale Kontext, vor allem, was sind die Bedürfnisse der Leute vor Ort. Was wollen sie, was brauchen sie.
Und was gibt's da so für Unterschiede?
In Südamerika, aber auch in Mailand, wurde ganz viel mit Farbe gemacht. Straßen wurden bunt angemalt, um zu zeigen: hier tut sich was, hier gibt es eine Veränderung, hier gibts neuen Raum für Fußgänger oder Radfahrer. In München – oder Deutschland an sich – ist das nicht gern gesehen, teilweise auch nicht erlaubt. Wir brauchen also andere Mittel. Deshalb nutzen wir vor allem Parklets und Straßenmodellierung.

Gibt es noch weitere München-spezifische Aspekte?
In München geht's immer stark ums Parken. Parken ist immer ein Problem. Und auch Lärm ist immer ein Problem. Das beispielsweise gibt es in Südeuropa eher selten als Beschwerden. In Mailand etwa hatten wir Lärm nie als großes Problem gesehen.
Hand aufs Herz – kann man mit solchen Experimenten und Projekten die Mobilität wirklich dauerhaft verändern, einen echten Wandel herbeiführen? Oft wird derlei ja als Spinnerei oder sogar Ideologie gescholten.
Das ist eine ganz spannende und auch berechtigte Frage. Aus meiner Sicht auf jeden Fall: ja. Ideologisch sind wir als TU München nicht, das will ich ganz klar sagen. Wir sind offen, was eben auch das Ergebnis dieses Experiments angeht. Ein Experiment kann auch scheitern. Da gehen wir ganz nüchtern ran. Ich glaube diese Straßenraumexperimente können ein Schlüssel sein, damit die Bürgerinnen und Bürger vor Ort, die Nachbarn, das mal erleben, wie es auch anders sein könnte. Und wenn es ihnen gefällt, dann gibt es auch Möglichkeiten verschiedene Umsetzungen zu verstetigen und sollte es auch geben.
Jede Stadt hat eine andere Mobilitätskultur: Wird München autofrei?
Teilweise wurden solche Ideen schon umgesetzt.
Wir haben es während Corona gesehen, da gab es die Pop-up-Radwege, viele davon sind jetzt richtige Radwege geworden. Gleiches gilt für die Schanigärten oder die Parklets. Wir probieren alles immer für eine gewisse Zeit aus. Man muss dabei nur aufpassen, dass es eben nicht einen Event-Charakter bekommt, wie beispielsweise Streetlife und Corso Leopold. Das sind gute Festivals, aber eine andere Art Projekt. Hier wird eben nicht langfristig versucht, die Straße autofrei zu gestalten.
Und autofrei ist das Ziel?
München ist schon heute die am dichtesten bebaute Stadt Deutschlands, dichter als Berlin, Hamburg oder Frankfurt. Unsere größte Knappheit ist die Fläche, der Raum. Wir müssen überlegen, wie wir zukünftig mit dem Raum umgehen und ihn nutzen wollen. Dazu gibt es verschiedenste Ansätze und man sollte offen schauen, was kann man machen auf Parkflächen, auf Straßen. Das ist eigentlich öffentlicher Raum, der allen zur Verfügung stehen sollte.
Ist das der Kern der Fragen, mit denen wir uns in der Stadt herumschlagen? Dass der Platz begrenzt ist und umverteilt werden muss?
Ja, das ist, glaube ich, der Schlüssel. München wird stark weiter wachsen. Und München muss den Raum so verteilen, dass es für alle irgendwie passt. Und da helfen uns leider neue Innovationen wie automatisiertes Fahren oder Elektroautos nicht immer. Die werden mehr oder weniger den gleichen Platz beanspruchen. Hier müssen gemeinsam Lösungen gefunden werden. Deshalb auch mein Plädoyer, eine gemeinsame Sprache zu finden für gemeinsame Ideen, die wir dann auch gemeinsam umsetzen.