Pläne des Freistaats sorgen für Entsetzen: "Stadtgeschichte in München wird verscherbelt"
Altstadt - Der Putz blättert von Münchens ältesten Gebäude: dem Zerwirkgewölbe. Historiker schätzen, dass der Bau an der Ledererstraße im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts errichtet wurde – also vor mehr als 750 Jahren.
"Zerwirkt" ist Jägersprache und heißt so viel wie "zerlegen". Einst war hier nämlich eine Metzgerei für Wild untergebracht. Es gingen aber auch Falkner, Brauer, Theaterleute und Feiernde ein und aus. Der Hip-Hop-Club Crux und die Spezlwirtschaft waren bis 2019 die letzten Mieter. Seitdem steht der historische Bau leer – und bröckelt vor sich hin.
Zerwirkgebäude in München soll verkauft werden: Der Freistaat darf diesen Schatz nicht verscherbeln
Eigentümer ist der Freistaat. Und der plant offenbar das Gewölbe zu verkaufen. Das geht aus einer Anfrage hervor, die der Grünen-Landtagsabgeordnete Christian Hierneis gestellt hatte. Er wollte wissen, was der aktuelle Stand ist und wie der Zeitplan für das Gebäude aussieht. Die Antwort des Bauministeriums: "Da das Grundstück nicht mehr zur Erfüllung von Aufgaben des Staates benötigt wird, ist es zu veräußern. Derzeit finden Gespräche mit potenziellen Erwerbern statt."
Hierneis ist über diese Antwort entsetzt: "Das Gebäude muss staatlich bleiben. Auf gar keinen Fall darf der Staat einen solchen Schatz im Münchner Zentrum verscherbeln."

Das Bauministerium hatte eine Machbarkeitsstudie für das Gebäude in Auftrag gegeben. Sie habe ergeben, "dass das Gebäude nach einer grundlegenden Sanierung sowohl für eine Büronutzung als auch für Nutzungen zu Wohnzwecken, Gewerbe und Kultur grundsätzlich geeignet ist", heißt es in der Antwort auf Hierneis Anfrage. Wie teuer die Sanierung wäre, geht aus dem Schreiben allerdings nicht hervor.
Zerwirkgewölbe in München: Günstiger Wohnraum könnte entstehen – oder Kultur
Hierneis ist überzeugt, dass sich die Investition lohnt. "Es rechnet sich, weil wir dann in Zukunft sparen", meint er. Schließlich müsse der Freistaat dann nicht woanders Kultur-Einrichtungen und Wohnungen bauen – oder für Menschen mit einem geringen Einkommen Wohngeld bezahlen.
Der Grünen-Abgeordnete kann sich Wohnungen gut in dem historischen Gebäude mitten in der Altstadt vorstellen. Schließlich sterbe die Münchner Altstadt gerade aus, weil sich dort die Mieten kaum jemand leisten könne. Wohnraum – nicht nur für Superreiche – würde aus seiner Sicht zur Lebendigkeit der Altstadt beitragen.
OB Dieter Reiter: "Ich finde es traurig"
Nicht begeistert, reagiert auch Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), als er von den Plänen der Staatsregierung erfährt: "Ich finde es traurig, weil dieses Zerwirkgebäude ein Stück München ist. Man weiß nie, was nach einem Verkauf passiert", sagte Reiter im Gespräch mit der AZ.
"Deshalb ist es nie eine gute Nachricht, wenn der Freistaat seine Immobilien in der Stadt verkauft." Die Alte Akademie in der Fußgängerzone hatte der Freistaat an René Benko verkauft, der ging bekanntlich pleite. Jetzt steht die Baustelle still. "Ich bleibe da lieber bei unserem Motto, das da lautet: Wir verkaufen nichts", sagt Reiter.
"Ein Stück Stadtgeschichte mitten in der Altstadt wird verscherbelt", schimpft der Grünen-Fraktionschef Sebastian Weisenburger. Er fordert ein neues Gesetz: Immer, wenn der Freistaat Grund verkauft, sollen Kommunen zuerst das Angebot und einen günstigen Preis bekommen. Im Bund gilt das bereits.
Die SPD erinnert daran, dass der Freistaat in den vergangenen 25 Jahren über 200 Häuser, Wohnblöcke und Straßenzüge in München verkauft habe. SPDler Klaus-Peter Rupp fordert eine denkmalgerechte Sanierung – und keine Büros.
Auch einige Initiativen sehen den Verkauf kritisch
Auch das "Junge Forum" (ein Arbeitskreis des Vereins Münchner Forum, der sich viel mit der Stadtentwicklung beschäftigt) kritisiert die Staatsregierung und fordert den "unverzüglichen Stopp" des Verkaufs. Stattdessen will das Junge Forum, aber auch die Initiative Ausspekuliert erreichen, dass das Zerwirkgebäude für subkulturelle, soziale Zwecke genutzt wird.
"Mit einer offenen Nutzung des Zerwirkgewölbes hat der Freistaat die einmalige Chance, seinen Bürger*innen ein Stück ihrer Altstadt zurückgeben, die in den vergangenen Jahren zunehmend zum Spielball renditeorientierter Investmentgesellschaften geworden ist", schreibt das Junge Forum in einem offenen Brief.
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