Trotz Ärztemangel: Syrischer Arzt verzweifelt in München: "Ich möchte einfach nur arbeiten"

Ärzte und Pfleger sind knapp, doch Fachkräfte aus dem Ausland warten und kämpfen lange für die Arbeitsgenehmigung. Ein Arzt aus Syrien verzweifelt in München.
Niclas Vaccalluzzo
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Fachkräfte fehlen und immer mehr Menschen aus dem Ausland wollen ihren Berufsabschluss hierzulande anerkennen lassen. Die Verfahren dauern jedoch oft lange.
Fachkräfte fehlen und immer mehr Menschen aus dem Ausland wollen ihren Berufsabschluss hierzulande anerkennen lassen. Die Verfahren dauern jedoch oft lange. © imago (Symbolbild)

München - Wer in Deutschland als Arzt arbeiten möchte, braucht die Approbation. Das gilt zunächst für jeden, der Medizin studiert hat – unabhängig davon, ob das in Deutschland oder im Ausland war. Vor allem für Ausländer aber heißt das: monatelange Bearbeitung der Anträge, Bürokratiewahnsinn und Überlastung der Beratungsplätze. All das steht den so sehr benötigten Fachkräften oft im Weg.

Wie akut der Fachkräftemangel ist, zeigt die Antwort der Bayerischen Landesärztekammer auf eine Anfrage der AZ. In Bayern steige wegen Faktoren wie der demographischen Entwicklung, zunehmender Krankheitsraten sowie neuer Behandlungsmöglichkeiten für Patientinnen und Patienten der Ärztebedarf seit Jahren an. "Dieser Trend wird sich künftig fortsetzen."

In der Pflege ist der Mangel bekanntermaßen ebenso hoch. Laut dem aktuellen Pflegeheim Rating Report 2024 wird bis 2040 mit einem zusätzlichen Bedarf von bis zu 380.000 Vollzeitkräften in der stationären Pflege gerechnet und bis zu 183.000 in der ambulanten. Ausländische Fachkräfte könnten hier zumindest einen Teil der Lücke füllen – die dürfen aber eben oft nicht.

Syrischer Arzt aus München kämpft seit über zwei Jahren mit den Behörden

Ein Fall, bei dem die Probleme offenkundig werden, ist der eines syrischen Arztes aus München. Seinen Namen will der Mann nicht nennen – aus Angst vor Konsequenzen für seinen Antrag. Bereits seit über zwei Jahren versucht der Mann verzweifelt, als Arzt arbeiten zu dürfen. Der Fall wird nun nach langem Hin und Her vor Gericht geklärt werden müssen.

"Das ganze System ist so veraltet, da sind Leute an entscheidenden Positionen, die verstehen nichts von der Realität", sagt die Ehefrau des Mannes der AZ. "Die Sachbearbeiter sind nicht wohlwollend." Und allein für die Beschaffung der nötigen Unterlagen brauchte das Paar zwei Jahre.

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Menschen aus Drittstaaten haben im Jahr 2023 knapp 2000 Anträge auf Approbation bei der Regierung von Oberbayern gestellt, wie die Behörde auf Anfrage der AZ mitteilt. 2020 waren es noch 900. 90 Prozent machen dabei Ärzte aus. Bei den Drittstaatsanträgen wird die Qualität der ausländischen Ausbildung entweder per Fachgutachten oder Kenntnisprüfung mit der deutschen verglichen. Letztere entspricht in Inhalt und Ablauf dem deutschen Staatsexamen und ist sehr umfangreich. Die antragsstärksten Herkunftsländer waren Aserbaidschan, die Ukraine, Russland, Serbien und Bosnien-Herzegowina.

In Bayern dauert es besonders lange, bis Fachkräfte in ihrem Beruf arbeiten dürfen

Rund 1,1 Millionen Menschen aus der Ukraine kamen 2023 nach Deutschland: Diese Zahlen dürften sich auf die Anträge auf Approbation auswirken und eine schnelle Abwicklung erschweren. Das merkt auch Ines Weihing von der MigraNet Anerkennungs- und Qualifizierungsberatung. Die Beratungsstelle unterstützt Migrantinnen und Migranten bei beruflichen Dingen.

Häufig hörten ausländische Fachkräfte von Arbeitsvermittlern, dass sie doch einfach in einer Fabrik arbeiten sollten, berichtet Weihing. "Die Vorstellung, dass zum Beispiel ukrainische Geflüchtete bereits als fertige Fachkräfte hier herkommen und nur einfach arbeiten müssen, ist nicht realistisch."

Die Erfahrung zeige, dass der Weg zurück zur ursprünglichen Tätigkeit entweder schwieriger sei oder gar nicht mehr erfolge, wenn Personen schnell in eine Hilfstätigkeit vermittelt werden, sagt sie. Die Folge: Die dringend benötigten Fachkräfte landen oft in einem anderen Bereich. Hinzu kommt, dass die Bearbeitung der Anträge teilweise sehr lange dauert – bis zu 364 Tage sind es in Bayern.

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Syrischer Mediziner will in München arbeiten: "Ich könnte längst Facharzt sein"

Für den Arzt aus Syrien ist die Situation sehr belastend: "Ich möchte einfach nur arbeiten – in zwei Jahren hätte ich so viel machen können, sowie Steuer zahlen, und könnte längst Facharzt sein", sagt er. Um seine Chancen im Antragsprozess zu erhöhen, macht der Mediziner seit über einem Jahr unbezahlte Praktika.

Das Arbeitslosengeld läuft bald aus. 2023 bekam das Paar einen kleinen Sohn. Für den Vater sei es schlimm, seine kleine Familie nicht ernähren zu können. "Unsere Zukunft hängt vollständig von dieser einen Sachbearbeiterin ab. Wie kann es in unserem Rechtsstaat sein, dass eine einzelne Person solch eine Macht über das Leben einer jungen Familie haben kann", fragt die Ehefrau.

Auch in der Pflege ist die Situation für die Antragssteller schwierig 

Bei den Anträgen in der Pflege ist die Situation ähnlich. Bis Juli war die Regierung von Oberbayern für die Anerkennung der Pflegeberufe zuständig. Seit 2018 seien rund 7820 Anträge eingegangen, heißt es von dort. Abgesehen von der Corona-Zeit habe es eine kontinuierliche Steigerung der Fallzahlen gegeben. Die jeweiligen Bezirksregierungen teilten sich die Zuständigkeiten. Von Menschen aus den Westbalkanländern, Tunesien und von den Philippinen kamen die meisten Anträge.

Ab Juli 2023 bis November 2023 seien rund 1800 Anträge auf Anerkennung bei dem seitdem zuständigen Landesamt für Pflege (LfP) eingegangen. 800 davon wurde direkt zugestimmt. Der Rest der Antragssteller musste etwa Dokumente nachliefern. Die durchschnittliche Bearbeitungszeit beträgt laut LfP vier Wochen - ab dem Moment, an dem die zahlreichen Unterlagen vollständig vorliegen.

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Was das für die Antragssteller selbst bedeutet, weiß Maria Brusova aus Gießen. Die Ukrainerin befindet sich selbst im Anerkennungsprozess zur Pflegefachfrau. Sie betreibt eine Facebook-Gruppe mit knapp 3000 Mitgliedern, in der sich Pflegerinnen und Pfleger aus der Ukraine in Deutschland austauschen. Brusova nennt als Hauptsorgen der Arbeitswilligen vor allem die überlasteten Beratungsnetzwerke.

Außerdem seien die Sprachbarrieren und die immense Bürokratie belastend. Erstere werden wegen fehlender Plätze bei den Sprachkursen noch einmal verschärft. Durch Lehrgänge und Dokumentenbeschaffung kann der Antragsprozess laut Brusova mehrere Monate dauern. "In den besetzten Gebieten in der Ukraine gibt es keine zentrale Stelle, um diese Dokumente wiederbeschaffen zu können", schildert Brusova.

Grünen-Politikerin empört: "Staatsregierung behandelt hoch qualifizierte Arbeitskräfte als Bittsteller"

Claudia Köhler, Landtagsabgeordnete der Grünen, liegt das Thema am Herzen. Im Dezember sprach sie das Problem in einer Rede im Landtag an. "Diese Menschen bieten uns ihre dringend benötigte Arbeitskraft an – als Ärztinnen, als Pfleger, als Chemikerinnen, Ingenieure und vieles mehr", sagt sie der AZ.

Die Staatsregierung nehme eine wirtschaftlich äußerst schädliche Perspektive ein. "Sie behandelt selbst hoch qualifizierte Arbeitskräfte aus anderen Ländern noch immer als Bittsteller, lässt sie monatelang warten und verhindert systematisch schnelle Arbeitsintegration. Wie absurd", findet Köhler.

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47 Kommentare
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  • marshal am 07.02.2024 08:24 Uhr / Bewertung:

    Nun schauen wir doch Mal in ein typisches Einwandererland, wie es da läuft. In den USA wird weder das deutsche Medizinstudium, noch die Facharztweiterbildung anerkannt. Hier muss man das komplette Examen (drei Prüfungen) nachholen. Auch muss man als Nachweis, dass man Medizin studiert hat, diverse Nachweise der Hochschule vorlegen. Ein deutsche Approbation ist hier uninteressant. Gibt es Ausnahmen? Nein.

  • Therapeut am 06.02.2024 22:30 Uhr / Bewertung:

    Um falsche Vermutungen zu vermeiden:
    Aufbau des Medizinstudiums und klinische Ausbildung in Syrien orientieren sich am französischen System und sind somit dem deutschen ziemlich ähnlich.
    Unter anderem nachzulesen bei Wikipedia.

  • Kampfkatze am 06.02.2024 16:21 Uhr / Bewertung:

    Ich auch nicht. Sorry.

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