Projekt Cowerken im Westend: Inspirieren und unterstützen
Schwanthalerhöhe - Er sucht einen Kugelschreiber, also klappt Ludwig Prögler (31), schulterlange braune Haare, kurzerhand das staubige Skateboard um, das an der Wand lehnt, und rollt die 50 Meter quer über den glatten Werkstattboden. Es kommt ihm selbst noch unwirklich vor. Von einem Werkkeller mit acht Quadratmetern zu 100 und jetzt 1.200 Quadratmetern, die sie bespielen dürfen.
24 selbstständige Handwerker könnten schon in diesem Monat einziehen
Vor zwei Monaten hat der 31-Jährige die Halle einer ehemaligen Schuhfabrik in der Ridlerstraße mit seinem Freund und Geschäftspartner Dennis Maulbetsch (33) angemietet. Sie haben Werkbänke aus Massivholz rangeschafft, Maschinen montiert und Trennwände eingebaut.
Mitten im Westend entsteht die erste Gemeinschaftswerkstatt dieser Größe. 24 selbstständige Schreinerinnen, Restauratoren, Möbel-Designerinnen oder Bildhauer könnten hier schon in diesem Monat einziehen. Sie können eine Werkbank mieten, Maschinennutzung und Lagermöglichkeiten inklusive. Die ganzen 1.200 Quadratmeter Fläche gehören zum Münchner Zwischennutzungs-Netzwerk Mucbook Clubhaus. Das Netzwerk überlässt Cowerken die Fläche fast mietfrei.
Die großen Maschinen werden geteilt, das spart allen Geld
"Eben Cowerken", sagen die beiden Gründer im Vorstellungsvideo, so heißt ihre Idee. Zu ihrem Konzept gehört nicht nur eine geteilte Infrastruktur, sagt Dennis Maulbetsch. Der 33-Jährige sitzt in schwarzer Jeans, T-Shirt, Cap und weißen Sneakers auf einer karamellfarbenen alten Designer-Ledercouch. "Es geht uns um kreativen Austausch, sich zu unterstützen und zu inspirieren."
Und, das ist ihnen wichtig: "Ohne Knebelverträge." Im Gegenteil, die beiden wären "über den Mond glücklich", sagt Dennis, wenn Leute, die ihre Selbstständigkeit bei Cowerken starten, nach einiger Zeit nach draußen gingen, um ihr eigenes Geschäft zu gründen.
Gründer Maulbetsch: "Es geht darum, sich ausprobieren zu können"
Bei Schreibtischtätern sind Coworking-Spaces, das hippe Wort für Gemeinschaftsbüros, schon lange im Trend. Jetzt wollen Dennis Maulbetsch und Ludwig Prögler die Idee in gröbere Tätigkeiten übertragen.

Ihre Zielgruppe sind ausgebildete Handwerker und Handwerkerinnen, die eigene Ideen, Möbelstücke, Skulpturen oder Restaurationen umsetzen wollen.
Maulbetsch ist der Netzwerker, Prögler ist der Hausmeister
Cowerken soll ihnen den Sprung in die Selbstständigkeit ermöglichen. "Es geht darum, sich ausprobieren zu können, ohne von Anschaffungs- und Fixkosten erdrückt zu werden", sagt Dennis Maulbetsch.
Gerade in einer teuren, engen Stadt wie München sei es schwer, bezahlbare Räume zu finden. Auf einer Party hatten die beiden Gründer herausgefunden, dass das "Werkeln", wie sie es nennen, ihre gemeinsame Leidenschaft ist. Zuerst Schneidebretter, später bauten sie Nachttische und Hängeschränke. Die halbe Ausstattung in Ludwigs Wohnung sei in der winzigen Keller-Werkstatt entstanden.

"Bei uns ist es ein Hobby, aber wir lieben den Austausch mit Profis aus unterschiedlichen Disziplinen", sagt Maulbetsch. Dem 33-Jährigen leuchten die Augen, als er von nischigen Handwerkstechniken spricht und dass einer der letzten Drechsler ins Cowerken-Quartier einziehen wird.
Dennis Maulbetsch ist der Netzwerker, er betreut die Community und versucht, die Werkstatt nach außen bekannt zu machen. Ludwig Prögler, das sagt er selbst, ist der Hausmeister. Er kümmert sich um die Beschaffung, Einrichtung der Arbeitsplätze und darum, dass in der Werkstatt alles funktioniert. Daneben ist er Grundschullehrer für Werken.
Die Angst vor zu hohen Investitionen hemmt viele Handwerker
Maulbetsch hat über zehn Jahre in der Gastro- und Event-Branche gearbeitet und ist noch in Teilzeit beim Münchner Impact Hub beschäftigt. Für Cowerken haben sie seit Januar unzählige Überstunden investiert. Und Geld, viel Geld. Weil sie von keiner Bank einen Kredit bekamen, haben sie sich das Startkapital für ihre Investitionen privat zusammen geliehen - eine fünfstellige Summe.
Um das Budget zu schonen, haben sie jegliche Ausstattung gebraucht zusammengesammelt. Den Mut zu dieser Investition haben sie, weil sie an die Nachfrage glauben. Nachdem sie im Januar die Idee hatten, haben sie über Ebay Kleinanzeigen eine Anzeige geschaltet: Wer Interesse an einem Platz für selbstständiges Handwerken habe, solle sich melden. Innerhalb von 14 Tagen hatten sie 30 Anfragen im Postfach.

"Wir haben eine Art Workshop gemacht und ermittelt, welche Anforderungen die Leute an einen Arbeitsplatz haben", sagt Dennis. Dabei erfuhren sie auch, was sie bisher davon abgehalten hat, ihr eigenes Ding zu machen. "Da kam immer wieder das Gleiche: kein geeigneter Raum, die Sorge, keine Abnehmer zu finden oder Angst vor den hohen Investitionen." Als Schreiner, sagt Ludwig Prögler, seien das mit den gängigen Sägen und einem Absauger schnell um die 100.000 Euro.
Bei Cowerken werden die großen Schreinermaschinen geteilt. Um die Restlichen noch vorfinanzieren zu können, haben Maulbetsch und Prögler bis Mitte November noch ein Crowdfunding laufen. Auf der Plattform Startnext kann man das Werkstatt-Projekt unterstützen.
Die selbstständige Restauratorin Marielene Dreeßen könnte schon bald mit ihren Meißeln, Schleifpapier und Pinseln hier einziehen. Sie interessiert sich für einen Arbeitsplatz auf der vorderen Fläche; dort, wo die platzsparenden Gewerke wie Bildhauer, Drechsler oder Modellbauer Platz finden sollen.
Die 28-Jährige ist seit sieben Jahren ihre eigene Chefin. Gemeinsam mit ihrer Partnerin restauriert sie alte Möbelstücke, Türen und Skulpturen. "Ich finde die Community-Idee total super", sagt Marielene Dreeßen. Sie ist zwar selbstständig, aber hatte nie das Ziel, alleine zu arbeiten.
Es wird aber auch Angebote für Teilzeit- und Tagesmieten geben
Es sei ihr wichtig, sich austauschen zu können, mit Leuten, die die Schwierigkeiten in ihrem Beruf kennen, einen nach anstrengenden Kundengesprächen wieder aufmuntern können. Die vergangenen Jahre war sie in verschiedenen kleinen Werkstatt-Gemeinschaften, "aber ganz optimal war es bisher nie", sagt die Restauratorin.
Ob sie sich Cowerken anschließt, hinge von der monatlichen Miete ab. Gemeinschaft ist wichtig, aber Soloselbstständige müssen auch die Fixkosten gering halten, um für Kunden bezahlbar zu bleiben, sagt Dreeßen. 700 bis 900 Euro soll die Miete pro Werkbank kosten. Es wird aber auch Angebote für Teilzeit- und Tagesmieten geben.
Cowerken sei ein Gegenentwurf zu dem, was man in traditionellen Betrieben im Handwerk oft erlebe, sagt Marielene Dreeßen. "Das liegt aber nicht an der Handwerksarbeit an sich", sondern an den Arbeitsbedingungen.
Beim Cowerken gibt es keine Chefs und keine Hierarchie
Die Restauratorin kenne viele junge Handwerker, die ihre Tätigkeit lieben. Doch die alten Meister hätten häufig starre Arbeitsweisen und würden wenig Veränderung zulassen: Unattraktive Arbeitszeiten, ein rauer Ton und der Chef ist mehr Oberbefehlshaber als auf Augenhöhe.
In dem Flachbau der ehemaligen Schuhfabrik im Westend gibt es keine Hierarchien, sagen die Gründer Maulbetsch und Prögler. Aber einen Hausmeister und jemanden, der die Gruppe zusammenhält, sich um gemeinsame Werbung kümmert.
Je besser das Konzept aufgeht, desto bequemer soll es für alle werden. "Dann könnten wir darüber nachdenken, gemeinsam jemanden für die Buchhaltung zu engagieren", sagt Dennis Maulbetsch. Der Traum eines jeden kreativen Selbstständigen, dessen natürlicher Feind die Schreibtischarbeit ist.
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