Kult-Friseur aus München – Kamil Savasli über sein Leben in München: "Plötzlich tauchte der BND auf"
Schwabing - Kamil Savasli, 74, ist in Schwabing als "Jäm" bekannt. Er frisiert jeden Tag, meist Stammkunden, auch auf Empfehlung. An diesem ersten August-Freitag sitzt ein Sportreporter auf seinem Stuhl, er kommt aus Darmstadt, ist extra angereist zum ersten Spiel der Sechzger gegen Waldhof Mannheim.
Eigentlich ist es totaler Zufall, dass Jäm hier seit 36 Jahren die Schere schwingt. Genauso gut hätte er in Istanbul, Köln, London oder Paris leben können. Im Hintergrund summt der Langhaarschneider. Ein Gespräch im Hinterzimmer über Armut, Rückschläge, Befreiungsschläge und Schicksal.
AZ: Herr Savasli, Sie waren bestimmt einer der ersten Einwanderer in der Bundesrepublik, oder?
KAMIL SAVASLI: Das kann man so nicht sagen. Ich wollte 1972 eigentlich nur meine Cousins besuchen, Tuncer und Yurder. Eine Europatour sollte es werden.
In München?
In Köln! Sie arbeiteten bei Ford, beide schlaue, hochgebildete Ingenieure. Sie waren nach dem Militärdienst Ende der 50er eingewandert, 1959 und 1961. Beide lernten schnell die Sprache und blieben.
Schwabings Kult-Friseur Kamil Savasli: Eine Automechanikerlehre traute ihm die Familie nicht zu
Und dann haben Sie in Deutschland eine Frisörlehre gemacht?
Nein, nein, ich fange mal von ganz von vorne an.
Ja, bitte.
Geboren bin ich in Eskisehir. Wir waren sehr arm. Irgendwann zog meine Familie nach Istanbul, Stadtteil Okmeydani, weil man dort mehr Geld verdienen konnte. Ich besuchte 1963 noch die Mittelschule, siebte Klasse. Irgendwann sagte meine Mutter, ich soll doch lieber eine Lehre anfangen, ein bisschen Geld verdienen und die Schule abbrechen.
Wie machte sich das bemerkbar, die Armut?
Am Schulweg. Für die Hinfahrt mit dem Bus reichte das Geld. Für die Rückfahrt nicht mehr. Ich ging dann nach der Schule immer zu Fuß nach Hause. Ungefähr wie von Schwabing nach Pasing. Gut zehn Kilometer.
Und dann brachen Sie die Schule ab?
Richtig. Meine Familie überlegte, wo ich anfangen könnte. Eine Idee war, dass ich eine Automechanikerlehre mache. Aber ich war so schmächtig, sie trauten mir das nicht zu. Das kam kaum in Frage.
"Es war zufällig die richtige Wahl": Wie Kamil Savasli über seine Friseurlehre denkt
Dann fiel die Entscheidung auf die Friseurlehre.
Wir waren trotz allem gut vernetzt und hatten einen Bekannten, der einen recht berühmten und beliebten Frisörladen führte: Yilmaz Yakar, in Osmanbey. Ich war etwa 13 Jahre alt. Dort begann ich meine Lehre. Aber ich muss sagen, es war zufällig die richtige Wahl. Ich liebe meinen Beruf bis heute. Dabei ließ mir mein Vater immer eine Glatze schneiden, sobald die Haare etwas länger wurden, kürzer als beim Militär.
In der Türkei haben Sie damals während der Lehre bestimmt nur Männer frisiert.
Nein, ich lernte auch, Frauenhaare zu schneiden, zu färben zu modellieren. Das ist mein Spezialgebiet, das kann ich bis heute. 1965 machte ich meine Gesellenprüfung, später auch die Meisterprüfung.
Und dann blieben Sie dran?
Es lief gut damals mit dem Frisieren, es lag mir, ich machte zwischendurch meinen zweijährigen Militärdienst. Ich hatte irgendwann einen eigenen, gut laufenden Frisörladen in Istanbul, mit nur 17 Jahren, stellte ein paar Leute an - wollte aber die Welt sehen, mir Inspiration holen für meinen Beruf, in Deutschland, Frankreich und auch in Großbritannien, drei Monate lang. Ich hatte gutes Geld verdient, wollte und konnte mir das leisten.
Konnten Sie damals Deutsch?
Kein Wort. Es war eine Odyssee, bis ich mal in Köln angekommen bin. Ich musste ja in München am Hauptbahnhof ein Anschlussticket nach Köln kaufen. Jeder sprach mich auf Deutsch an, nix verstehen, bitte langsam sprechen, sagte ich. Als junger Mann war ich nämlich blond.
"Die besten Türken sind tote Türken": Was Schwabings Kult-Friseur in Deutschland erleben musste
Wo lebten Ihre Cousins, in welchem Stadtteil?
In Köln-Kalk. Ich hatte nach drei Wochen die Stadt erkundet und sagte zu meinen Cousins: Für mich ist es Zeit, weiterzuziehen, ich hatte noch über zwei Monate Urlaub, wollte nach Paris und London, um mich von der Crème de la Crème der Frisörmode inspirieren zu lassen.
Aber Sie blieben?
Nun ja, Geld war da, aber ich war naiv. Meine Cousins waren vernünftige Leute. Sie sagten, Kamil, wie willst du dich ohne Englisch und Französisch durch Frankreich und England schlagen? Ich dachte mir, sie haben völlig recht. Sie empfahlen mir, meinen Urlaub in Deutschland zu verbringen und Deutsch zu lernen bei Inlingua. Das habe ich dann gemacht, gleich am nächsten Tag fing der Kurs an, sechs Tage die Woche, je sechs Stunden.
Da hat sich bestimmt eine neue Welt für Sie eröffnet.
Einerseits ja, andererseits hätte ich gern auf manche Dinge verzichtet.
Wie meinen Sie das?
An der Bushaltestelle, dort, wo mein Cousin lebte, konnte ich bald die Sätze an den Wänden entziffern, also die Schmierereien. Und da stand "die besten Türken sind tote Türken, Ausländer raus". Das stand an vielen Wänden. Da war ich schon ziemlich entsetzt.
Der Fachkräftemangel brachte Kamil Savasli nach Deutschland
Wie ging es weiter?
Ich wollte unbedingt wissen, wie deutsche Kollegen arbeiten. Und wir gingen zu einem bekannten Friseur meines Cousins. Lothar, in Solingen. Bei ihm durfte ich ein paar Wochen übernachten. Er hatte sich gerade scheiden lassen und viel Platz im Haus.
Und durften Sie bei Lothar auch arbeiten?
Irgendwann habe ich gesehen, dass sie im Laden mehr Arbeit haben als Personal. Ich bot Lothar an mitzuhelfen. Meine Arbeit kam sehr gut an.
Ich bin gespannt, wie Sie am Ende in München gelandet sind.
Zunächst bin ich nach den drei Monaten wieder zurück nach Istanbul. Mein Laden war in einem fürchterlichen Zustand. Die Buchhaltung war im Chaos versunken, niemand hatte sich gekümmert, ich hatte Steuerschulden, musste die abbezahlen. Zwischendurch schickte mir Lothar eine Nachricht. Er fragte, ob ich nicht in Solingen dauerhaft in seinem Laden arbeiten möchte. Mir gefiel der Gedanke. Es herrschte Fachkräftemangel in Deutschland.
Aber Sie hatten doch keine Arbeitserlaubnis.
Lothar hatte sich um alle Details gekümmert und schickte irgendwann ein Paket mit allen Dokumenten. Es fehlte nichts. Damit ging ich dann zur Deutschen Botschaft in Istanbul, nahe Taksim. Eine ewige Warteschlange. Hat bestimmt eine Stunde gedauert, bis ich dran war.
Spitzname "Jäm": So kam Kamil Savasli nach München
Dann sind Sie wieder in Solingen gelandet.
Es ging super los. Aber irgendwann merkte ich, dass mir der Laden zu klein ist, ich war unglücklich. Schweren Herzens bat ich Lothar, kündigen zu dürfen. Er war natürlich nicht glücklich.
Wo haben Sie dann weitergemacht?
In Düsseldorf gab es eine recht große Frisörkette. Friseur Jung, von Friedrich Jung. Er sah mich, 26, blond, dynamisch, und fragte sofort, wann ich anfangen kann. Ich sagte, frühestens in drei Monaten, wegen meiner Kündigungsfrist. Ich fing also bei Jung an und machte ein bisschen Karriere, wurde schnell zu einer Art Personalmanager und Ausbilder.
In München haben Sie den Spitznamen Cem ("Jäm"). Woher kommt der?
Das war aus so einer Kegellaune heraus. Mit Lothar gingen wir regelmäßig kegeln. Ich stellte mich vor und keiner konnte meinen Namen Kamil aussprechen. Sie sagten: Such dir doch einen deutschen Spitznamen aus. Das wollte ich nicht. Und der erstbeste Name, der mir einfiel und den sie aussprechen konnten, war Cem. Seither ist der geblieben.
Jetzt weiß ich immer noch nicht, wie Sie in München gelandet sind.
Hin und wieder fuhr ich in den 80ern nach Bayern, Bayerischer Hof in München. Es gab dort Frisur-Seminare, die wir veranstalteten. Die Leute zahlten bis zu 180 D-Mark dafür.
Schwabings Kult-Friseur: "Ich arbeitete viel und verdiente wirklich gutes Geld"
Das war damals bestimmt viel Geld.
Ich kannte die Stadt schon durch diese Seminare, kannte einige Leute. Es ging dann weiter mit Salonschulungen, in Wuppertal, Solingen, Düsseldorf und auch weiterhin in München. Veranstalter war häufig L'Oréal. Ich arbeitete viel und verdiente wirklich gutes Geld. Letztlich war eine Freundin meiner Schwester der Grund, weshalb ich nach München kam. Sie hieß Asude.
Jetzt bin ich gespannt. Eine Liebesgeschichte?
Nein. Ich wollte ihr helfen. Sie lebte damals in Izmir, wo ich auch einen Friseurladen eröffnet hatte, 1977. Als Investition, mit 18 Mitarbeitern. Bis 1986 hatte ich den. Meine Schwester war die Geschäftsführerin. Der Laden war sehr gut besucht.
Was war nun mit Asude?
Sie wollte unbedingt nach Deutschland. Ich lieh ihr Geld. Viel Geld. In der Türkei herrschten politisch extrem wirre Zeiten. 1980 putschte das Militär, Ausgangssperren, Verhaftungen, Straßenschlachten. Asude bot mir an, ein Lederwarengeschäft zu eröffnen. Sie sagte, sie kenne viele Hersteller, kannte sich zwar nicht mit dem Material aus, aber behauptete, dass sich damit viel Geld verdienen ließe. Ich hatte ein gutes Gefühl und willigte ein.
Und sie eröffnete ein Lederwarengeschäft in München?
Ja, Leopoldstraße, im Citta 2000. Dort, wo heute dieses Steakhouse ist.
Warum München?
Asude hatte hier Verwandte.
Kamil Savasli über Besuche vom BND und Besuche von Helmut Fischer
Aber es lief schief?
Sie bekam nur B-Ware geliefert, zu kurz, zu lang, zu weit, zu schlecht. Ich kam 1981 nach München und blieb, um aus dem Schlamassel wieder rauszukommen, hatte Zehntausende Euro investiert. Gleichzeitig gab es auch eine seltsame Episode. Ihre Verwandten waren wohl teils bekannt mit dem Papst-Attentäter Mehmet Ali Agca, der sich damals häufiger in Münchner Nachtclubs herumtrieb. Asude bekam einige Male Besuch von Geheimdiensten, ich glaube BND, groß gewachsene Muskelberge mit Lederjacken. Für mich war das endgültig das Zeichen, den Laden abzuwickeln. Das war mir alles zu brisant.
Sie haben viel Geld verloren.
Ich hätte mehr verloren, wenn ich den Laden nicht eigenhändig geschlossen hätte.
Und so blieben Sie in München.
Ich war ja gut vernetzt über die Seminare und fand schnell einen Job. Erst im Luitpoldblock.
Wo ist Asude heute?
In den USA.
Und seit 1987 haben Sie den Laden an der Kurfürstenstraße.
Richtig.
War jemals Helmut Fischer da, um sich frisieren zu lassen?
Wer?
Der Schauspieler, der Monaco Franze.
Kann ich nicht ausschließen.
- Themen:
- München
- Schwabing-West