Interview

SPD-Chefin Saskia Esken kritisiert: "Haben viele Menschen als Angriff auf ihr Leben empfunden"

Die Bundesvorsitzende der SPD, Saskia Esken, über ein Verbot der rechten Partei, Waffen für die Ukraine und ihre Erwartungen an die Genossen in Bayern.
Natalie Kettinger
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"Bayern hat die Sozialdemokratie in der Regierung verdient", sagt SPD-Chefin Saskia Esken.
"Bayern hat die Sozialdemokratie in der Regierung verdient", sagt SPD-Chefin Saskia Esken. © Felix Zahn/ photothek.net/ imago

Saskia Esken (61) sitzt seit 2013 im Bundestag und ist seit 2019 eine der beiden SPD-Bundesvorsitzenden. Um die Bayern-SPD im Landtags-Wahlkampf zu unterstützen, war sie gerade in Bayern. Die AZ hat sie getroffen.

AZ: Frau Esken, Sie haben ein Verbot der AfD ins Spiel gebracht. Ist die Verzweiflung über den Höhenflug der Rechten bereits derart groß?
SASKIA ESKEN: Die AfD ist eine Gefahr für unsere Demokratie. Sie hat ganz klar das Ziel, unsere Gesellschaft zu spalten und unsere Verfassung zu untergraben. Menschenrechte, Gleichberechtigung, das Verbot der Diskriminierung – all unsere gemeinsamen Werte sind ihr fremd. Ihr völkischer Nationalismus ist ein Konzept zur Wohlstandsvernichtung und zur Zerstörung unserer Demokratie. Das werden wir nicht zulassen.

Vermeintlich einfache Lösungen der AfD: "So könnte unsere Volkswirtschaft nicht existieren"

Ist ein solcher Vorstoß nicht erst recht Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten?
Möglicherweise ist das auch mit der Einschätzung ihrer Programmatik so. Wenn ich von Hass und Hetze spreche, von völkischem Nationalismus und Rechtsradikalismus, dann löst das natürlich Wut aus – und bei manchen Menschen vielleicht das Gefühl: Jetzt erst recht. Aber wir erleben seit Jahren eine Radikalisierung der AfD. Das schreckt ihre Wähler aber nicht ab. Deswegen müssen wir auf die Gefahr hinweisen.

Was finden die Menschen bei der AfD, was sie bei anderen Parteien nicht finden?
Vermeintlich einfache Antworten auf die Überkomplexität dieser Welt und auf die Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind. Die Notwendigkeit von Veränderung wird einfach negiert: Diesen menschengemachten Klimawandel gibt es nicht, deswegen muss man nichts dagegen tun. Der Fachkräftemangel verschwindet von selbst, deshalb schicken wir alle nach Hause, die jemals zu uns gekommen sind. So könnte unsere Volkswirtschaft nicht existieren. All das den Menschen deutlich zu machen, ist das eine. Gleichzeitig erleben wir aber, dass die AfD rechtsradikale, völkische, rassistische, antisemitische Aussagen in den Bereich des Normalen, des Sagbaren rückt, was am Ende auch zu Gewalt führt: Die Angriffe auf Flüchtlingsheime nehmen wieder zu. Und wir alle erinnern uns doch mit Schrecken an die 90er Jahre, an Mölln, an Rostock-Lichtenhagen, an die rassistische Mordserie des NSU.

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Wie viel Schuld trägt die Ampel an dieser Situation?
Wenn wir uns die Entwicklungen von rechtsradikalen Bewegungen überall auf der Welt ansehen, erkennt man schnell, dass dies kein rein deutsches Phänomen ist. Trotzdem ist es natürlich unsere Aufgabe, gerade in diesen krisenhaften und mit komplexen Herausforderungen belegten Zeiten, gute, soziale und pragmatische Antworten zu geben – und sie auch zu erklären. Aber dafür haben wir kompetente Leute in der Regierung, in Bundestag und Bundesrat.

Trotzdem dürften die Dauerstreitereien in der Ampel – ob Heizungsgesetz, Kindergrundsicherung, oder Schuldenbremse – die Politikverdrossenheit mancher Menschen befördert haben.
Das Gebäudeenergiegesetz nimmt da eine Sonderrolle ein, aber nicht wegen des Streits. Es wurde in einer Situation zum Thema, als wir durch verantwortungsvolle Politik die Krise um die Energieversorgung gerade abgewendet hatten: Wir hatten keinen Wut-Winter, keine Wärmestuben und keine Drosselung der industriellen Produktion. Wir hatten also eine Phase überstanden, die die Menschen sehr verunsichert hatte. Und da kommt die Ampel daher und sagt: Wir müssen auch in der Wärmewende vorangehen und gehen jetzt an eure Heizungen. Das haben die Menschen als Angriff auf ihr persönliches Leben empfunden. Es ist nicht genügend beachtet worden, wie nahe das den Menschen geht, vor allem nicht in der Kommunikation.

Umsetzungen des Klimageldes: "Die Aufgabe liegt beim Bundesfinanzminister"

Was hätte man anders machen müssen?
Man hätte vom ersten Tag an sagen müssen: Wir wissen doch alle, dass der CO2-Ausstoß zu über 30 Prozent in Gebäuden verursacht wird. Wenn wir den Klimawandel, dessen Folgen wir überall sehen, aufhalten wollen, muss sich etwas ändern. Wir werden es aber so machen, dass sich die Menschen die Umstellung finanziell leisten können und sie pragmatisch lösbar ist. Wir verlangen nicht, dass sich alle nächste Woche neue Heizungen einbauen. Es gibt Übergangsfristen, Ausnahmeregelungen und Unterstützung. Mit dieser Art der Kommunikation hätte man mehr Vertrauen bilden können, und das ist in diesen Zeiten so wichtig.

Der CO2-Preis soll ab Januar von 30 auf 40 Euro pro Tonne steigen. Wann und in welcher Höhe kommt das Klimageld, mit dem die Bürger entlastet werden sollen?
Das Klimageld ist versprochen, es steht im Koalitionsvertrag und nun müssen dafür die Strukturen geschaffen werden. Noch fehlen ja die Register und Datenstrukturen, um den Bundesbürgern direkt Geld zu überweisen. Der Staat kennt Ihre Steuernummer, aber keine dazugehörige Kontonummer. Diese Informationen müssen erhoben und zusammengeführt werden. Die Aufgabe liegt beim Bundesfinanzminister und ich gehe davon aus, dass er sehr bald ein Konzept dafür vorlegen wird.

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Migrationspolitik der SPD: "Müssen klarer sagen, dass die, die nicht bleiben können, gehen müssen"

Wie hoch wird das Klimageld ausfallen?
Uns ist es wichtig, dass das Klimageld, das pro Kopf ausgezahlt werden soll, klimafreundliches Verhalten honoriert. Jemand, der einen großen Wagen mit hohem Verbrauch fährt und dadurch hohe Benzinkosten hat, wird nicht mehr erhalten als derjenige, der mit der Bahn fährt und keine höheren Kosten hat.

Sie haben in einem Interview gesagt, Sie wollen Ordnung in die Migrationspolitik bringen. Was schwebt Ihnen vor?
Wir müssen Menschen, die zu Recht Schutz bei uns suchen, weil sie verfolgt werden oder vor einem Krieg fliehen, auch helfen können. Dafür wollen wir im Rahmen der Asylreform auf europäischer Ebene mehr Solidarität, aber auch mehr Ordnung in die Asylpolitik bringen. Gemeinsam als Europäische Union können wir denen Schutz und Unterstützung bieten, die es brauchen – und wir müssen klarer sagen, dass diejenigen, die nicht bei uns bleiben können, auch wieder gehen müssen. Gleichzeitig bieten wir als Deutschland den Herkunftsländern in Migrationsabkommen an, andere Zugangswege auf unseren Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Wir brauchen ja Zuwanderung, Fachkräfte und solche, die es werden wollen. Mit dem Fachkräftezuwanderungsgesetz, das wir vor der Sommerpause beschlossen haben, wollen wir das voranbringen.

Die Bilanz der Ampel-Koalition: "Wir haben viele Vorhaben auf den Weg gebracht"

Die Zentren an den EU-Außengrenzen, in denen geklärt werden soll, ob die Menschen eine Chance auf Asyl haben, sind umstritten. Wie stehen Sie dazu?
Wenn sie – anders als in Moria oder Lampedusa – den menschenrechtlichen und den rechtsstaatlichen Prinzipien genügen, die wir als Wertegemeinschaft Europäische Union teilen, wenn die Verfahren tatsächlich zügig abgewickelt werden, dann bin ich bereit, solche Lager zu akzeptieren. Wir müssen aber darauf schauen, dass besonders schutzwürdige Gruppen und insbesondere Familien und Kinder besonderen Schutz genießen und nicht diese gesonderte Unterbringung und diese Schnellverfahren durchlaufen müssen.

Im Winter ist die Ampel-Regierung zwei Jahre im Amt. Wie fällt Ihre bisherige Bilanz aus?
Die Ampel war keine 100 Tage im Amt, als sie sich mit einer brutalen neuen Realität auseinandersetzen musste: dem Überfall Russlands auf die Ukraine. Unsere europäische Friedensordnung, die internationale Zusammenarbeit und unsere Energieversorgung – alles ist dadurch infrage gestellt worden. Wir hatten also nicht nur die Corona-Pandemie in ihren letzten Zügen zu bewältigen, sondern eine weitere Krise mit gewaltigen geopolitischen wie innenpolitischen Herausforderungen. Und dennoch hat diese Ampel-Regierung, die viel kreatives, gesellschaftsförderliches Potenzial aus der Unterschiedlichkeit ihrer Partner gezogen hat, in den zwei Jahren viel Wichtiges und Gutes entschieden. Wir haben eine große Zahl von Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag auf den Weg gebracht, die unsere klimaneutrale Zukunft betreffen und den sozialen Zusammenhalt, viele davon völlig geräuschlos und in großer Einigkeit. Zuletzt war das kurz vor der Sommerpause das Gesamtkonzept zur Bewältigung des Fachkräftemangels durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz sowie gleichzeitig die Stärkung von Aus- und Weiterbildung der Menschen, die bereits hier sind.

Die SPD-Spitze um den Bundesvorsitzenden Lars Klingbeil, die Bundesvorsitzende Saskia Esken, Bundeskanzler Olaf Scholz und Generalsekretär Kevin Kühnert (v. li.).
Die SPD-Spitze um den Bundesvorsitzenden Lars Klingbeil, die Bundesvorsitzende Saskia Esken, Bundeskanzler Olaf Scholz und Generalsekretär Kevin Kühnert (v. li.). © Christophe Gateau/dpa

Mehr Waffen für die Ukraine? "Bundeskanzler lässt sich nicht von lauten Stimmen treiben"

Aktuell werden, auch in der SPD, Stimmen laut, man müsse der Ukraine Taurus-Marschflugkörper liefern. Teilen Sie diese Forderung?
Wir unterstützen die Ukraine seit 17 Monaten in ihrem Kampf gegen den russischen Aggressor und werden es auch weiterhin tun. Erst in den letzten Tagen ist durch die Veröffentlichung auf der Homepage des Bundesverteidigungsministeriums dokumentiert worden, dass wir weitere Patriot-Systeme geliefert haben. Wir handeln in diesen Fragen immer in enger Abstimmung mit unseren internationalen Partnern, insbesondere den USA, und das werden wir auch in dieser Frage so halten. Ich bin, ehrlich gesagt, sehr froh – und ich glaube, diese Haltung teilen viele Bundesbürger –, dass unser Bundeskanzler sich hier nicht von lauten Stimmen treiben lässt.

Ein anderes Thema, das derzeit die Gemüter bewegt, ist der subventionierte Industriestrompreis für energieintensive Unternehmen, den Sie begrüßen würden. Die FDP bremst mit dem Argument, der Mittelstand müsse das dann finanzieren.
Auch der wirtschaftliche Mittelstand ist in Teilen energieintensiv und leidet genauso unter hohen Energiepreisen – das ist kein Widerspruch. Wir sollten uns nicht in eine wirtschaftliche Depression hineinreden lassen, aber es ist schon notwendig, dass wir diejenigen unterstützen, die sich jetzt auf den Weg machen, klimaneutral zu produzieren. Das ist unser Weg: Wir halten an der industriellen Produktion fest, stärken sie sogar, denn sie ist die Basis unseres Wohlstandes. Dass wir bisher noch keine ausreichende und damit preisgünstige Versorgung mit Erneuerbaren Energien haben, macht es notwendig, eine Brücke zu bauen, damit der Umbau gelingt. Diese Brücke ist der Transformations- oder Industriestrompreis. Gleichzeitig muss natürlich in die Infrastruktur, den Ausbau der Erneuerbaren, in Straßen und Schienen, in Datennetze, aber auch in Kitas und Schulen investiert werden.

SPD-Wahlkampf in Bayern: "Freistaat hat die Sozialdemokratie in der Regierung verdient"

Lassen Sie uns nach Bayern schauen: Hierzulande sorgt für Unmut, dass die Fördermittel des Bundes für Agrarstruktur und ländliche Entwicklung um insgesamt 453 Millionen Euro gekürzt werden sollen. Wie erklären Sie das den Menschen?
Wir hatten eine schwierige Einigung auf Haushaltseckpunkte im Kabinett. Alle Ressorts mussten ihre Mittel zusammenstreichen, wenn wir ohne zusätzliche Einnahmen zu einem Nach-Krisen-Haushalt kommen und die Schuldenbremse einhalten müssen. Anders geht es nicht in einer Koalition mit der FDP, die nicht bereit ist – wie etwa die SPD –, sehr hohe Einkommen und Vermögen zu mehr Verantwortung heranzuziehen. Aber das Kabinett hat lediglich Eckpunkte festgelegt. Die Menschen im ländlichen Raum können sich darauf verlassen, dass unsere Abgeordneten, die den Haushalt ja verhandeln und beschließen, ein Auge darauf haben, dass wir nicht ausschließlich Politik für die Städte machen. Das wird nicht geschehen.

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Auch beim Ehegattensplitting gehen die Meinungen zwischen SPD und FDP auseinander. Was versprechen Sie sich von einer Abschaffung?
Die Förderung der Alleinverdiener-Ehe kann nicht die Aufgabe des Staates sein. Wir wollen Gemeinschaften fördern, die füreinander Verantwortung übernehmen, insbesondere wenn sie Kinder haben und propagieren deshalb ein Familiensplitting. Außerdem sehen wir die negativen Auswirkungen des Ehegattensplittings auf den Arbeitsmarkt: 2,5 Millionen Frauen arbeiten in Deutschland in Teilzeit. Das ist die höchste Quote weit und breit. Man mag gar nicht daran denken, was das für die Rente der Frauen bedeutet. Außerdem fehlt ihre Leistung unserer Volkswirtschaft. Würden diese 2,5 Millionen Frauen jeweils eine Stunde mehr arbeiten, entspräche das dem Äquivalent von 70.000 Vollzeit-Arbeitskräften. Die dauerhaft zu integrieren, wäre ein riesiger Schritt. Die FDP hat Sorge, dass mit der Abschaffung des Ehegattensplittings eine Mehrbelastung für manche Leute verbunden ist. Aber wir haben von vorneherein deutlich gemacht, dass es uns nur um neu geschlossene Ehen geht. Ich denke, da muss man noch ein wenig Überzeugungsarbeit leisten.

Ihr Generalsekretär Kevin Kühnert hat unlängst im Gespräch mit der AZ gesagt, er erwarte, dass die Bayern-SPD am 8. Oktober mit einem "klar zweistelligen" Ergebnis durchs Ziel geht. Wo sehen Sie die Genossen im Freistaat?
Ich sehe, dass die Bayern-SPD mit einer engagierten Basis und dem großartigen Spitzenkandidaten Florian von Brunn mit aller Kraft kämpft und wir "Berliner" unterstützen sie darin. Bayern hat die Sozialdemokratie in der Regierung verdient und braucht eine sozialdemokratisch geprägte Politik. Die Konzepte, die die Landes-SPD für Bayern entwickelt hat – gleichzeitig Innovation und Wirtschaftskraft zu fördern, aber auch die Familien, etwa mit der Betreuungsmilliarde –, sind klug und antworten genau auf die Herausforderungen, über die wir jetzt die ganze Zeit gesprochen haben.

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  • Durchblicker am 15.08.2023 21:40 Uhr / Bewertung:

    "Müssen klarer sagen, dass die, die nicht bleiben können, gehen müssen. Ich staune, jetzt ist das Problem sogar schon bei der SPD angekommen, in 10 Jahren vielleicht bei der EU, in 20 Jahren bei den Grünen und in 30 Jahren wird eventuell entsprechend gehandelt (optimistisch vorhergesagt!).

  • eule75 am 15.08.2023 16:03 Uhr / Bewertung:

    Da wird herumgewurbelt, Fakt ist, die Ampel bringt es nicht - im Gegenteil. Frau Esken: Die Bevölkerung kann eigenständig denken und beurteilen.

  • Geradeaus-Denker am 15.08.2023 22:41 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von eule75

    Wow! Ich bin echt super-begeistert von der logischen, mit Fakten untermauerten Argumentationskette.

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