Pussy Riot: "Hört auf, den Krieg mit Geld für Öl und Gas zu sponsern"
München - Marija Aljochina findet klare Worte: "Es wird noch mehr Blutvergießen in der Ukraine geben, wenn Europa nicht aufhört, den Krieg mit Geld für Öl und Gas zu sponsern, und das ist absolut unfair", sagt die Musikerin, die neben dem inhaftierten Kreml-Kritiker Alexej Nawalny zu den bekanntesten Oppositionellen Russlands gehört: Sie ist Gründungsmitglied der Band "Pussy Riot", die 2012 mit ihrem "Punk-Gebet" in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale Schlagzeilen machte - und saß dafür eine zweijährige Gefängnisstrafe ab (weitere und Monate des Hausarrests folgten).
"Unsere Telefone werden durchwegs abgehört"
Am Dienstagabend sind die Aktivistinnen auf ihrer Europa-Tournee "Riotdays 2022" zu Gast in den ausverkauften Kammerspielen, zuvor sprachen Aljochina und Musiker-Kollegin Diana Burkot über ihre Beweggründe.
"Unsere Telefone werden durchwegs abgehört, unsere Wohnungen von der Polizei überwacht", erzählt Aljochina. Deshalb habe sie einen Trick angewandt, um zunächst das Appartement einer Freundin und dann das Land zu verlassen: Als Pizzalieferantin verkleidet, schlich sie sich durch die Hintertür, schaffte es über Weißrussland und Litauen bis nach Deutschland. Als Flucht will sie ihr Entwischen allerdings nicht bezeichnen: "Ich wollte an dieser Tour teilnehmen, einen Song gegen Putins Angriffskrieg schreiben und die Ukraine bestmöglich unterstützen."
Konzert-Einnahmen gehen an ein Kinderkrankenhaus in Kiew
Die Einnahmen der Konzerte, organisiert von der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, gehen deshalb an ein Kinderkrankenhaus in der ukrainischen Hauptstadt Kiew.
Dass dort überhaupt kriegsversehrte Mädchen und Buben behandelt werden müssen, sieht Aljochina auch als Teilschuld der internationalen Gemeinschaft. Als sie 2014 aus der Haft entlassen worden sei, habe sie sich in einem veränderten Russland wiedergefunden - in einem Russland, das soeben die ukrainische Krim annektiert hatte.
"Den ersten Kriegsmonat saß ich in einer Arrestzelle"
"Wir waren total schockiert und verärgert darüber, dass es fast keine Sanktionen gab und schon bald wieder alle mit Putin Hände geschüttelt haben." Hätte die Welt damals schon entschlossen reagiert, wäre es vielleicht nicht zum Einmarsch in die Ukraine gekommen, sagt sie. Einer Aggression, die mittlerweile Zehntausende Tote gefordert hat - und die wohl Tausende Oppositionelle in Russland ins Gefängnis gebracht hat.
"Den ersten Kriegsmonat saß ich in einer Arrestzelle", erzählt Aljochina. "Wir waren zu zwölft und viele waren Kriegsgegnerinnen - das ist mein Russland!" Wie hier in Deutschland hätten auch in Russland Menschen anfangs ihre Solidarität mit der Ukraine bekundet, indem sie auf Demonstrationen gingen oder die Fahne des Nachbarlandes aus dem Fenster hängten. Doch dann wurde die Repression immer stärker.
Pussy Riot: Geht härter gegen Russland vor!
Protest sei verboten, ein Mann, der mit einem "Kein Faschismus"-Schild auf die Straße gegangen war, sei wegen Missachtung der russischen Armee festgenommen worden - genau wie ein anderer, der Exemplare von George Orwells Klassiker "1984" an Passanten verteilt habe, zählt Diana Burkot auf. Ihnen allen drohten mehrjährige Haftstrafen.
Schon für ein Graffito könne man 48 Monate Gefängnis bekommen. "Und es wird immer schwerer herauszufinden, wie viele Menschen eingesperrt wurden oder das Land verlassen haben, weil es ja keine unabhängigen Medien mehr gibt", ergänzt Aljochina. Trotzdem gebe es beeindruckende Partisanen-Aktionen.
Und wieder appelliert die Musikerin an die Welt, härter gegen ihr Heimatland vorzugehen. "Noch werden Polizei und Armee in Russland außerordentlich gut entlohnt. Doch ich bin davon überzeugt, dass sie ohne Bezahlung keine Menschen mehr schlagen, keine Menschen mehr verhaften und diesen Polizeistaat nicht länger aufrecht erhalten würden. Deshalb ist es besser, sie nicht weiter mit Gehalt zu versorgen."
Marija Aljochina: "Im Gefängnis habe ich aufgehört, langfristig zu planen"
Dass mittlerweile über einen Kompromiss-Frieden diskutiert wird, bei dem Russland Teile der Ukraine zugesprochen würden, bringt Aljochina regelrecht in Rage. "Was würden diese Leute sagen, wenn Putin in Deutschland einmarschiert", fragt sie demonstrativ. "Gebt ihm doch ein kleines Stück? Vielleicht eine kleine Stadt?"
Ob sie vorhabe, nach der Tournee nach Russland zurückzukehren, will am Ende noch jemand wissen. Im Gefängnis, sagt Marija Aljochina, habe sie aufgehört, langfristig zu planen.