Experte sicher: Auf dem Oktoberfest werden Hygienestandards systematisch unterlaufen

Die Kaltspülung der Maßkrüge hat im vergangenen Jahr zu einer großen Kontroverse über die Hygienebedingungen auf der Wiesn geführt. Hat sich was geändert?
Thilo Komma-Pöllath |
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Wie hygienisch sind die Maßkrüge auf der Wiesn? Darüber gibt es unterschiedliche Meinungen.
Wie hygienisch sind die Maßkrüge auf der Wiesn? Darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. © imago/Ralph Peters

München - Gemeinhin möchte man glauben, dass die Münchner Wiesnwirte kurz vor einer neuen Oktoberfest-Ausgabe ganz gerne über ihre Wiesn plaudern. Auch deshalb haben die 14 Wirte der großen Zelte mit Peter Inselkammer und Christian Schottenhammel eigens zwei Sprecher installiert.

Das größte und profitabelste Volksfest der Welt ist ja in der Tat eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Rund sechs Millionen Besucher trinken rund sechs Millionen Liter Bier und sorgen für einen städtischen Milliarden-Umsatz. Aber: weit gefehlt.

Auf Interviewanfrage der AZ meldet sich ein eigens engagierter Pressesprecher der Wirtesprecher mit einer Absage. "Die Wiesnwirte halten sich selbstverständlich an alle Vorschriften, die von den Behörden erlassen werden. Von daher sind die Wiesnwirte auch nicht die richtige Adresse, um über staatliche Hygiene-Richtlinien und -Vorgaben zu sprechen."

Die AZ-Anfrage hatte sich auf die umstrittene Kaltspülung der Maßkrüge in den Bierzelten bezogen, die im vergangenen Jahr große Kritik hervorrief. Auch Wiesn-Chef Clemens Baumgärtner will sich auf Nachfrage nicht in Sachen Wiesn-Hygiene äußern. Das städtische Wirtschaftsreferat von Baumgärtner verfüge "in Sachen Hygiene über keine eigene Expertise", so dessen Sprecher und verweist auf die Zuständigkeit des Gesundheitsreferats, das an der gängigen Praxis keinen Anstoß nimmt.

Professor sicher: Auf der Wiesn werden Hygienestandards systematisch unterlaufen

Nach den Schlagzeilen um die umstrittene Kaltspülung der Maßkrüge vom letzten Jahr mag einen das Schweigegelübde der großen Wiesn-Drei wundern. Im vergangenen Jahr hatte die AZ offengelegt, dass erst Temperaturen ab 65 Grad zur Inaktivierung der allermeisten Viren und Bakterien in den Maßkrügen führen und bezog sich dabei auf eine unabhängige Studie des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR).

Professor Benjamin Eilts, der an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen zu angewandter Reinigung und Hygiene forscht, bestätigte das BfR-Ergebnis. Sein Urteil:  Auf dem Oktoberfest werden Hygienestandards von den Wirten systematisch unterlaufen. Auch deshalb gibt es immer mehr Wissenschaftler, die trotz fehlender Studien in der mangelnden Krughygiene den größten Treiber der Wiesngrippe sehen, an der jedes Jahr Tausende Besucher erkranken.

In München arbeitet etwa eine Forschergruppe aus LMU, TU und einem Start-up daran, Viren und Bakterien in Bierzelten mithilfe von gebündeltem UV-C Licht zu deaktivieren, 2023 ist dafür auch ein Pilotprojekt in einem kleineren Oktoberfestzelt vorgesehen. Das Problem ist groß und immer noch ungelöst.

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Noch vor einem Jahr, als die Kritik an der Krughygiene aufkam, reagierten CSU-Mann Baumgärtner und die beiden Wiesn-Sprecher nicht mit Schweigen, sondern blitzschnell. Baumgärtner schnappte sich in einem Wiesnzelt sein Handy, stellte auf Videomodus und gab Inselkammer und Schottenhammel auf seinem Instagram-Kanal Gelegenheit, die Kritik an der Spülpraxis zu entkräften.

Baumgärtner: "Da ist die berühmte Krugspülmaschine und um die ranken sich ganz viele Mythen. Ist Kaltspülen sauber, was sagts ihr zwei dazu?" Antwort Inselkammer: "Die Krüge werden super desinfiziert, sind total sauber. (...) Da darf wirklich absolut niemand Bedenken haben." Antwort Schottenhammel: "Absolut! Wirklich keimfrei, wirklich jeder soll auf die Wiesn kommen und sich sicher fühlen." Baumgärtner schließt mit der Bemerkung: "Das waren mal zwei klare Statements. Kommts auf die Wiesn, habts viel Spaß."

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Aussagen des Wiesn-Chefs und der Wirtesprecher sind nicht haltbar

Im Text unter dem Video schreibt Baumgärtner, dass die Gläserspülanlagen "höchsten hygienischen Standards genügen und dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen". Eine ziemlich einhellige Meinung der drei, die nach eigenen Angaben über keine eigene Expertise in Sachen Hygiene verfügen.

Tatsächlich sind die Aussagen Baumgärtners und der Wirtesprecher wissenschaftlich nicht haltbar. Will man etwas über die tatsächliche Hygiene auf dem Oktoberfest erfahren, dann führt an der Firma Winterhalter kein Weg vorbei. Winterhalter ist der Porsche unter den Herstellern für gewerbliche Spülmaschinen. Auf Anfrage erklärt das Unternehmen, dass man mit 100 Maschinen auf dem Oktoberfest vertreten sei, darunter Untertisch-, Haubenspül-, Korbtransport- oder Mehrtankbandtransportspülmaschinen, dazu 40 mobile Gläserspülmaschinen vom Typ STF Bavaria, der ganze Stolz des Herstellers aus Meckenbeuren vom Bodenseekreis.

Ob in der Schützenfesthalle, im Marstall oder in der Ochsenbraterei, kaum ein Wiesnzelt kommt ohne die STF Bavaria aus. Anders als der Wiesnchef und seine Wirte geht Winterhalter in diesem Jahr ungwöhnlich offensiv mit der Hygienewirkung seiner Oktoberfest-Maschinen in die Öffentlichkeit. Zum ersten Mal, so bestätigt eine Sprecherin, auch weil die Kaltspülung der Krüge immer wieder in der Kritik stehe.

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Hersteller entwickelt "spezielle Krugspülmaschine" fürs Oktoberfest

In einer Pressemitteilung und einem LinkedIn-Blog spricht der Hersteller davon, dass er eigens "für die extremen Anforderungen auf dem Oktoberfest" eine "spezielle Krugspülmaschine" entwickelt habe, die "in einer Stunde bis zu 2.800 Maßkrüge hygienisch sauber" spülen könne. Gemeint ist die STF Bavaria, die trotz Kaltspülung "die volle Hygiene-Sicherheit gemäß DIN 10511" garantiere – die nationale Norm für gewerbliches Gläserspülen.

Doch wie gelingt das? Im Gespräch verrät Verena Rist, Marketing-Managerin bei Winterhalter, dass auch die STF Bavaria im Normaleinsatz heiß spüle, nur sei auf dem Oktoberfest der Krugdurchsatz pro Stunde so hoch, dass kalt gespült werden müsse. Bei einem herkömmlichen Spülgang würden die dickwandigen Maßkrüge soviel Hitze aufnehmen, dass man sie nicht sofort wieder neu befüllen könnte, so Rist. Winterhalter spricht in seinem Blog von 30.000 neu gefüllten Maßkrügen pro Stunde. Und trotzdem würde die STF Bavaria "absolut vergleichbare" Ergebnisse wie eine Heißspülung liefern und 99,999 Prozent aller Keime abtöten – so wie es vorgeschrieben ist.

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Hygienische Reinigung der Maßkrüge auf der Wiesn? Experte hat seine Zweifel

Um zu belegen, dass die Winterhalter-Wundermaschine entgegen gängiger wissenschaftlicher Erkenntnis auch im Kaltspülmodus wirksam ist, schickt der Hersteller auf Anfrage ein mikrobiologisches Hygiene-Gutachten vom März 2023, in dem ein Labor bestätigt, dass die STF Bavaria "für die Reinigung von Maßkrügen unter den anwendungsspezifischen Bedingungen bedenkenlos geeignet" sei.

Prof. Benjamin Eilts, hierzulande einer der renommiertesten Forscher im Bereich der gewerblichen Hygiene, hat sich den Testbericht für die AZ angesehen und seine Zweifel. Eilts kritisiert, dass für den Hygienetest die DIN-Prüfnormen verändert wurden. So wurde die Bavaria etwa nicht wie üblich mit hartnäckiger Magermilch-Prüfanschmutzung getestet, sondern nur mit einem nicht näher definierten Bieranschmutz, der offensichtlich viel leichter abzureinigen sei.

Auch der Zusatz des hochkonzentrierten eigenen Chlorreinigers F300 verwässere das Ergebnis, laut Prüfnorm wird mit dem simpelsten alkalischen Reiniger getestet ohne Zusatz von bioziden Wirkstoffen. Eilts ist "skeptisch", dass der Chlorzusatz für die Maschinen im Alltagbetrieb auf dem Oktoberfest angesichts des harten, kalkhaltigen Münchner Leitungswassers korrekt dosiert werden und die im Labor geprüfte Wirkung erzeugen könne. "Ich bezweifele, dass Lippenstifte, Speichelreste  und andere hartnäckige Verschmutzungen damit beseitigt werden", so Eilts.

Das BfR verweist auf seinen gesetzlichen Auftrag als Bundesinstitut wonach, Produkte und Gutachten einzelner Hersteller nicht bewertet werden dürfen, besteht aber auf seinen Ausführungen von vor einem Jahr: "Eine Änderung der wissenschaftlichen Sachlage hinsichtlich Kaltspülung mit chlorhaltigen Reinigern hat sich nicht ergeben."

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46 Kommentare
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  • Newi83 am 20.09.2023 11:19 Uhr / Bewertung:

    Das Thema ist doch mal wieder sowas von typisch Deutsch. Alles bürokratisch und überreguliert aber über sowas regt man sich auf. Dazu kommen 35 Experten, Halbexperten, Virologen, Urologen, Bierexperten und Gastroexperten und quatschen so lange bis keiner mehr weiß wo oben, unten, hinten, vorne ist. Genau deswegen wird in Deutschland nie etwas vorangehen.

  • Jogi.Welle am 20.09.2023 09:52 Uhr / Bewertung:

    Nur zum Protokoll ich war nicht wegen Regenbogen 🌈 da. Man glaubt es nicht was den Menschen für Meinungen haben.
    Das mir.... runter.

  • BBk am 19.09.2023 15:54 Uhr / Bewertung:

    Das Gesundheitsreferat hat seit Jahrzehnten keine Expertise in diesem Bereich der Hygiene nachdem schon vor 30 Jahren Sozialpädagogen von Grünen Referenten rechtswidrig über Ärzte gestellt wurden

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