Hygiene-Diskussion: Die Wiesn-Krüge bleiben kaltgespült
München – Die bayerische Biergarten- und Volksfestsaison liegt in ihren letzten Zügen. Während auf der Theresienwiese die Aufbauten des diesjährigen Oktoberfestes demontiert werden, genießen die Münchner die milden Oktober-Temperaturen im Biergarten auf dem Viktualienmarkt oder auf der Auer Dult, die an diesem Sonntag zu Ende geht.
Business as usual also, fast so als wäre nichts passiert. Dabei gibt es in puncto Hygiene auf Volksfesten und in Biergärten jede Menge Gesprächsbedarf wie die aufgeregte Diskussion um die Kaltspülung der Masskrüge auf dem Oktoberfest am letzten Wiesnwochenende gezeigt hat.
Kaltspülung laut Experten unhygienisch
Die Auffassung von Wissenschaftlern und Hygienikern ist dabei eindeutig, sie unterscheidet sich dennoch diametral zur herrschenden Praxis. Nur eine Heißspülung von 65 Grad und mehr führe "zur Inaktivierung der meisten Viren und Bakterien", eine Kaltspülung der Maßkrüge und Gläser biete auch mit versetzten Desinfektionsmitteln "für Verbraucher keinen ausreichenden Schutz vor Keimen durch den Kontakt mit verunreinigten Gläsern". Das hatte das unabhängige Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) mit Verweis auf eine großangelegte Studie auf AZ-Anfrage erklärt und nannte als Beispiele Noroviren, Hepatitis A, Salmonellen oder Kolibakterien, die nicht abgetötet würden.
Einer der führenden Experten für angewandte gewerbliche Hygiene, Professor Benjamin Eilts von der Hochschule Albstadt-Sigmaringen untermauerte die BfR-Erkenntnisse und sprach davon, dass auf der Wiesn "die Hygienestandards unterlaufen werden".

Aber was heißt das nun für das Oktoberfest im nächsten Jahr? Hat die Kritik der Experten das Meinungsbild der Stadt München verändert? Steht die bisherige Regelung der Kaltspülung womöglich zur Disposition?
Ausflüchte und schwammige Begründungen
Gleich zwei Mal bemühte sich die AZ um eine Auskunft von Behördenleiter und Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), auch der Bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek wurde angefragt.
In allen drei Fällen wurde die Anfrage an das Gesundheitsreferat der Stadt weitergeleitet, das erklärte, dass die Kaltspülung auf dem Oktoberfest im Einklang mit den "wissenschaftlichen Standards" erfolge. "Wir sehen keine Veranlassung, eine Änderung vorzunehmen".
Dass die Kaltspülung wissenschaftlichen Standards entspräche, ist nachweislich falsch. Das Bayerische Ministerium für Landwirtschaft und Ernährung, das für die Überwachung der hygienerechtlichen Vorschriften auf Volksfesten eigentlich zuständig ist, reagierte auf AZ-Anfrage erst gar nicht.
Noroviren, Salmonellen und Kolibakterien dürfen bleiben
Ganz anders als das Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung unter der Führung von Cem Özdemir. Gegenüber der AZ verweist eine Sprecherin zur Frage der hygienischen Reinigung von Biergläsern auf die BfR-Studie und auf die EU-Verordnung Nr. 178/2002 wonach Lebensmittel und Getränke, "die nicht sicher sind, nicht in Verkehr gebracht werden dürfen".
Nicht sicher seien sie dann, "wenn sie gesundheitsschädlich sind", so das BMEL. Genau das hatte das Bundesinstitut für Risikobewertung zweifelsfrei nachgewiesen.
Womöglich liegt das laute Schweigen von Dieter Reiter auch darin begründet, dass der Oberbürgermeister öffentlich gar nicht widerspruchsfrei erklären könnte, warum die gesundheitsgefährdende Kaltspülung, ein mutmaßlicher Treiber der traditionellen "Wiesngrippe", auch 2023 einfach weiter gelten darf.
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