Öffis statt Auto: Münchner wagen das Experiment

Wie ist es, einen Monat lang in München auf das Auto zu verzichten?
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Die "Autofaster" bei der Schlüsselabgabe am Fischbrunnen.
Die "Autofaster" bei der Schlüsselabgabe am Fischbrunnen. © Foto: Green City e.V. / Julia Langhof

München - Eine Frage, die sich vermehrt Menschen stellen und das nicht immer ganz freiwillig: Kann ich in einer Großstadt wie München auf das Auto verzichten? Weil das Auto mittlerweile viel zu teuer ist oder weil ich meinen Beitrag zum Umweltschutz leisten will? 

Der Verein Green City hat zusammen mit dem Münchner Verkehrsverbund (MVV) für 25 Münchner die Möglichkeit geschaffen, das einen Monat lang zu testen. Dafür müssen die Kandidaten ihren Autoschlüssel abgeben – und erhalten dafür eine MVV-Monatskarte. Die AZ hat zwei Teilnehmer des sogenannten "Autofastens" gefragt, warum sie das Experiment wagen. 

Zwei Kandidaten: Studentin und Familienvater

Lea Klus (21) hat sich sehr spontan entschieden, mitzumachen. Erst kurz vor Terminschluss habe sie auf Instagram von der Aktion erfahren. Nun hat sie seit einigen Tagen keinen Autoschlüssel mehr: "Da hatte ich schon erste Zweifel und Sorgen", sagt sie. Klus ist auf dem Dorf aufgewachsen und darum daran gewöhnt mit dem Auto unterwegs zu sein: "Die Unabhängigkeit möchte man ungern loswerden". Jetzt wohnt sie in Milbertshofen und steckt mitten in einem dualen Studium zur Diplomverwaltungswirtin.

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Der zweite Kandidat ist Peter Hils. Der Ingenieur hat Familie (Frau und zwei Kinder im Abitur-/Studienalter) und wohnt in Taufkirchen. Seine Arbeit ist 14 Kilometer weg in Putzbrunn. Hils hat bereits Erfahrung damit, ohne Auto auszukommen: Im Sommer wurde das Familienauto wegen eines Rückrufs stillgelegt. Sie mussten also zwangsweise verzichten, hatten aber zeitweise einen Leihwagen. Jetzt wolle er den Verzicht einen Monat lang "konsequent durchziehen". 

Auto: zu teuer, aber bequem

Für die Studentin war insbesondere das Geld ein Grund, auf das Auto zu verzichten: "Ein Monatsticket kostet mittlerweile ähnlich viel wie ein Tank und ich kann damit sozusagen unendlich lang fahren". 

Für den Familienvater sind es jetzt vor allem alltägliche Erledigungen, die neu organisiert werden müssen: "Für größere Einkäufe und Getränketransport haben wir unseren Fahrradanhänger wieder in Betrieb genommen", sagt Hils. Aber auch die Freizeit ist betroffen: "Unsere Freizeitaktivitäten werden wir auf den Großraum München beschränken, wobei es natürlich Alternativen wie die Regionalbahn gäbe." Vermissen werde er vor allem die Spontanität, die das Auto ermögliche: für die Fahrt mit den Öffentlichen sei einiges an Planung notwendig. Und nicht zuletzt dauert sein Arbeitsweg jetzt doppelt so lang. 

Obwohl ihr Alltag gerade recht unterschiedlich ist, sehen beide Kandidaten in ähnlichen Bereichen das größte Problem beim Leben ohne Auto: Größere Besorgungen, Erledigungen, familiäre Notfälle: "Wie ich zu meinen Eltern kommen könnte, wenn sie dringend Unterstützung bräuchten", sagt Hils. Denn die sind mit dem ÖPNV schlecht zu erreichen. "Falls notwendig ließe sich das lösen, wäre aber mit einigem Aufwand verbunden", sagt er. 

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Lea Klus muss während der Theoriephase ihres Studiums Gesetzesbücher, Unterlagen und Klamotten zwischen Wasserburg und München hin- und her befördern. Ansonsten sind es bei ihr Besuche bei Verwandten oder die Hilfe für Freunde, die zum Beispiel Möbeltransporte brauchen oder ähnliches. Was ihr persönlich am meisten Sorgen bereitet: Bei Regen und Dunkelheit auf die nächste Bahn oder den nächsten Bus warten zu müssen. 

Das sind die Erfahrungen und Erwartungen der beiden "Autofaster" nach wenigen Tagen ohne Autoschlüssel. Wir werden gemeinsam mit ihnen nach dem ganzen Monat zurückblicken und Bilanz ziehen. 


Christian Grundmann von Green City e.V. zur Aktion "Autofasten"

Herr Grundmann, Sie haben mit ihrem Verein die Aktion ins Leben gerufen. Was versprechen Sie sich davon?
CHRISTIAN GRUNDMANN:
Die vornehmliche Motivation des Projekts: Einen Anreiz für die Menschen zu schaffen, ihr Auto stehen zu lassen.

Spüren Sie da das Interesse seitens der Stadtgesellschaft, den Wandel weg vom Auto zu vollziehen?
Insgesamt wollten 131 Personen den Tausch "Autoschlüssel gegen kostenfreie IsarCard" vollziehen. Bei einem ersten, kleineren Durchgang des Autofastens hatten wir 2018 knappe 20 Bewerbungen. Das kann man nicht vergleichen. Aber dennoch hat die Resonanz eine andere Qualität. Wir interpretieren es als Indikator, dass die Menschen einen Wandel vorantreiben und Teil davon sein möchten.

Wissen Sie, warum die Kandidaten mitmachen wollen?
Zu den drei meistgenannten Gründen zählte der Klimaschutz. Oder das 9-Euro-Ticket. Hier wurde oft beschrieben, dass damit gezeigt wurde, wie gut ein Leben auch mit Bus und Bahn möglich ist. Die Leute sind auf den Geschmack gekommen durch die Aktion des Bundes. Ein weiterer wichtiger Grund war die Einsparung, die ein kostenfreier Monat ÖPNV bei gleichzeitiger Nicht-Benutzung des Autos mit sich bringt. Die Aktion kam zu den aktuellen finanziellen Belastungen, die wir alle spüren, zu einem sehr passenden Zeitpunkt.

Was hindert Münchner daran, auf ihr Auto zu verzichten?
Zum einen gibt es sicherlich verschiedene Lebensentwürfe, die den Verzicht aufs Auto schwerer oder einfacher machen. Wenn man beispielsweise an Berufe im Versorgungsbereich denkt, die im Schichtbetrieb arbeiten, ist frühmorgens oder spät nachts sicher das Auto oftmals noch die bequemere Variante. Fürs Pendeln in die Stadt oder aus der Stadt heraus gilt das auch nach wie vor für Viele. Die Netze des ÖPNV müssen weiter ausgebaut, Taktungen erhöht werden. Und für Viele ist es nach wie eine Frage der Bezahlbarkeit.

Warum verzichten nicht mehr Leute freiwillig auf ihr Auto? Sind wir einfach zu sehr Gewohnheitstiere?
Ganz so einfach ist es für bestimmte Teile der Bevölkerung noch nicht. Aber Gewohnheit spielt beim Mobilitäts-Verhalten eine Rolle. Genau hier wirkt die Aktion Autofasten: Zumindest mal einen Monat ausprobieren, wie es sich so ohne eigenen PKW lebt.

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44 Kommentare
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  • Gelegenheitsleserin am 10.10.2022 12:49 Uhr / Bewertung:

    Ich muss immer ein bisschen schmunzeln, wenn Großstädter "das Experiment wagen", auf ihr Auto zu verzichten.
    Ich hatte noch nie ein Auto und komme zu Fuß, mit Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln sehr gut zurecht. In München ist das kein Problem - je zentraler man wohnt, desto einfacher ist es.
    Und für das Geld, das ich nicht für ein Auto ausgegeben habe (Anschaffung, Steuer, Versicherung, Kraftstoff, Reparaturen, Pflege, Stellplatzmiete, Parkgebühren ... ) - kann ich lange Bus, Tram, Bahn und Taxi fahren.

  • Monika1313 am 09.10.2022 23:35 Uhr / Bewertung:

    Der TÜV hat mich und mein Auto vor ziemlich genau 25 Jahren getrennt. Ich habe es nie ernsthaft vermisst. Wenn ich unbedingt ein Auto brauche, dann leihe ich mir eines. Erst letzte Woche bin ich mal morgens die A9 stadtauswärts gefahren. Ich habe mich echt gewundert, wieso man sich das täglich morgens (reinwärts) und abends (stadtauswärts) antut. Natürlich hat der ÖPNV auch seine Macken und Schwachstellen, aber bestimmte Dauerstaupunkte sind für Autofahrer auch nicht besser. In der Arbeit sind mal die Autofahrer, mal die Bahnfahrer die, die zu spät kommen. Das hält sich rein vom Gefühl her die Waage. Billiger ist auf jeden Fall das Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln.

  • H.G.Schön am 09.10.2022 23:33 Uhr / Bewertung:

    Jetzt gibt es unter diesem Artikel vom Freitag schon einige interessante Kommentare und Diskussionen zu lesen; die Mehrheit der bisher Schreibenden sind offensichtlich Männer - nur "Witwe Bolte" und "Gitte7" klingt dann eher nach Frauen. Obwohl es in München fast genauso viele Autofahrerinnen wie Autofahrer gibt.

    Nun bin ich ab und zu auch mal Autofahrer, seit 1995 besitze ich aber kein eigenes Auto mehr und nutze je nach Bedarf unterschiedlich große Fahrzeuge von STATTAUTO sowie (ganz selten) auch mal einen LKW von SWING, wobei ich im Jahresmittel nie über 3.000 km Fahrstrecke kommen. Als Stadtrandbewohner im Münchner Nordosten habe ich den S-Bahnhof Johanneskirchen in der Nähe, mit den beiden Buslinien 50 und 154 (noch näher an der Haustür) erreiche ich auch schon viele meiner Ziele, wobei dann das ÖPNV-Netz mit Tram und U-Bahn eine vergleichsweise flotte Mobilität in der Stadt ermöglicht. Außerhalb der Stadtgrenze schwächeln im radialen S-Bahn-System aber die Quer-Verbindungen.

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