Münchens Alt-OB Ude ledert gegen SPD: "Bevölkerung, die aufs Auto angewiesen ist, verprellt"
AZ: Herr Ude, wissen Sie noch, wie sich die SPD bis vor wenigen Jahren selbst auf Plakaten genannt hat?
CHRISTIAN UDE: Ja. "Die München-Partei".
Das kommt einem aktuell irre lange her vor, oder?
Ja. Es hat eine Zäsur gegeben, die man aber jahrelang nicht thematisiert, sondern übergangen hat.
Worin bestand diese Zäsur für die SPD in München?
Die Zäsur bestand in erdrutschartigen Verlusten der SPD, sowohl bei Landtags-, als auch bei Stadtratswahlen und vergleichsweise glimpflich bei Bundestagswahlen. Diese Zäsur aber wurde nicht thematisiert, sondern man glaubte, sich aufgrund des SPD-Oberbürgermeisters als Regierungspartei darstellen zu können, obwohl man in Bayern insgesamt auf Platz 5 abgesackt war und deshalb auch als Liste 5 antreten musste. Und in der Kommunalpolitik ist man ja auch auf Platz 3 abgerutscht.
Und das mit Abstand. Grünen-Bürgermeister Dominik Krause hat am Wahlabend betont, dass man in der Stadt nun immer schwarz-grüne Duelle hat um Platz 1. Dass die SPD da gar nicht mehr mitspielt, da können Sie wahrscheinlich im Moment gar nicht widersprechen, oder?
Nein. Das ist ja einfach aus den Wahlergebnissen abgeleitet. Der Abstand der SPD zu der größten Partei ist gespenstisch. Das sind ja mehr als 14 Prozent! Der Abstand zu den Grünen ist auch noch gewaltig.
"Die SPD hat ihre Stammwählerschaft verloren"
Sie waren am Wahlabend auf einer SPD-Party. Konnten Sie da für sich irgendeinen Hoffnungsschimmer entdecken?
Ja. Mein einziger Trost ist örtlich. Ich war bei der Wahlparty von Philippa Sigl-Glöckner, die tatsächlich bei den Erststimmen weit herausragt, mit fast 20 Prozent. Ich habe einen vergleichsweise glimpflichen Abend hinter mir, da war schon eine Feststimmung. Das Ergebnis von Philippa ist ein Lichtblick. Sie hatte auch das beste Ergebnis in München in meinem Wohnviertel Schwabing-West, wo ich aktiv bin und wo die SPD immerhin 21 Prozent gemacht hat. Es ist gut, dass wir hier das richtige Personalangebot hatten und auch, dass sie weitermachen will.
Ist sie für Sie die Hoffnungsträgerin unter den jüngeren Leuten in der Münchner SPD?
Ja. Sie ragt auch fachlich heraus, hat als Finanzpolitikerin ein hochinteressantes Buch veröffentlicht und eine unglaubliche Berufslaufbahn hinter sich. Sie wird auch in den nächsten Jahren eine öffentliche Persönlichkeit bleiben und mit ihrer Kompetenz auch inhaltliche Diskussionen mitbestimmen. Und sie hat mit ihrem Wahlkampfteam über 10.000 Hausbesuche gemacht. So hat sie bewiesen, dass sie auch Wahlkampf kann.
Trotz 21 Prozent in Schwabing-West: Wenn man die München-Karte im Detail anschaut, sieht man, dass Grüne und CSU richtige Hochburgen haben, weit jenseits der 30 Prozent. Offenbar hat die Konkurrenz noch ein Kernklientel. Warum gibt es dann keine SPD-Viertel mehr in München?
Das versuche ich seit zehn Jahren immer wieder zu thematisieren. Die SPD hat ihre Stammwählerschaft verloren. Die kann sie nicht mehr definieren. Sie hat traditionell sozialdemokratische Milieus, ob es die Rentnerinnen und Rentner sind, die Bevölkerung, die auf ein Auto angewiesen ist, ob es Trachtler und andere traditionsreiche Gruppen sind oder Handwerker – diese Leute hat die SPD vernachlässigt und verprellt.
Was folgt aus dieser Analyse strategisch – soll man nun mehr auf die ökologisch Bewegten in Haidhausen setzen oder auf die Leute in Milbertshofen, die vor allem jeden Euro umdrehen müssen?
Man muss dort hin, wo man stark war und vollkommen die Führungsrolle eingebüßt hat, sich endlich wieder um ehemalige Stammwähler kümmern. Ich habe den ehemaligen österreichischen Bundeskanzler Bruno Kreisky mal ganz lange interviewt über seinen Wahlsieg und ihn gefragt, wie man solche Ergebnisse gewinnt.
"Sozialwohnungen aus der Bindung lassen zu müssen, schmerzt uns seit Jahren"
Was war seine Antwort?
Das sei ganz einfach: Du musst alle Wähler bei der Stange halten und ein paar neue dazu gewinnen.
Als Olaf Scholz 2021 Wahlkampf machte, war in der Münchner SPD die Hoffnung groß. Schließlich trat da der ehemalige Regierende Bürgermeister einer teuren Großstadt an. Endlich mal einer, der die Münchner Probleme verstehen würde. Die Bilanz war dann aber so schlecht, dass man schwierig glaubhaft Wahlkampf machen konnte, oder?
Ich glaube, dass ein Regierungschef, wenn seine Koalition scheitert, auseinanderbricht und dann auch noch im Streit übereinander herfällt, keine Chance hat. Deshalb habe ich den Optimismus dieses Mal von Anfang an nicht verstehen können.
Aber für die SPD macht es Wahlkämpfe auch schwierig, wenn man es als Kanzlerpartei nicht geschafft hat, für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen.
Ja. Das ist unser Schmerz seit vielen Jahren mit der Bundespolitik. Dass wir Sozialwohnungen wieder aus der Bindung entlassen müssen und nicht als Sozialwohnungen halten dürfen, wie es in Österreich selbstverständlich der Fall ist, das bleibt mir unbegreiflich.
Kann es sein, dass wir genau dieses Gespräch mit genau diesen Thesen schon häufiger geführt haben nach Wahlen?
(Ude lacht).
Wenn die Analyse steht, wo die Probleme der SPD sind: Warum ändert sich nichts?
Ich glaube, dass die SPD sich im letzten Jahrzehnt noch weiter von ihren Stammwählern entfernt hat – und zwar auch in kulturellen Fragen. Das war keine traditionell sozialdemokratische Politik mehr, sondern verzweifelte Versuche, sich auf völlig neuem Terrain besonders geistreich und besonders skurril zu betätigen.
Zu elitär und zu akademisch?
Ja.
Ist das nicht genau etwas, für was Sie früher selbst standen, mit Ihrem Schwabinger Bürgerblick auf die Welt?
Also Entschuldigung! Natürlich habe ich einen Schwabinger, einen kulturellen Blick auf die Welt. Aber immer an erster Stelle die Sozialdemokratie als stärkste Kraft verteidigt. Da erinnere ich wieder an Bruno Kreisky: Es geht darum, die Wähler zu halten. Und dann noch einige dazugewinnen.
Die Linkspartei hat – für manche überraschend – auch in München deutlich zugelegt. Ist das vielleicht auch ein Fingerzeig, dass es Potenzial gäbe für die SPD, ein dezidiert linkeres Profil zu entwickeln – statt immer nur den Rechten hinterherzuhecheln, denen man dieses oder jenes Thema nicht überlassen wolle?
Beim Thema Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus und beim Thema soziale Verbesserungen und Mieten war die Sozialdemokratie – und hier meine ich vor allem die Bundesebene – zu schwach aufgestellt.
"Ich dränge mich nirgends mehr auf"
Dieter Reiter hat am Wahlabend für seine Verhältnisse eine recht deftige Ansage in Richtung SPD geschickt. Zur Kommunalwahl dürfe es kein "Weiter so" geben, in "keinerlei Hinsicht", dafür werde er "sorgen". Was könnte er denn da gemeint haben?
Gute Frage. Wenn es um den Stand der SPD in der Kommunalpolitik geht, denkt man doch relativ schnell an den Oberbürgermeister.
Werden Sie sich aus der Sorge um Ihre Partei heraus im anstehenden Kommunalwahlkampf stärker einbringen?
Ich habe mich, seit ich kein öffentliches Amt mehr habe, nirgends mehr aufgedrängt, aber vielerorts Wünsche erfüllt. Ich habe ja auch jetzt wieder in vielen bayerischen Städten Wahlkampf gemacht und hier im Münchner Norden ganz massiv Philippa unterstützt. Ich bringe mich ein. Aber so, wie es bestellt wird.
Das heißt, Sie werden wieder mit Ihrem örtlichen Stadtrat Lars Mentrup in Schwabing Wahlkampf machen.
Mit Sicherheit! Ihn schätze ich von vielen Aktivitäten her. Aber auch Christian Vorländer im Süden, ich habe mit einem Dutzend SPD-Stadtratsmitgliedern eine intensive Zusammenarbeit. Das wird sich auch in den nächsten Jahren öffentlich bemerkbar machen.
Herr Ude, werden Sie noch mal erleben, dass sich die SPD stolz die München-Partei nennen kann, in der Stadt bei Wahlen auf Platz 1 landet?
Ich wünsche mir ein so langes Leben, dass das noch mal möglich ist.
Aber?
Aber ich rechne nicht bei der nächsten Wahl damit.