Interview

Mobilitäts-Experte im AZ-Interview: "Seilbahnen sind für München sinnvoll"

Wie soll der Verkehr von morgen aussehen? Seilbahnen helfen – totale Autoverbote und der Blick auf die Kosten nicht, sagt ein Experte.
Martina Scheffler
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So hätte sie aussehen können, die Seilbahn am Frankfurter Ring. Doch das Bauprojekt liegt nach einer Gutachter-Absage vorerst auf Eis. (Archivbild)
So hätte sie aussehen können, die Seilbahn am Frankfurter Ring. Doch das Bauprojekt liegt nach einer Gutachter-Absage vorerst auf Eis. (Archivbild) © Bayerisches Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr/Darstellung: bauchplan

AZ: Herr Professor Wagner, es sieht nicht so aus, als bekäme München bald eine Seilbahn als Angebot im ÖPNV, vor allem aus finanziellen Gründen – warum wäre es trotzdem eine gute Idee?
Harry Wagner: München ist sehr radial aufgebaut. Zu den Olympischen Spielen 1972 wurde das U-Bahn-Netz gebaut, und es gibt kaum tangentiale Verbindungen. Seilbahnen eignen sich hervorragend für Überbrückungen, für Verbindungen, die es bislang nicht gibt, für die es aber eine Nachfrage gibt. Dazu kommt: Eine U-Bahn zu bauen braucht 15 Jahre, eine Seilbahn kann man in 15 Monaten bauen. Mobilitätsbedürfnisse schnell, unkompliziert, klimaschonend und ohne weitere Flächenversiegelung befriedigen, das kann die Seilbahn und daher eignet sie sich gerade für Großstädte.

Wagner: Die Seilbahn müsste in den ÖPNV integriert sein

Das heißt, trotz U-Bahn nach Freiham und Zweiter Stammstrecke wäre noch Bedarf für eine Seilbahn?
Wenn ich die Frage umdrehe, würde das bedeuten, dass es in München keinen Stau mehr gibt, wenn die U-Bahn und die Zweite Stammstrecke erstmal fertig sind. Aber das wird nicht der Fall sein. Es wird ein bisserl was von der Verkehrsbelastung wegnehmen – da, wo U- und S-Bahn dann fahren. Aber es gibt ja noch viele andere Verkehrsknotenpunkte, die dadurch nicht abgedeckt sind.

Harry Wagner, Professor für Automotive & Mobility Management an der TH Ingolstadt.
Harry Wagner, Professor für Automotive & Mobility Management an der TH Ingolstadt.

Wie kann man dann Seilbahnen in Großstädten rentabel machen?
Die meisten ÖPNV-Gesellschaften sind defizitär und werden von ihren Gesellschaftern subventioniert. Eine Seilbahn kann grundsätzlich rentabel betrieben werden. Aber wir dürfen nicht immer schauen, was unterm Strich rauskommt. Wir müssen weiter denken und die CO2-Einsparungen durch eine Seilbahn bedenken, die Lärmeinsparungen, wenn die Leute nicht im Auto, sondern in der Seilbahn sitzen, die Einsparungen an Infrastrukturmaßnahmen. Ich muss vielleicht keine Umgehungsstraßen mehr bauen. Eine Seilbahn müsste zwingend zu 100 Prozent in den ÖPNV integriert sein. Keinesfalls darf es so sein, dass ich für die Seilbahn ein Extra-Ticket lösen muss. Dann werden die Menschen sie nicht akzeptieren. Das Ziel muss sein, klimaneutrale Mobilität zu ermöglichen, auch wenn die was kostet.

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Seilbahn in München? Bonn könnte zum Vorbild werden

Momentan stehen die Chancen in München für eine Seilbahn wohl eher schlecht – wie zuversichtlich sind Sie, dass sich hier oder anderenorts daran zeitnah etwas ändert?
Im deutschen Mindset ist sie noch nicht ein Mittel des ÖPNV. In Südamerika ist das komplett anders. Da gibt es ganze Seilbahnnetze. In Deutschland müsste es mal ein, zwei Vorreiterstädte geben. Bonn ist da schon sehr weit fortgeschritten. Dort wird es wahrscheinlich die erste in den ÖPNV integrierte Seilbahn in Deutschland geben. Wenn man dann positive Erfahrungen macht, werden viele Städte nachziehen. Auch die Kosten sprechen für sich: Ein Seilbahn-Kilometer kostet etwa fünf Millionen Euro, ein U-Bahn-Kilometer 250 Millionen Euro.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit eine Seilbahn zu einer Stadt passt?
Sie wird sicher nicht in jeder Stadt in Deutschland sinnvoll zum Einsatz zu bringen sein. Jede Stadt hat ein anderes ÖPNV-Netz und einen anderen Bedarf. Eine Seilbahn kann 3.500 Menschen pro Stunde befördern. Damit zählt sie zu den Massenbeförderungsmitteln. Sie eignet sich überall da, wo ich Verbindungen habe, die mit dieser Kapazität gedeckt werden können. Es werden Städte sein wie München, die sehr radial aufgebaut sind im ÖPNV. Oder eine Stadt wie Ingolstadt, die die Donau in der Mitte hat. Gerade dort, wo man einen Fluss als Hindernis hat, ist die Seilbahn ein probates Mittel, weil Tunnels oder Straßen extrem teuer und lange zu bauen sind.

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Experte: "Wer Autos verbannen will, muss Alternativen anbieten"

Welche Rolle spielt eigentlich der Fußgänger noch in Mobilitätskonzepten?
Eine große. Aber über ihn wird nicht so viel gesprochen. Seine Reichweite ist limitiert, und man kann mit Spazierengehen auch nur eine begrenzte Zahl an Mobilitätsbedürfnissen decken. Aber man sollte mehr auf den Fußgänger achten und mehr versuchen, ihn zu integrieren. Denn selbst, wenn Sie morgens zu Fuß in die Stadt gehen, nutzen Sie auf dem Rückweg den ÖPNV und fahren eben nicht mit dem Auto. Es gibt allerdings nicht so viele Fördermittel, um die Fußweginfrastruktur zu fördern. Man redet im Moment mehr vom Fahrrad. Das ist auch sinnvoll, weil man mit ihm – gerade auch mit dem Pedelec – einen Radius abdecken kann, der es wirklich konkurrenzfähig zum Auto macht.

Wie weit man das aus der Innenstadt verbannt, ist gerade in München ein großes Thema. Ist es sinnvoll, Autos ganz herauszuhalten oder sie – Stichwort Parkkosten – nur noch für Wohlhabende nutzbar zu machen?
Sie grundsätzlich zu verbannen, halte ich für falsch. Man darf nicht nur an den Stadtkern denken, sondern auch an die Menschen, die in den äußeren Bereichen der Städte wohnen. Wenn man sich entschließt, den Stadtkern oder Teile davon autofrei zu machen, muss man sich vorher Gedanken machen, welche Alternativen man den Menschen bietet. Wenn der Mensch erkennt, dass er flexibler und bequemer mit Seilbahn, Tram oder Bus in die Stadt kommt, dann wird er es auch machen. Einfach nur sagen: Autos raus – das wird nicht auf hohe gesellschaftliche Akzeptanz stoßen.

"Man muss jeder Technologie die Chance geben, zu reifen"

Bei Rollern, einst als sinnvolle Ergänzung der städtischen Mobilität gepriesen, hat sich Ernüchterung eingestellt. Wie bewerten Sie das?
Nachhaltig sind die nicht. Sie haben eine relativ kurze Nutzungsdauer und werden dann oft verschrottet. Trotzdem ist es sinnvoll, den Menschen individuelle Kurzstreckenmobilität für die letzte Meile anzubieten. Wenn es gelingt, diese E-Scooter klimafreundlicher als heute bereitzustellen, ist es durchaus eine Alternative dazu, eine Strecke etwa mit dem Auto zum Bahnhof zu fahren. Man muss jeder Technologie die Chance geben, zu reifen. Autos waren vor 60 Jahren auch klimaunfreundlicher als heute.

Es gibt viele divergierende Interessen, die Ansprüche der Wirtschaft, die Bedenken der Älteren, die sich Radfahren oder bei Einschränkungen auch die Busfahrt nicht mehr zutrauen. Kann man es schaffen, dass jeder nach seinen Bedürfnissen vorankommen kann?
Mit einer Maßnahme kann man nicht alle Interessen decken. Jede Lösung wird auf Pros und Cons stoßen. Es gibt keine eierlegende Wollmilchsau. Für Sonderfälle wird es aber immer Möglichkeiten geben. In Ingolstadt gab es eine Diskussion zu Seilbahnen, bei der ein Bürger sagte, ihm helfe die vorgeschlagene Route nicht für seine Bedürfnisse, er könne nur mit dem Auto fahren. Aber wenn andere die Bahn nutzen, kann er staufrei fahren.

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Experte: Nicht in Straßen denken, sondern in Menschen

Was sind die größten Versäumnisse bei der Verkehrsplanung – in der Großstadt, wie München, und auf dem Land?
Dass man immer nur denkt, wie kann ich Kapazitäten schaffen für mehr Mobilität? Also: eine Umgehung, einen Tunnel, eine Brücke bauen. Und Mobilität nicht von der Bedarfsseite her denkt, also überlegt, wie man die Menschen dazu bekommt, dass sie ihr Verhalten ändern. Wir dürfen nicht in Straßen denken, sondern in Menschen und ihren Bedürfnissen.

Eine Ihrer Thesen ist, dass Unternehmen manches Angebot kostenlos machen und die Kunden mit Daten zahlen. Dürfte das nicht in einem datenschutzsensiblen Land wie Deutschland schwierig werden?
Ryanair wird das machen: ein Ticket für null Euro anbieten und erst Geld verlangen, wenn Sie den Flug nicht antreten. Dann wird Ryanair Sie vernetzen: mit dem Hotel in Barcelona, mit dem Tourismuscenter, dem Autovermieter. Die Fluglinie weiß, wohin Sie fliegen und dass Sie sich für Museen interessieren. Dann wird man Ihnen die schönsten Museen Barcelonas anbieten und Sie mit denen verbinden. Damit generiert der Fluganbieter seine Umsätze: nicht mit dem Flugticket, sondern mit der Plattform, auf der Sie als Kunde sind. Es wird aber auch Modelle geben, wo Sie doch für den Flug zahlen und keine Daten preisgeben. So sensibel sind die Deutschen auch gar nicht bei Daten, finde ich. In jeder App gibt's Daten. Kein Mensch liest sich einen Lizenzvertrag durch.

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3 Kommentare
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  • nutellatami am 18.03.2023 14:26 Uhr / Bewertung:

    Vergleich mit Südamerika hinkt. Dort gibt es in der Regel gar keinen ÖPNV oder sehr enge Straßen und Berge, die es zu überwinden gilt. In München ist die Herausforderung die Schnittstelle zum Bestandsnetz. Und diese befinden sich in der Regel in eng bebauten Vierteln (in Südamerika werden mitunter ganz Häuser für Seilbahnstationen abgerissen). Und statisch mit einer U-Bahn darunter ist es auch schwieriger.

  • Wuschel_MUC am 18.03.2023 13:39 Uhr / Bewertung:

    Die Seilbahn am Frankfurter Ring wurde nicht ohne Grund gestoppt. Abgesehen von der Kosten-Nutzen-Rechnung ist z.B. der barrierearme Zugang schwierig. Schon mit einem Kinderwagen kann der Zustieg unterwegs problematisch werden.

    Eine Seilbahn ist mit genau einem Start- und einem Zielpunkt sinnvoll, wie z.B. von Koblenz nach Ehrenbreitstein. Aber Zwischenstationen oben am Mast sind nicht das Gelbe vom Ei.

  • gubr am 19.03.2023 08:24 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Wuschel_MUC

    Na ja so schwierig ist der barrierefreie Zugang auch nicht aber ich finde das auch kein KO Kriterium auch wenn es leider von den Verordnungen gefordert wird. In große Gondeln kommt auch ein Rollstuhl rein wenn auch kein doppelter Kinderwagen. Der überwiegende Teil der Bevölkerung braucht auch keinen komplett barrierefreien Zugang und die betroffenen Personen würden von leereren U-Bahnen auch massiv profitieren. Heute kommt im Berufsverkehr oder zur Wiesnzeit kaum jmd mit Rollstuhl in eine U-Bahn. Das finde ich eher schlimmer.
    Auch eine Haltestelle oben ist kein so großes Problem. Ein Paternoster und ein normaler Aufzug würden das Problem auf engem Raum lösen. Man müsste nur von dem Unsinn abkommen, dass die Dinger gefährlich sind, denn da wäre jede Rolltreppe auch gefährlich.
    Ich persönlich bin genau der Meinung aus dem Artikel. Die Bedenken sind eher der Natur, dass man in Deutschland zu stolz ist, die Lösungen aus Entwicklungsländern zu übernehmen.

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