Die AZ vor Ort bei den Klimaprotesten: Die Nerven liegen blank in München

Schwanthalerhöhe - Es hätte am Donnerstagmorgen, Tag zwei des Münchner Klimaprotests um 8.30 Uhr, ganz woanders losgehen sollen. An einem Bahnhof im Süden Münchens hatte sich ein Teil der Letzten Generation versammelt, der schon am Vortag aktiv gewesen ist. Im Visier: eine große Kreuzung. Vier Personen warteten auf weitere Aktivisten.
Doch sie kamen nicht. Wie zum Beweis, dass sich die Tore zu künftigen Umweltkatastrophen gerade erst öffnen und noch viel größere bevorstehen – wie es die Letzte Generation sieht –, schafften es viele Aktivisten aus dem Norden Bayerns nicht bis München. "Ein Baum ist auf der Zugstrecke beim nächtlichen Sturm umgefallen", sagt Aktivist Jonas (18, Physik-Student ab Herbst).
"Klima-Shakira" und weitere Aktivisten ziehen zur Donnersbergerbrücke in München
Spontan entscheiden sich die vier Aktivistinnen und Aktivisten um. Sie nehmen Kontakt auf zu den anderen der Letzten Generation. Dann kommt das Kommando. "Wir gehen zur Donnersberger, wo wir gestern schon waren", sagt einer der vier. Etwa 25 Minuten später stehen alle vier an der Donnersbergerbrücke, Ecke Trappentreustraße. Dort wird gerade an der westlichen Auffahrt eine Klebeaktion aufgelöst.
Darunter ist eine Aktivistin, die sich einen Namen als "Klima-Shakira" macht, weil sie eine gewisse Ähnlichkeit mit der Star-Musikerin hat: Anja Windl (26). Während einer Fußgängergrünphase laufen die vier Aktivisten zusammen mit einigen weiteren Männern und Frauen über die Straße, drehen sich nordwärts in Richtung der Motorhauben, nehmen ihren Rucksack ab, packen Klebstoff und Banner aus und setzen sich auf die Straße. Routiniert verkleben einige von ihnen eine Hand mit der Fahrbahn.
"Alles nur Vandalismus": Autofahrer schreit Klimakleber an und schubst ihn
Der Fahrer eines grauen Mercedes – ein eher neueres Modell – ist außer sich. Der Mann, etwa Ende 50, schwarzes T-Shirt, kurze blaue Hose, steigt aus und pöbelt die Aktivisten an. Er wirft die Arme in die Luft, schubst Jonas, will ihn daran hindern, dass er sich direkt vor der Motorhaube auf den Boden setzt. "Das ist doch alles nur Vandalismus!", schreit er ihm ins Gesicht. Vergebens.
Verzweifelt wendet sich der Mann an die Polizei, obwohl er eher so wirkt, als ob er einen Termin auf dem Golfplatz hat und kein Gehaltsgespräch verpasst. Der Polizist klärt ihn über Versammlungsfreiheit auf. Frustriert setzt er sich in sein Auto, vorausahnend, dass es etwa eine Stunde dauern wird, bis die Straße wieder frei ist.
"Letzte Generation" protestiert in München: "Was ist das hier?"
Ein bärtiger Opel-Fahrer fragt aus dem offenen Fenster, als ob er noch nie von den Klimaprotesten gehört hätte: "Was ist das hier?" In seinem Auto liegen einige Kilogramm Gemüse. Als ihn ein Passant aufklärt, antwortet er: "Eine Stunde? Aber ich muss doch ins Restaurant, den Tag vorbereiten!" Gegen zehn Uhr ist die Straße frei.
Als die Polizei die Personalien feststellt, geht das Spiel von vorne los, an der westlichen Abfahrt der Brücke, zum dritten Mal an diesem Freitagmorgen. Doch so einfach könnte es ab jetzt nicht mehr werden. Die Stadt hat am Freitag eine Allgemeinverfügung erlassen. Hintergrund ist, dass bei den Klima-Protesten am Donnerstag wohl zwei Rettungsfahrzeuge beim Noteinsatz durch die Blockade der Klimaaktivisten behindert wurden.
KVR verbietet Klimaproteste auf bestimmten Straßen – auch wegen der IAA
Das Kreisverwaltungsreferat hat auch eine Liste von Straßen veröffentlicht, auf denen es verboten ist, solche Versammlungen abzuhalten. Sie ist so lang, dass man sich eher fragen muss, welche Münchner Straße nicht unter diese Allgemeinverfügung fällt.
Ankleben oder anketten ist nun ganz explizit laut städtischer Anordnung untersagt, auch auf Autobahnen. Das Verbot gilt bis 12. September. Am 10. September endet die Internationale Automobil-Ausstellung IAA in München. Das KVR prüft derzeit auch, ob das Mitführen von Klebstoff verboten werden könnte.