Deutscher Diversity-Tag: "Außerhalb des Campus war ich ein Niemand"
München - Für mehr Diversität und Chancengleichheit in der Arbeitswelt: Organisiert von der Charta der Vielfalt begehen Unternehmen und Institutionen einmal jährlich den Deutschen Diversity-Tag mit Aktionen und Veranstaltungen – heuer am 28. Mai. Exemplarisch beleuchtet die AZ den Weg von Cynthia Doffou bei der Deutschen Post/DHL.
Cynthia Doffou verließ 2003 ihre Heimat Côte d'Ivoire und studierte in Deutschland
Die 40-Jährige machte in Abidjan in ihrer Heimat Côte d'Ivoire (früher Elfenbeinküste) das Abitur: "Dann haben wir zu Hause überlegt, wo und was ich studiere. Wir entschieden uns schließlich für Deutschland."
Dort, genauer gesagt in Eching, lebte nämlich ihr Onkel, der in München Informatik studiert hatte. Für Cynthia Doffou war dies im Jahre 2003 nicht nur ein Neuanfang in einem fremden Land, sie musste auch eine neue Sprache lernen, denn neben Französisch beherrschte sie nur Spanisch und ein bisschen Englisch. Kaum in Eching angekommen, ging es weiter nach Göttingen, wo die Nichte eines Nachbarn ihres Onkels lebte und wo sie dann ihren Deutschkurs absolvierte.
Cynthia Doffou: "Meinem Vater ist es nicht leichtgefallen, mich gehen zu lassen"
An der Universität Erlangen-Nürnberg nahm sie das Studium der Wirtschaftsmathematik auf und machte an der Universität Augsburg ihren Bachelor-Abschluss. Was hat Cynthia Doffou – sie ist mit zwei Schwestern und zwei Brüdern aufgewachsen – dazu bewegt, ihr Heimatland zu verlassen? "Ich bin die älteste Tochter und meinem Vater ist es nicht leichtgefallen, mich gehen zu lassen. Er hat sich Sorgen gemacht – ob ich das wohl alles schaffe, in einer anderen Welt, mit einer anderen Sprache, in einer anderen Kultur."
Cynthia Doffou über Côte d’Ivoire: "Ohne Vitamin B kommst du nicht durch"
Letztlich sei die Entscheidung aber klar gewesen: Viele ihrer Bekannten hätten in Côte d’Ivoire studiert und große Probleme gehabt, einen Job zu finden, erzählt Cynthia Doffou: "Ohne die entsprechenden Beziehungen und Kontakte, ohne Vitamin B, kommst du nicht durch."
Politische Krisen in den 1990er und 2000er Jahren, ein fünf Jahre währender Bürgerkrieg und eine Regierungskrise nach den Präsidentschaftswahlen 2010 warfen Côte d’Ivoire nach Angaben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erheblich zurück. Erst in den vergangenen zehn Jahren habe sich das Land politisch und wirtschaftlich stabilisiert.
Studentenjob im Briefzentrum führt Cynthia Doffou zur Deutschen Post/DHL
Heute zählt das Land demnach "zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften in Afrika", ist der weltweit größte Kakaoproduzent und einer der wichtigsten Exporteure von Kaffee, Cashewnüssen, Palmöl sowie Kautschuk des Kontinents und hat einen im regionalen Vergleich gut entwickelten Dienstleistungssektor.

Ein Studentenjob als Aushilfskraft im Briefzentrum in Nürnberg führte Cynthia Doffou 2009 zur Deutschen Post/DHL – und das Unternehmen blieb letztlich ihr Arbeitgeber. Auch in München (seit 2015) arbeitete sie zunächst im Briefzentrum in der Arnulfstraße an der Maschine, ehe sie ein Sachbearbeiter vor drei Jahren auf interne Aufstiegsmöglichkeiten für Akademiker aufmerksam machte.
Die Frage, ob sie es bereue, letztlich nichts aus ihrem Studium gemacht zu haben, beantwortet sie mit einem Jein. Es handle sich dabei schließlich um "zwei Welten" – sie habe als Disponentin in der Personalabteilung viel gelernt, genieße den Umgang mit Menschen und habe mit verschiedenen Nationalitäten zu tun.
Cynthia Doffou über die Zusammenarbeit mit Männern: "Es brennt manchmal"
"Ich bin ja eher ein Mathe-Mensch und habe mich im vergangenen Jahr daher als Prozess-Managerin hier im Haus beworben. Leider hat es nicht geklappt mit der Stelle, aber ich mache nun eben andere spannende Erfahrungen", sagt sie: "Ich sehe das als Chance und gehe meinen Weg weiter, ich bereue nichts."
Schwierigkeiten habe sie manchmal, weil sie für den vorwiegend von Männern besetzten Bereich Kommissionierungsanlage zuständig sei: "Da macht sich dann doch die andere Konditionierung bemerkbar, und ich muss tatsächlich sagen, es brennt manchmal. Die Aufgabe ist aber ein Komplett-Paket – mit traurigen und glücklichen Tagen, mit Mitarbeitern, die deine Arbeit schätzen und mit Mitarbeitern, die nicht zufrieden sind."
Cynthia Doffou: "Ich bin offen für neue Herausforderungen"
Grundsätzlich helfe es ihr aber, dass sie die Situation im Briefzentrum aus eigener Anschauung kenne und so die Probleme der Kollegen besser nachvollziehen könne. Für ihren eigenen Weg, ihren beruflichen Aufstieg sieht sie alle Möglichkeiten: "Ich bin offen für neue Herausforderungen, warum nicht?"
Post-Sprecherin: "Man kann hier viel in die Hand nehmen"
Die Deutsche Post/DHL biete ihren Mitarbeitern viele Aufstiegschancen, sagte Sprecherin Sonja Radojicic der AZ: "Gerade auch für Quereinsteiger – man kann hier viel in die Hand nehmen. Wir sagen nicht, du hast das nicht gelernt, und deshalb kommt das für dich nicht infrage. Da ist die Post sehr durchlässig."
Deutsche Post/DHL: "Wir arbeiten stetig daran, ein inklusives und gerechtes Arbeitsumfeld zu schaffen"
Menschen seien zentral für den Erfolg der DHL Group: Vielfalt, Chancengerechtigkeit, Inklusion und Zugehörigkeit (Diversity, Equity, Inclusion, Belonging, kurz DEIB) sollen im Mittelpunkt stehen. Sonja Radojicic: "Wir arbeiten stetig daran, ein inklusives und gerechtes Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem alle Mitarbeitenden die gleichen Entwicklungsmöglichkeiten haben, ihre Individualität entfalten und sich an keinem Tag anders geben müssen, als sie tatsächlich sind." Das DEIB-Board ist mit Führungskräften des oberen Managements aus verschiedenen zentralen und divisionalen Funktionen besetzt.
Bei Deutsche Post und DHL arbeiten rund 600.000 Beschäftigte aus vielen Ländern, Kulturen und Religionen zusammen. Allein an den deutschen Standorten sind Mitarbeiter aus über 190 Nationen unterschiedlichen Alters, mit verschiedenen Lebensentwürfen und Fähigkeiten tätig: "Diese Vielfalt zu leben und Inklusion zu fördern ist als Teil in unserer Unternehmensstrategie fest verankert."
Cynthia Doffou: "Ich verstehe nicht, warum Frauen für die gleiche Arbeit weniger Geld bekommen"
Wie nimmt Cynthia Doffou die Situation der Frau in Deutschland wahr, gibt es hier Chancengleichheit? Grundsätzlich sehe sie in Deutschland für jeden Menschen in jedem Alter Möglichkeiten, sich beruflich neu auszurichten und sich weiterzubilden, sie spüre in ihrer Position jedoch sehr deutlich, dass die Zusammenarbeit mit dem anderen Geschlecht nicht so leicht sei: "Mit Männern komme ich oft in Konflikt, weil sie sich von mir als Frau einfach nichts sagen lassen wollen. Aber ich finde immer einen Weg, um klarzukommen."
Sie persönlich habe bei ihrer Ankunft in Deutschland eine Art "Kulturschock" erlebt: "In der Elfenbeinküste bleibt die Frau meistens zu Hause und kümmert sich um den Haushalt, das ist in Deutschland anders. Sie machen das Gleiche wie die Männer – und ich verstehe bis heute nicht, warum sie für die gleiche Arbeit weniger Geld bekommen. Das ist übrigens auch in der Elfenbeinküste so. Aber es ist schön zu sehen, dass Frauen in Deutschland in verantwortungsvollen Positionen arbeiten und grundsätzlich mehr Möglichkeiten haben."
Cynthia Doffou: "Außerhalb des Campus war ich plötzlich ein Niemand"
Als Ausländerin in Deutschland fühlt sie sich im Alltag mitunter "nicht ernst genommen". Und manchmal hat sie den Eindruck, dass ihre "Meinung nicht gefragt sei" und sie "dieses Etikett" trägt: "Dann werde ich nicht als Mensch, nicht als Frau, sondern nur allgemein als Ausländer betrachtet, und das tut manchmal weh." Auch an der Universität sei das ein Problem gewesen: "Außerhalb des Campus gab es da keine Berührungspunkte, da war ich plötzlich ein Niemand."
Diversität – was bedeutet das für sie? "Jeder Mensch kann von einem anderen Menschen lernen. Das stelle ich täglich fest. Ich muss zum Beispiel nicht in andere Länder reisen, um andere Kulturen zu entdecken. Ich habe zum Beispiel eine Kollegin aus der Türkei – ich war nie dort, aber von ihr lerne ich viel über ihr Land, über das Leben dort, über die Stellung der Frau dort."
Cynthia Doffou: "München ist jetzt meine Heimat"
Ihr selbst ist es in Bayern und auch in München bisher noch nie passiert, dass sie zum Beispiel in der S-Bahn von einem Sitznachbarn angesprochen und gefragt wurde, wie es ihr gehe, wo sie denn herkomme: "Das muss ich ehrlich sagen – aber in Hamburg schon! Da ging es mit einer Frage nach meinen Haaren los, da war einfach eine Neugier auf das Gegenüber da."
Und doch bezeichnet die 40-Jährige München eindeutig als ihre Heimat: "Weil ich hier doch schon sehr lange lebe und weil ich bei meinen Reisen in die Elfenbeinküste feststellen musste, dass viele meiner Freunde weggegangen sind oder einfach nur ihr eigenes Leben haben."
Damit die Integration in einem fremden Land gelingt, ist es in ihren Augen vor allem wichtig, möglichst schnell die Sprache zu lernen: "Es ist gut, gleich Deutschkurse zu besuchen, damit man nicht ständig auf die Hilfe anderer angewiesen ist und zum Beispiel mit den Behörden hier alles klären kann."
Auf dem aktuellen Entwicklungsindex der Vereinten Nationen liegt Côte d’Ivoire auf Rang 166 von 193 Ländern. Amtssprache ist Französisch, es gibt jedoch 79 verschiedene Sprachen und Idiome. Eine Gefahr für das Land bildet die unsichere Lage in den Nachbarstaaten Burkina Faso und Mali sowie ein mögliches Eindringen terroristischer Gruppierungen aus der Sahelzone. Seit November 2023 gibt es eine Klima- und Entwicklungspartnerschaft mit Deutschland.