Interview

Charlotte Knobloch: "Mit Davidstern auf die Straße? Das nimmt in München kein gutes Ende"

IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch spricht in der AZ über ihre Urenkel, die schnell wieder zurück nach Israel sind, ihre Sorgen, die Zukunft ihrer Gemeinde – und einen neuen jüdischen Friedhof für München.
Felix Müller
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"Meine große Hoffnung sind die jungen Menschen", sagt Charlotte Knobloch.
"Meine große Hoffnung sind die jungen Menschen", sagt Charlotte Knobloch. © Sigi Müller

München - Charlotte Knobloch kommt ungefragt sofort auf den Alt-Oberbürgermeister zu sprechen. "Ohne Christian Ude", sagt sie und schaut aus dem fünften Stock der IKG runter auf die Synagoge am Jakobsplatz, "hätte es all das nicht gegeben". Dankbarkeit, Freude und Stolz über das wieder erstarkte jüdische Leben sind hier immer noch groß – die Sorge um Gegenwart und Zukunft aber auch. Die IKG-Präsidentin nimmt sich viel Zeit für die AZ. 91 Jahre ist sie mittlerweile – doch sie kommt kaum dazu, ihr Wasser anzurühren, so sehr drängen die großen Themen dieser Monate.

AZ: Frau Knobloch, Hunderte Israelis sind nach dem grausamen Terror-Angriff der Hamas vom 7. Oktober nach München gekommen. Warum wurde das so wenig wahrgenommen?
CHARLOTTE KNOBLOCH: Viele Israelis wollten sich hier in der Öffentlichkeit nicht als Israelis zeigen. Sie haben sich sehr zurückgehalten, weil sie Sorge hatten, wie sie aufgenommen werden.

Was konnten Sie als Gemeinde für diese Menschen tun?
Wir haben im Rahmen unserer Möglichkeiten geholfen, haben Räume zur Verfügung gestellt, damit die Leute sich treffen konnten, auch am Abend, haben Betreuungsmöglichkeiten für Kinder besorgt. Auch meine Enkelin aus Israel ist mit ihren Kindern eine Zeit lang in München untergekommen.

Charlotte Knobloch: "Natürlich standen meine Urenkel unter Schock"

Wie war die Situation für die Kinder?
Sie mussten Hals über Kopf aus Israel weg. Da haben ständig die Sirenen geheult, sie waren nächtelang im Bunker. Irgendwann waren sie nicht mehr zu beruhigen, meine Tochter hat gefragt, ob sie herkommen können. Den Kindern war es nicht recht, aus Israel wegzugehen, aber es ging nicht anders. Sie waren wütend, aber hier auch erst einmal ganz still.

Sind die Kinder noch hier?
Nein, nach drei Wochen sind sie wieder weg.

Weil sie ihren Alltag gebraucht haben?
Auch das, sicher. Ich habe sie hier gleich in die Schule gegeben, sie verstehen gut Deutsch. Natürlich standen die Kinder noch unter Schock, aber die Münchner Kinder hier haben verstanden, dass man sie einbeziehen muss, haben ihnen geholfen.

"Menschen, die hier geboren sind, fragen sich: Ist das noch mein Land?" – Charlotte Knobloch beim AZ-Besuch in der Israelitischen Kultusgemeinde.

Trotzdem gingen sie.
Nach drei Wochen kam meine Enkelin nach Hause und sagte zu mir "Oma, wir fahren morgen zurück." Sie werde mir noch erzählen, was passiert ist.

Was hat sie später berichtet?
Sie ist mit den Kindern U-Bahn gefahren und die haben Hebräisch gesprochen, gar nicht laut. Daraufhin sind Leute aufgestanden und auf sie zugegangen, nicht in freundlicher Absicht. Sie ist an der nächsten Station ausgestiegen. Weil sie negatives Aufsehen mit den Kindern erregt hat, hat sie sich gleich wieder entschlossen, zurückzufahren. Das hat mich sehr beschäftigt – dass sie gesagt hat: Oma, in Israel ist es sicherer für uns als hier.

"Mit Davidstern raus? Das nimmt in München kein gutes Ende"

Ist das etwas, das Sie häufiger hören: Dass Juden sagen, selbst in Kriegszeiten sind wir in Israel sicherer als in München?
Die Israelis, die im Herbst nach München gekommen sind, haben sehr geschätzt, was hier für sie getan wurde. Aber ihre Gespräche, ihre Blicke, waren immer sehr nach Israel gerichtet. Und inzwischen sind sie alle wieder dort.

Sie selbst haben kürzlich gesagt, Sie hätten keine Angst mehr, würden nicht auf gepackten Koffern sitzen. Aber Sie würden verstehen, dass junge jüdische Familien überlegen, wegzugehen. Raten Sie ihnen dazu?
Mein Wunsch ist es nicht, und meinen Enkeln habe ich auch immer geraten, hier zu studieren. Es ist wichtig, dass man sich nicht nur auf israelischem Parkett sicher bewegen kann, sondern internationale Möglichkeiten hat. Und es gibt auch einzelne jüdische Familien, die hier bewusst für die nächsten Jahre ihre neue Heimat suchen.

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Sie haben vor ein paar Jahren gesagt, dass sich Juden in München nicht mehr in die Öffentlichkeit trauen mit Schmuck oder Kleidung, die sie als Juden ausweisen. Hat sich die Lage seitdem verschärft?
Ja, auf jeden Fall. Ich würde niemandem raten, durch Kleidung, Schmuck, einen dekorativen Davidstern aufzufallen. Das nimmt kein gutes Ende.

Wie schwierig ist es, sich in seiner Heimatstadt zu Hause zu fühlen, wenn man seine Religion nicht öffentlich zeigen mag?
Menschen, die hier geboren sind, fragen sich in diesen Zeiten schon: Ist das noch mein Land, kann ich hier meine Kinder erziehen? Sie kommen mit solchen Fragen auch zu mir.

Charlotte Knobloch: "Da herrscht dann Ruhe, weil es keine gute Antwort gibt"

Was antworten Sie?
Mit einer Gegenfrage: Wo wollt Ihr denn stattdessen hin?

Charlotte Knobloch mit AZ-Lokalchef Felix Müller auf der Dachterrasse hoch überm Jakobsplatz.
Charlotte Knobloch mit AZ-Lokalchef Felix Müller auf der Dachterrasse hoch überm Jakobsplatz. © Sigi Müller

Was antworten die Leute?
Da herrscht dann Ruhe, weil es in diesen Zeiten keine gute Antwort darauf gibt. Selbst in New York ist es schwierig geworden, die Situation in Amerika wird auch immer aussichtsloser. Die Universitäten dort sind dem Judenhass nicht mehr gewachsen.

Hier unten auf dem Jakobsplatz standen im Herbst der OB und der Ministerpräsident auf einer Kundgebung  in Solidarität mit Israel. Viel mehr Teilnehmer aber gab es von Anfang an bei Pro-Palästina-Demonstrationen. Was sagt das über unsere Stadt?
Die Unterstützung aus der Bevölkerung kurz nach dem 7. Oktober war schon groß. Wir konnten Leitz-Ordner füllen mit den Sympathiebekundungen.

Aber?
Inzwischen ist die Stimmung eine andere. Alles, was Israel tut, wird sofort höchst negativ bewertet. Das spüren auch wir.

Die größten Münchner Demonstrationen zum Thema hat "Palästina spricht" organisiert, eine Organisation, die die israelischen Opfer der Terror-Attacke ganz offen verhöhnt hat. Aktivisten sind für Teile der liberalen Münchner Öffentlichkeit trotzdem ein normaler Ansprechpartner auf Augenhöhe. Frustriert Sie das?
Ich weiß, dass man in der Politik mit vielen Leuten reden muss. Aber es muss Grenzen geben. Manche Gesprächspartner dürfen keine politischen Partner sein, vor allem, wenn sie sich so verhalten haben.

Warum tun sich Politik und Öffentlichkeit auch in München so schwer, muslimischen Judenhass zu benennen?
Man will und wollte das zum Teil nicht erkennen. Am 7. Oktober war der Hass dann nicht mehr zu übersehen, und für einen kurzen Moment war auch die Anteilnahme groß. Aber mit jedem Tag danach wurde es wieder mehr ausgeblendet, und heute sind wir im Grunde so weit wie vorher. Viele in der jüdischen Gemeinschaft sind verärgert, und ich verstehe das auch.

Gleichzeitig glauben auch in München viele Menschen, die IKG hätte eine unheimliche Meinungsmacht, man dürfe israelische Politik eigentlich gar nicht kritisieren, um palästinensische Opfer nicht trauern. Was entgegnen Sie?
Solche Sätze sagen mehr über die aus, die sie sagen, als über die Realität der Gesellschaft. Wir als Gemeinde weisen darauf hin, dass dieser Krieg am 7. Oktober begonnen hat, nicht danach. Wer sich an dieser Feststellung stört, sollte mit der Problemsuche bei sich selbst anfangen.

Ein anderes Thema: 2023 wurden an der Isar Reste der alten Hauptsynagoge gefunden, die die Nazis haben abreißen lassen. Was geschieht mit den Steinen der Synagoge, die Sie ja selbst als Kind noch besucht haben?
Einen der ersten Steine, die gefunden wurden, haben wir hier aktuell in der Synagoge ausgestellt. Nun gibt es die Idee, dass wir ihn in eine Wand der bestehenden Synagoge einbauen. Mir gefällt das gut, ich habe immer gesagt, dass wir eine Synagoge analog zu unserer alten Hauptsynagoge brauchen.

Was soll mit den anderen Funden passieren?
Aufgrund des großen Zuzugs, erst aus der alten Sowjetunion und jetzt aus der Ukraine, brauchen wir einen neuen Friedhof, und die Stadt würde uns eine Verlängerung des Perlacher Friedhofs zur Verfügung stellen. Dort würde ich einen Platz zumindest für einen Teil der Steine sehen, etwa in der Begrenzungsmauer.

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Nach einer neuen Befragung der Stadt findet mehr als ein Viertel der Münchner, man müsse nun endlich mal einen Schlussstrich ziehen unter die Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Was bedeutet da der Abschied von den letzten Zeitzeugen, was ist politisch zu tun?
Vor ein paar Tagen ist Natan Grossmann gestorben, nahezu unser letzter großer Zeitzeuge. Die Beerdigung war am Tag der großen Befreiungsfeier an der KZ-Gedenkstätte in Dachau. Er war schon sehr krank, aber er war mit 96 der Letzte seiner Art, der – wie bis 2016 Max Mannheimer – über seine Erlebnisse erzählt hat. Jetzt haben wir keinen mehr, der sich so erinnert wie er. Und bis in zehn Jahren wird es gar niemanden mehr geben.

Was folgt nun daraus?
Viele junge Menschen sind geprägt worden von ihren Gesprächen mit den Zeitzeugen. Aber ich sehe auch abgesehen davon sehr positiv, wie sich die Art geändert hat, wie die jungen Menschen mit dem Thema konfrontiert werden. Früher haben sie es oft so empfunden, dass man ihnen eine Schuld gibt, und haben sich abgewandt. Dabei geht es darum, dass man zeigt, was Menschen Menschen antun können - und man davon ausgehend eine Verantwortung übernimmt. Ich habe als Kind die Menschen gesehen mit ihren Deportationsaufforderungen in der Hand, die Juden wussten, was das bedeutet. Und ich habe gesehen, dass ganz normale Menschen sich von einem Tag auf den anderen auf die Seite der Nazis geschlagen haben und das Töten von Menschen, nur weil sie Juden waren, unterstützt haben. Dieses Wissen muss an die kommenden Generationen weitergegeben werden.

Sie selbst haben den größten Respekt auch bei jenen, die heute im Rathaus oder der Staatskanzlei das Sagen haben. Ein Respekt, der eben stark Ihnen persönlich und Ihrer Lebensgeschichte und -leistung gilt. Haben Sie Sorge um das jüdische Leben hier, wenn Sie eines Tages nicht mehr können - dass junge Juden, dass die IKG, dann vielleicht viel weniger Gehör finden?
Es geht da ja wirklich nicht nur um meine Person, sondern um den Stellenwert für jüdisches Leben insgesamt. Und da sage ich: Ja, Sorgen habe ich schon. Ein kleines Fragezeichen, ob sich die Dinge so weiterentwickeln, wie ich es mir wünsche, habe ich auf jeden Fall.

Frau Knobloch, was macht Ihnen Hoffnung, in diesem Frühjahr 2024?
Meine große Hoffnung sind die jungen Menschen. Ich höre ja auch solche Geschichten: dass in Schulen ein freiwilliges Angebot gemacht wird zur Geschichte des Nationalsozialismus – und der Saal dann ganz voll ist. Ich erlebe das selbst. Vielleicht gibt es ja doch viele, die Verantwortung übernehmen wollen für unsere Zukunft.

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