Holocaust-Überlebende Charlotte Knobloch: Erinnerung in München "jetzt wichtiger denn je"

In München erinnern Erinnerungstafeln und -stelen an die Opfer des Holocausts. Eine dieser Tafeln widmete die Stadt nun einer Münchnerin, die von den Nationalsozialisten ermordet wurde. Zur Gedenkfeier kamen neben Charlotte Knobloch auch Angehörige aus Israel.
Julia Wohlgeschaffen
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Das historistische Gebäude in der Arcostraße, wo Olga Maier einst lebte. Unter der Hausnummer wurde die Gedenktafel befestigt.
Das historistische Gebäude in der Arcostraße, wo Olga Maier einst lebte. Unter der Hausnummer wurde die Gedenktafel befestigt. © Sigi Müller

München - Eine kleine goldene Tafel ziert seit Kurzem die Fassade des historistischen Gebäudes in der Arcostraße 1. Sie soll an die Frau erinnern, die hier einst lebte. Und an das Unrecht, das ihr widerfahren ist.

Olga Maier war die Tochter eines Tuchkaufmanns und Schneidermeisters. Zehn Jahre lang wohnte sie in der Arcostraße – bis die Gestapo sie 1942 zwang, in die "Judensiedlung Milbertshofen" zu ziehen. Noch im selben Jahr ermordete die SS Olga Maier im Vernichtungslager Treblinka.

Die Erinnerungstafel für Olga Maier in der Arcostraße 1, wo sie früher lebte. In München gibt es keine Stolpertsteine, sondern Tafeln wie die für Olga Maier und Stelen. Sie sind jeweils mit Fotos und knappen Lebensdaten der vertriebenen Menschen versehen.
Die Erinnerungstafel für Olga Maier in der Arcostraße 1, wo sie früher lebte. In München gibt es keine Stolpertsteine, sondern Tafeln wie die für Olga Maier und Stelen. Sie sind jeweils mit Fotos und knappen Lebensdaten der vertriebenen Menschen versehen. © Sigi Müller

Holocaust-Erinnerung in München: "Gegenstück zu denen, die gerade das Vergessen einfordern"

"Die Erinnerung ist jetzt wichtiger denn je", sagt Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), bei der Gedenkveranstaltung für Olga Maier im NS-Dokumentationszentrum am Donnerstag Nachmittag. "Die Menschen schaffen so das notwendige Gegenstück zu denen, die gerade umgekehrt das Vergessen einfordern." Unter den Anwesenden sind auch Angehörige von Olga Maier, die für diesen Anlass nach München gekommen – teilweise aus Israel. "Es bedeutet viel, dass Sie heute da sind", sagt Knobloch zu ihnen.

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Olga Maiers Bruder emigrierte 1934 nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten mit seiner Familie nach Palästina. Zu ihren Verwandten pflegte die Münchnerin weiterhin ein enges Verhältnis, schickte ihnen etwa Briefe und Pakete, solange es möglich war. "Olga war die Tante meines Großvaters", erzählt Meytar Zemer bei der Gedenkveranstaltung der AZ. Die 36-Jährige lebt in Tel Aviv. Bisher kannte sie nur die Stolpersteine, die in vielen deutschen und europäischen Städten verlegt sind und an die Menschen erinnern, die von den Nazis verschleppt und ermordet wurden.

In München gibt es sie nur auf Privatgrund und ganz vereinzelt auch auf staatlichen Flächen – weil etwa die Israelitische Kultusgemeinde kritisiert hatte, dass Menschen flüchtig darauf treten würden. Stattdessen entschied man sich in der Stadt für Erinnerungsstelen und -wandtafeln auf Augenhöhe, mit Fotos und knappen Lebensdaten der vertriebenen Menschen.

Die Angehörigen von Olga Meier vor der Gedenktafel in der Arcostraße. Meytar Zemer (untere Reihe, 2. v.l.) etwa ist aus Tel Aviv angereist.
Die Angehörigen von Olga Meier vor der Gedenktafel in der Arcostraße. Meytar Zemer (untere Reihe, 2. v.l.) etwa ist aus Tel Aviv angereist. © jw

Gedenken an die Münchner Jüdin Olga Meier: "Gewünscht, dass es das nicht brauchen würde"

"Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass es solche Erinnerungszeichen gar nicht brauchen würde", sagt Meytar Zemer. Ihre Großeltern waren während des Holocausts nicht mehr in Deutschland, erzählt sie, daher sei das Thema für sie nie so nah gewesen, als sie aufgewachsen ist.

"Jetzt kenne ich die Geschichten von den Verwandten meines Großvaters, und es fühlt sich viel näher an als früher", sagt Zemer. Auch wegen der aktuellen Ereignisse. "Im Moment wird die Legitimität der Existenz meiner Heimat Israel debattiert, das ist eine merkwürdige Situation." Früher habe sie mit dem Gedanken gespielt, irgendwann vielleicht nach Berlin zu ziehen, das sei ein Trend unter junge Israelis.

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Nicht nur in München: Es sind schwierige Zeiten für Juden

"Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher, ob es für mich und meine Familie sicher ist, als Juden und Israelis in Europa zu leben. Das weckt schon Erinnerungen an die 1930er Jahre", sagt Meytar Zemer. "Es sind schwierige Zeiten für Juden. Daher finde ich es sehr wichtig, gerade jetzt hierher zu kommen."

Dafür dankt ihnen auch Stadträtin Marion Lüttig (Grüne) bei der Gedenkveranstaltung, sie vertritt den Oberbürgermeister. Seit dem Angriff der Hamas sei die Welt ein anderer Ort geworden. "Antisemitische Verbrechen haben ein nie dagewesenes Level seit dem Holocaust erreicht. Das beschämt mich sehr", sagt sie.

Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, bei der Gedenkfeier im NS-Dokumentationszentrum.
Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, bei der Gedenkfeier im NS-Dokumentationszentrum. © jw

Neben Lüttig sind noch weitere Mitglieder des Stadtrats anwesend. "Es bedeutet viel, dass die Stadt Anteil nimmt am Schicksal früherer Bürger", findet Knobloch. Die Stadt widmet Olga Maier auch eine eigene Ausstellung im Jüdischen Museum. Ausgangspunkt sind zwei silberne Kerzenleuchter, von denen sich die Münchnerin 1939 trennen musste, als jüdische Menschen gezwungen wurden, Schmuck und wertvollen Hausrat abzugeben. Noch bis zum 17. März ist die Ausstellung "Tante Olgas Silberleuchter" zu sehen.

"Solange wir gedenken, bleiben Menschen wie Olga unvergessen", sagt Charlotte Knobloch abschließend bei der Gedenkfeier. In München wird man sich auch nach der Ausstellung noch an Olga Maier erinnern. Dank einer kleinen goldenen Tafel. 

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