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Prozess gegen Jérôme Boateng in München: Zoff zwischen Richterin und Staatsanwältin geht weiter

Tag vier im Prozess gegen Jérôme Boateng in München: Seine Ex-Freundin sagt weiter aus.
Maximilian Neumair |
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Jérôme Boateng am Freitag vor dem Münchner Gericht.
Jérôme Boateng am Freitag vor dem Münchner Gericht. © Sven Hoppe/dpa

München - "Ist Ihre Mandantin suizidgefährdet?", fragt die Vorsitzende Richterin Susanne Hemmerich die Anwältin von Boatengs Ex-Freundin, Carolin Lütcke. Am vierten Prozess-Tag um das Boateng-Verfahren, das sich um einen mutmaßlichen Angriff von Jérôme Boateng auf seine damalige Freundin im Jahr 2018 dreht, soll zum zweiten Mal eben diese als Zeugin befragt werden. "Ich höre ihre Stimme und sehe, wie bedrückt sie ist", antwortet ihre Anwältin Lütcke.

Nebenklage will Lösung finden und Verfahren vorzeitig beenden

"Wir haben schon eine Tote", warnt sie und spielt dabei auf Kasia Lenhardt an, eine weitere Ex-Freundin von Boateng, die im Februar 2021 starb. Diese Szenen spielen sich unmittelbar vor der geplanten Zeugenbefragung ab. Hemmerich bezieht sich bei ihrer Frage auf ein Gespräch, dass sie mit Staatsanwältin Stefanie Eckert vor dem Prozess offenbar geführt hat. In diesem soll es um die psychische Belastung gegangen sein, die Boatengs ehemalige Partner momentan laut Nebenklägerin erlebe.

Die Nebenklage bietet daraufhin an, ein erneutes Rechtsgespräch führen zu wollen, um eine gemeinschaftliche Lösung zu finden und das Verfahren vorzeitig zu beenden – gerade weil diesmal sowohl Boateng als auch seine Ex-Freundin vor Gericht anwesend sind. Schon um 10.30 Uhr steht die erste Sitzungsunterbrechung an.

Zoff zwischen Richterin und Staatsanwältin

Eine halbe Stunde zuvor beginnt der Sitzungstag hitzig: Erneut zoffen sich Richterin Hemmerich und Staatsanwältin Eckert. Hemmerich wirft vor, dass ihr Dokumente aus den Ermittlungen nicht zugänglich gemacht werden: "Sowas habe ich noch nie erlebt!" Eckert beschwert sich wiederum, dass der Staatsanwaltschaft vorgeschrieben wird, wie sie ihre Ermittlungen zu führen habe. "Die Staatsanwaltschaft ermittelt objektiv!", betont sie.

Ebenso Teil des Streits ist erneut die Frage, inwiefern das Kasia Lenhardt-Verfahren in den laufenden Boateng-Prozess miteinbezogen werden solle. "Ich möchte das gerne vermeiden", sagt Eckert, "Wir haben auch einen Schutzauftrag gegenüber unseren Geschädigten. Wir riskieren nicht die Retraumatisierung in der Zeugenaufnahme." Seit Jahren läuft ein Ermittlungsverfahren gegen Boateng wegen körperlicher Übergriffe auf Lenhardt. Ein mehrteiliger Spiegel-Podcast erzählt auf Basis der Chatverläufe Lenhardts von diesen Vorwürfen.

Boatengs Anwalt: "Hat er kein Recht auf Wahrheit?"

Boatengs Anwalt Leonard Walischewski beharrt darauf, das Verfahren einführen zu müssen: "Hat Herr Boateng kein Recht auf Wahrheit?" Sein Argument: "Die Familie Lenhardt hat doch auf alle Persönlichkeitsrechte verzichtet, als sie dem 'Spiegel' alle Informationen zur Verfügung gestellt haben." Boateng müsse sich diesbezüglich verteidigen und wehren gegen das "Narrativ Frauenschläger". "Es gibt keine Frauen! Wenn überhaupt gibt es nur einen Vorfall 2018", sagt Walischewski.

So geht das eine ganze Weile hin und her, bis Hemmerich das Gespräch beendet und davon spricht, dass sie und Eckert in diesem Verfahren nicht mehr einig würden.

Die Parteien konnten sich nach dem Rechtsgespräch erneut nicht einigen (der Versuch, einen sogenannten Deal einzugehen, war schon am ersten Verhandlungstag gescheitert). "Ich hätte das Verfahren gerne heute beendet", sagt Lütcke, ehe sie ihren Beweisantrag verliest. Sie möchte als Zeugin Boatengs Mutter ins Spiel bringen. Dafür führt sie in ihrem Antrag zahlreiche Aussagen der Mutter heran, die diese in Mails und Sprachnachrichten an Boatengs-Ex-Freundin gerichtet hatte. "Boateng hat wiederholt gegenüber Frauen Gewalt angewendet!", sagt die Anwältin und betont dabei die Mehrzahl.

"Gegenüber all seinen Ex-Freundinnen wurde er [Boateng] handgreiflich. Das hat er von seinem Vater", soll Boatengs Mutter geschrieben haben. In einer weiteren Sprachnachricht heißt es: "Mir ist bekannt, dass mein Sohn ein gewalttätiges Verhalten hat. Ich habe Angst, dass ich aufgrund dieser Erklärung um mein Leben fürchten muss." Sie findet, was er mit seiner Ex-Freundin abziehe, sei ekelhaft. "Wie ich in meiner ersten E-Mail an deine Anwältin geschrieben habe, misshandelt er psychisch und physisch Frauen und er kommt weiter und weiter damit durch."

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Sprachnachrichten von Boatengs Mutter

Boatengs Mutter bezeichnet ihn demnach in einer der Sprachnachrichten sogar als "Psychopath und Soziopath". Er sehe keine Fehler ein, "aber das gehört natürlich auch zu seinem Krankheitsbild", heißt es weiter. Auch die angebliche Drohung Boatengs an seine Ex-Partnerin, dass er die Kinder eher ins Heim gehen lässt, als sie ihr zu überlassen, habe die Mutter so auch schon gehört. Außerdem führt die Anwältin der Nebenklägerin an, dass Boateng in einer Sprachnachricht an Kasia Lenhardt angekündigt habe, sich psychotherapeutische Hilfe zu suchen. Boateng bleibt während all dem regungslos sitzen – nippt gelegentlich an seinem Kaffee.

Boatengs Anwalt Walischewski erwidert daraufhin hin, dass von der Mutter all das gesagt worden sei "unter dem Eindruck eines Selbstmordes." "Deshalb müssen wir das alles aufarbeiten", sagt er und spricht erneut vom "Recht der Wahrheit für Boateng".

Schließlich wird Boatengs Ex-Freundin, die als alleinige Zeugin für diesen Verhandlungstag geladen ist, ein weiteres Mal befragt. Diesmal geht es um einen mutmaßlichen Angriff von Boateng an ihrem Geburtstag im Jahr 2016: Dort soll er nach ihr gegriffen haben, als sie sich weigerte, mit ihm nach Hause zu kommen und soll sie später ums Auto gejagt haben. Infolgedessen habe er sie geschubst, wodurch sie mit der Hand auf die Bordsteinkante fiel und sich so die Hand aufriss und die Knochen splitterte. Einen weiteren Gewaltvorfall soll es im Jahr 2019 gegeben haben, als sie ihre Kinder abholen wollte, aber eine der Töchter bei Boateng bleiben wollte. Das wollte die Zeugin mit dieser besprechen, doch der Fußballstar soll daraufhin nach draußen gestürmt sein, gesagt haben, sie solle verschwinden und ihr anschließend an den Arm gepackt und die Stufen herunter geschubst haben.

Ebenso berichtet die Ex-Freundin davon, dass Kasia Lenhardt sich bei ihr gemeldet und davon erzählt habe, wie Boateng auch sie schlage. Sie soll Bilder von Verletzungen und blauen Flecken geschickt haben. Später habe Lenhardt sie erneut kontaktiert und sei bei den Vorwürfen zurückgerudert. 

"Warum haben Sie nicht die Flucht ergriffen?", fragt Boatengs Anwalt

Dann kommt es zur Befragung durch Boatengs Anwalt: Er will die Motive von ihren Familienanträgen wissen, die sie wenige Wochen nach dem Karibik-Vorfall gestellt hat. Die Ex-Freundin kann sich nicht mehr daran erinnern: "Es ist schon zu lange her". Konkretere Antworten erhält er, als es um den mutmaßlichen Angriff von Boateng in 2018 geht. "Wollten sie ihn provozieren?", fragt Walischewski – er bezieht sich auf den Auslöser für Boatengs Ausraster. Boatengs Version der Geschichte: Seine Ex-Freundin soll mit ihrer Freundin, die ebenfalls auf dem Karibikurlaub dabei war, über eine angebliche Affäre von Boateng gesprochen und ihrem damaligen Partner vorgeworfen haben, mit ihr immer noch zu schlafen. "Wollte ich nicht!", wehrt sich seine Ex-Partnerin. Eine weitere brisante Frage des Boateng-Anwalts: "Warum haben Sie nicht die Flucht ergriffen?" Gemeint ist die Zeit nach der ersten mutmaßlichen Attacke mit der Kühltasche und dem Windlicht, die Boateng auf sie geworfen haben soll. Da platzt Richterin Hemmerich jedoch  der Kragen: "Das ist eine süffisante Art der Befragung, die ich nicht besonders schätze!" Wiederholt kritisierte sie die Fragen der Verteidigung. Und droht schließlich an, den Prozesstag über das Deutschlandspiel hinaus (Anpfiff 5. Juli um 18 Uhr) zu ziehen. Dazu kommt es nicht. 

Nächsten Freitag wird der Prozess fortgeführt. Falls Boatengs Mutter die Aussage nicht verweigert, könnte sie über den Fußballstar auspacken. Es ist bereits das vierte Verfahren um den Karibik-Vorfall im Jahr 2018 – vor drei Wochen wurde der Prozess vor dem Landgericht neu aufgerollt. Für Boateng gilt bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung. 

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8 Kommentare
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  • BingoMuc am 07.07.2024 07:17 Uhr / Bewertung:

    Vielleicht arbeitet sie auch nur gegen die Vorverurteilung

  • Witwe Bolte am 05.07.2024 14:31 Uhr / Bewertung:

    Merkwürdig ist, dass Hr. Boateng für seine Zwillingsmädchen das Sorge- u. Aufenthaltsbestimmungsrecht hat. Trotz der Gewaltvorwürfe.
    Ein Treffen mit der Mutter ( Justizvollzugsbeamtin) darf nur im Beisein mit einer Jugendamtsmitarbeiterin erfolgen. Kinder und Mutter haben sich schon sehr lange nicht mehr gesehen.
    Normal ist das auch nicht.

  • Analyst am 06.07.2024 10:09 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Witwe Bolte

    Ist er denn schon verurteilt?

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