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Wegen Boateng-Prozess in München: Richterin muss Ruhestand vertagen

Eigentlich geht es in dem Verfahren um einen mutmaßen Angriff von Boateng auf seine Ex-Freundin. Doch wie der dritte Verhandlungstag zeigt, wird auch um alte Chatnachrichten, andere Gewaltvorwürfe und um andere Beziehungen gestritten werden müssen.
Maximilian Neumair |
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Jérôme Boateng, Fußball-Profi, steht am zweiten Verhandlungstag im Landgericht neben seinem Anwalt Leonard Walischewski (l) in der Anklagebank. (Archivbild)
Jérôme Boateng, Fußball-Profi, steht am zweiten Verhandlungstag im Landgericht neben seinem Anwalt Leonard Walischewski (l) in der Anklagebank. (Archivbild) © dpa/Karl-Josef Hildenbrand

München - "Wir werden weitere Verhandlungen brauchen", stellt Vorsitzende Richterin Susanne Hemmerich angesäuert fest. Den Antrag auf ihren frühzeitigen Ruhestand Ende August habe sie am Donnerstag zurückgezogen, denn das Verfahren um Jérôme Boateng möchte sie selbst zu Ende führen. Dem Fußballer wird vorgeworfen, seine Ex-Freundin im Jahr 2018 in einem Karibikurlaub mit einer Kühltasche und einem Windlicht beworfen, beleidigt und später geschlagen zu haben.

Der Grund, warum der Prozess sich ziehen wird: In das Verfahren wurden unter anderem Chat-Nachrichten, andere Beziehungen und weitere Gewaltvorwürfe eingeführt, für die zusätzliche Zeugen geladen werden müssten. Staatsanwältin Stefanie Eckert sieht das als Angriff: "Mir wird massiv vorgeworfen, dass durch meine Befragung [Anmerkung Redaktion: zweiter Verhandlungstag] das Verfahren ausgeweitet ist. Die Dinge, die der Angeklagte in seiner Einlassung erwähnt hat [Anmerkung Redaktion: erster Verhandlungstag], habe ich abgefragt. Mehr nicht."

Sie habe das Kasia Lenhardt-Verfahren nicht eingeführt. "Es wird nicht strafverschärfend berücksichtigt, es gilt die Unschuldsvermutung!" Daraufhin erwidert die Richterin trocken: "Das Gefühl hatte ich letzte Woche nicht." Seit dem ersten Sitzungstag zanken sich Hemmerich und Eckert – meistens über die Frage, welche Inhalte in den Prozess gehören und welche nicht.

Boateng-Prozess: Richter und Anwältin als Zeugen geladen

Am dritten Verhandlungstag sind am Vormittag zwei Zeugen geladen: sowohl der Richter aus dem allerersten Verfahren vor dem Amtsgericht (Boateng wurde in Zuge dessen zu einer Haftstrafe von 60 Tagessätzen je 30.000 Euro, insgesamt 1,8 Millionen Euro, verurteilt) als auch die Familienanwältin von Boatengs Ex-Freundin.

Richter Kai Dingerdissen berichtet in der Befragung davon, dass er von der Kühltasche, die mutmaßlich auf Boatengs Ex-Freundin geworfen wurde, in allen möglichen Varianten schon gehört habe: Mal soll sie klein, mal mittelgroß, mal groß, mal leer, mal halbvoll, mal voll, mal hart, mal weich gewesen sein. Worüber er sich wundert: Dass keine Fotos von Windlicht und Kühltasche existieren. Und auch die Kühltasche sei im ersten Prozess für die Zeugen kein großes Thema gewesen. In ersten Verfahren, das er leitete, hatte die Freundin von Boatengs Ex-Lebensgefährtin, die ebenfalls auf dem Karibikurlaub mit dabei war, sich an keine Kühltasche erinnern können – bei der Sitzung vergangene Woche hingegen schon. Für das damalige Urteil Dingerdissens sei jedoch sowieso das blaue Auge entscheidend gewesen.

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Anwältin berichtet von grün-blauem Auge von Boateng-Ex kurz nach Karibikurlaub

Von diesem berichtet auch die als Zeugin geladene Familienanwältin von Boatengs Ex-Freundin. Diese habe die Anwältin am Tag nach der Tat angerufen und unter Tränen erzählt: "Jérôme hat mich wieder geschlagen". Er habe mit Fäusten auf sie eingeschlagen, in die Seite geboxt, ihr Auge getroffen und ihr in den Kopf gebissen. Auch vom Windlicht, das nach ihr geworfen worden sei, aber sie nicht getroffen habe, habe Boatengs Ex-Freundin erzählt, so die Familienanwältin.

Auch sie erinnert sich an keine Kühltasche. Dafür umso deutlicher an das ihr zufolge blau-grün angelaufene Auge, das die Anwältin laut eigener Aussage selbst gesehen habe, als Boatengs Ex-Freundin bei ihr im Büro vorbeikam – zwei Tage nach dem Vorfall. Ebenso auffallend: das auf dem Oberkopf ungekämmte Haar. "Gucken Sie nicht hin, da komme ich mit der Bürste nicht ran", soll die Nebenklägerin gesagt haben, als ihr der prüfende Blick der Anwältin auffiel. Der mutmaßliche Grund für die empfindliche Kopfhaut: die Verletzung durch Boatengs Bissangriff.

Vorsitzender Richter aus erstem Verfahren als Zeuge

Nach der Mittagspause kommt der letzte Zeuge für diesen Verhandlungstag: Der Vorsitzende Richter Andreas Forstner, der das erste Verfahren am Landgericht leitete und Boateng zu einer Strafe von 120 Tagessätzen zu je 10.000 Euro (1,2 Millionen Euro) verurteilte. Weil er einen Befangenheitsantrag gegen sich selbst abgelehnt hatte, wurde die Entscheidung vom Bayerischen Obersten Landesgericht 2023 widerrufen.

Jetzt ist er wieder am Prozess beteiligt – aber diesmal als Zeuge. Er berichtet davon, dass die Beschaffenheit der Kühltasche nicht geklärt werden konnte, "zugunsten des Herrn Boateng". Auch Forstner erinnert sich daran, dass die Zeugen in dem damaligen Verfahren von einem "in Mitleidenschaft" gezogenen Auge und "unsortierten Haaren" berichteten.

Boatengs Anwalt bezichtigt Ex-Freundin der Lüge

Einem ganz anderen Thema widmet sich Boatengs Rechtsanwalt, Leonard Walischewski. Er will wissen, was Boatengs Ex-Freundin über das Kickboxen im letzten Landgerichtsverfahren aussagte. "Sie habe es eine Zeit lang ausgeübt, aber zum Tatzeitpunkt nicht mehr – soweit ich mich erinnere", antwortet Forstner. Walischewski bezichtigt daraufhin Boatengs Ex-Freundin der Lüge – angesichts von ihrer Aussage am zweiten Verhandlungstag vergangene Woche, als sie einräumte, im Jahr 2017 oder 2018 auch wieder bei einigen wenigen Kickboxing-Trainingseinheiten gewesen zu sein.

Ein Freund von Boateng, der ebenfalls mit im Karibik-Urlaub war, kann wegen laufender Ermittlungen wegen Falschaussage zwar nicht als Zeuge hinzugezogen werden. Aber die geladenen Richter schildern, was der Freund behauptet haben soll. Dingerdissen erinnert sich grob daran, dass Boateng das Windlicht laut dessen Freund unabsichtlich beim Aufstehen durch "seine langen Haxn" zerstört haben soll. Forstner berichtet dasselbe. Weiter sagt er aber auch über Boatengs Freund: "Die Kammer hatte den Eindruck, dass er sich die ganze Zeit widersprochen und immer wieder in Richtung Verteidigung und Boateng geschaut hat."

Prozess wird Anfang Juli fortgesetzt

Der Prozess wird nächsten Freitag (5. Juli) fortgesetzt – erneut ist Boatengs Ex-Freundin als Zeugin geladen. Richterin Hemmerich ist sichtlich genervt von dem für sie "ausufernden Prozess" und appelliert ein weiteres Mal an alle Beteiligten, den Umfang des Verfahrens nicht noch weiter auszuweiten. "Es muss endlich Rechtsfrieden eintreten", sagt sie.

Es ist bereits das vierte Verfahren um den Karibik-Vorfall im Jahr 2018 – vor zwei Wochen wurde der Prozess vor dem Landgericht neu aufgerollt. Für Boateng gilt bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung. 

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6 Kommentare
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  • Wendeltreppe am 01.07.2024 10:21 Uhr / Bewertung:

    Peinlicher Versuch die Sache umzudrehen, aber die Realität lässt sich nicht ausblenden.

  • MUC am 28.06.2024 18:35 Uhr / Bewertung:

    Wenn die Richterin ihr Büro räumt sollte sie die FCBayern-Fahnen und -Poster nicht vergessen...

  • SL am 28.06.2024 15:43 Uhr / Bewertung:

    Den Antrag auf frühzeitige Pension hat die Richterin zurückgezogen. Die fette Pension muss also noch ein wenig arbeiten. Schließlich hat sie für die Pension ja auch hohe Rentenbeiträge entrichtet

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