Bayerische Regierung verteidigt Präventivhaft als Akt wehrhafter Demokratie

Die bayerische Staatsregierung hat die Möglichkeit, Klimaaktivisten einen Monat lang präventiv in Gewahrsam zu nehmen. Die Grünen üben Kritik.
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Polizisten tragen einen Klimaaktivisten weg, der sich zuvor am Karlsplatz in der Innenstadt auf die Straße geklebt hat.
Polizisten tragen einen Klimaaktivisten weg, der sich zuvor am Karlsplatz in der Innenstadt auf die Straße geklebt hat. © dpa/Sven Hoppe

München - "Präventivmaßnahmen sind notwendig, um Straftaten, die angekündigt werden, die offenkundig kurz bevorstehen, zu verhindern", sagte Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) nach einer Kabinettssitzung am Dienstag in München. Gleiches gelte, wenn eine offenkundige Wiederholungsgefahr gegeben sei. Und von diesen Möglichkeiten, die das bayerische Polizeiaufgabengesetz biete, mache der Rechtsstaat eben Gebrauch, erklärte Herrmann und betonte: "Eine wehrhafte Demokratie lässt sich halt auch nicht auf der Nase herumtanzen."

Bayern: Bis zu zwei Monaten Präventivhaft möglich

Zuletzt waren mehrere Menschen, die sich in der Münchner Innenstadt aus Protest gegen die aus ihrer Sicht unzureichende Klimapolitik auf der Straße festgeklebt hatten, in Gewahrsam genommen worden. Die Möglichkeit dafür bietet das bayerische Polizeiaufgabengesetz: Auf Grundlage einer richterlichen Entscheidung können Menschen bis zu einen Monat lang in Gewahrsam genommen werden, um die Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit "von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit" oder einer Straftat zu verhindern. Dieser Zeitraum kann später um maximal einen weiteren Monat verlängert werden.

Demonstrationsfreiheit sei ein Grundrecht, "aber im Rahmen der Regeln des demokratischen Rechtsstaats", sagte Herrmann. "Es gibt kein Anliegen, das es rechtfertigen würde, Gesetze zu brechen."

Würde man einfach nur zuschauen, wenn Straftaten angekündigt werden, würde das Vertrauen der Menschen in den Rechtsstaat Schaden nehmen, warnte Herrmann, "so nach dem Motto: Es muss erst was passieren, bevor wir einschreiten". Der CSU-Politiker argumentierte: "Das ist genau das Gegenteil von dem, was eine wehrhafte Demokratie möchte. Es geht um Prävention. Es geht darum, Straftaten zu verhindern." Dabei stehe eine Freiheitsentziehung aber immer unter Richtervorbehalt.

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Grüne kritisieren Präventivhaft

Grünen-Landtagsfraktionschefin Katharina Schulze kritisierte die Protestform der Klimaaktivisten: "Sich auf Straßen zu kleben, halten wir nicht für das richtige Mittel, um eine gesellschaftliche Mehrheit für den Klimaschutz zu gewinnen", sagte sie. Mehr noch kritisierte sie aber den präventiven Gewahrsam: "Eine Inhaftierung für die Dauer von 30 Tagen auf der Basis eines polizeilich angeordneten Präventivgewahrsams - also ohne Verhandlung und ohne Urteil - für die Begehung von Straßenblockaden stellt einen Verstoß gegen jede Verhältnismäßigkeit dar", sagte sie und fügte hinzu: "Wir sind gespannt, ob bald mit gleicher Härte gegen Zweite-Reihe-Parker oder Rettungsgassen-Verhinderer vorgegangen wird."

"In keinem anderen Bundesland verfügt die Polizei über die Möglichkeit, Bürgerinnen und Bürger so lange und schon wegen der Begehung reiner Ordnungswidrigkeiten in Vorbeugehaft zu nehmen", kritisierte Schulze. "Die Vorschrift ist unserer Überzeugung nach nicht mit unserer Verfassung vereinbar." Sie sei ein Hauptkritikpunkt der Grünen-Klage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof gegen das Polizeiaufgabengesetz. Man hoffe, dass die Klärung dieser wichtigen verfassungsrechtlichen Frage nicht mehr lange auf sich warten lasse.

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14 Kommentare
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  • Der wahre tscharlie am 09.11.2022 15:29 Uhr / Bewertung:

    Bis zu zwei Monate OHNE Anklage, OHNE Anwalt inhaftiert. Und das in Bayern.
    Nun könnte man ja bei Deniz Yücel nachfragen, wie sich das anfühlt, der viel länger in der Türkei eingesperrt war.

    Aber man bekommt den Eindruck, dass ersten der Freistaat nicht weiß, wie er mit den Aktivisten umgehen soll und zweitens, könnte es sein, dass man damit quasi eine Warnung an die Aktivisten aussenden will, was passiert, sollten sie zur kommenden IAA-Messe protestieren.

    Und wenn Herr Herrmann von "wehrhafter Demokratie" redet, frag ich mich, was das für eine Demokratie ist, der nichts anderes einfällt, als Andersdenkende ohne Anklage und ohne Anwalt über zwei Monate einzusperren.
    Denn....in einer Demokratie habe ich das Recht, zu erfahren, wessen man mich beschuldigt und....ich habe ein Anrecht auf einen Anwalt.

  • Gelegenheitsleserin am 09.11.2022 09:59 Uhr / Bewertung:

    Ob man von den Leuten genervt ist oder nicht und ob man ihre Handlungen für falsch hält oder nicht - das ist das eine.
    Eine andere Frage ist, ob man Polizeimaßnahmen gutheißen kann, die rechtsstaatlichen Prinzipien widersprechen.

  • Der wahre tscharlie am 10.11.2022 15:39 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Gelegenheitsleserin

    Genau das ist der Punkt.
    Ich halte diese Aktionen auch nicht gerade für hilfreich, aber gestern beim "Lanz" wurde auch die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit dieser Entscheidungen gestellt.

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