Knast für Klima-Kleber: Jetzt streitet die Politik

Einige Klimaaktivisten müssen ohne Verfahren 30 Tage ins Gefängnis. Manche sehen dadurch die Demokratie gefährdet. Andere sagen: Das ist angemessen.
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Die Aktivisten sitzen nun im Gefängnis.
Die Aktivisten sitzen nun im Gefängnis. © Daniel von Loeper

München - Für 30 Tage sollen die Klimaaktivisten, die sich in München mit den Händen auf die Straße geklebt haben, hinter Gittern bleiben. Es handelt sich dabei nicht um die Strafe, zu der ein Gericht sie verurteilt hat, weil sie den Straßenverkehr störten – sondern um eine Sicherungshaft.

Diese wurde von der Polizei beantragt, um zu verhindern, dass die Aktivisten erneut die Straßen blockieren. Und ein Gericht hat das genehmigt. Ein richtiges Urteil gibt es aber wohl erst in Monaten. Ist die Haft überzogen? Oder genau das richtige Mittel? Darüber ist nun ein Streit entbrannt.

Klimaaktivisten bis Anfang Dezember in Stadelheim im Gefängnis

Die Menschen, die nun in bayerischen Zellen sitzen, sind laut der "Letzten Generation" zwischen 23 und 79 Jahre alt. "Normalerweise gehen sie zur Uni, arbeiten oder sind in Rente. Unter ihnen ist ein 63-jähriger Druckereibesitzer, eine zweifache Mutter, ein Psychologe und ein 23-jähriger Student." Bei acht von ihnen ist bereits klar, dass sie bis Anfang Dezember in Stadelheim bleiben müssen. Es sei kein Fall bekannt, in dem in der Geschichte der Bundesrepublik ein so langer Polizeigewahrsam angeordnet wurde, schreiben die Aktivisten.

Möglich ist dies in Bayern aufgrund des umstrittenen Polizeiaufgabengesetzes (PAG). Im Mai 2018 novellierte die bayerische Regierung dieses Gesetz und weitete die Befugnisse der Polizei aus. Zentraler Begriff des Gesetzes ist die sogenannte "drohende Gefahr". Schon wenn die Polizei lediglich annimmt, es könnte sich eine gefährliche Situation entwickeln, kann sie eingreifen – und zum Beispiel eine Sicherungshaft anordnen.

Bis zu 40.000 Menschen demonstrierten 2018 gegen das neue Gesetz, weil sie den Rechtsstaat in Gefahr sahen. Johannes König, der (so wie die Grünen und die SPD) Klage gegen das PAG erhoben hat, hält es für notwendig, dass sich nun wieder so ein großer Protest formiert. Aus seiner Sicht zeigt sich an der Inhaftierung der Klimaaktivisten nun, dass seine Befürchtungen wahr werden: "Wir haben immer gewarnt, dass sich das PAG gegen soziale Bewegungen richten und diese kriminalisieren kann."

Einer der Inhaftierten ist 79 Jahre, auch eine Mutter sitzt fest

Auch Horst Arnold, der rechtspolitische Sprecher der SPD im Landtag, hält die Haft für unverhältnismäßig: "Das ist ein gerichtlich attestiertes Armutszeugnis der Polizei." Denn die habe die Sicherungshaft schließlich beantragt, weil sie, so Arnold, kein anderes Mittel sah, wie sie sonst die Öffentlichkeit schützen kann. Arnold betont außerdem, dass die 30 Tage das absolute Limit dessen seien, was das Gesetz hergebe. Das auszuschöpfen, geht aus seiner Sicht zu weit.

Diese Kritik teilt der Chef der Grünen im Münchner Stadtrat Dominik Krause, der sich ebenfalls gegen das PAG engagierte. "Ist es wirklich angemessen, Leute präventiv einzusperren, weil sie sich auf eine Straße kleben?", fragt Krause. "Da frage ich mich schon, wo das noch hinführen soll." Zumal während der Corona-Demos Menschen die Polizei attackierten – doch in Sicherungshaft sei niemand von ihnen gesteckt worden, so Krause.

FDP-Chef in Bayern: "Die Haft ist hart, aber angemessen"

Ganz anders sieht das alles Martin Hagen, der Chef der FDP in Bayern – obwohl seine Partei ursprünglich auch zu den Kritikern des PAG gehörte. Doch nach einer Reform ist die FDP mit dem Gesetz offensichtlich zufrieden: "Die Haft ist hart, aber angemessen", meint Hagen. "Schließlich sind das Wiederholungstäter, die sich sofort wieder auf die Straße kleben würden." Und das sei kein Kavaliersdelikt, sondern ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, bei dem Menschen zu Schaden kommen können.

Auch Justizminister Georg Eisenreich (CSU), der die Haft nicht kommentieren will, schildert, dass sich die Klimaaktivisten gegebenenfalls strafbar machen könnten. Nötigung und gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr heißen die juristischen Fachbegriffe, die in Frage kämen. Im schlimmsten Fall drohen laut Eisenreich für diese Delikte bis zu fünf Jahre Gefängnis.


Update vom 8.11.: Das Statement von Justizminister Georg Eisenreich (CSU) wurde präzisiert. 

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41 Kommentare
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  • Der wahre tscharlie am 07.11.2022 15:19 Uhr / Bewertung:

    Martin Hagen: "Schließlich sind das Wiederholungstäter, die sich sofort wieder auf die Straße kleben würden."
    Mal eine Frage....warum wurden eigentlich die "Spaziergänger" von München nicht in Sicherungshaft genommen, obwohl sie ja auch Wiederholungstäter waren und ihre "Demos" nicht angemeldet waren?

    Kann es sein, dass es daran lag, dass viel der "Spaziergänger" die AfD wählen, und man durch rigidere Massnahmen verhindern wollte, dass diese Partei noch mehr Zulauf bekommt?

  • Gräfin am 07.11.2022 14:10 Uhr / Bewertung:

    Man soll sie alle einsperren, was ist das für eine Art Demonstration ? Mindestens drei Monate Knast, damit es in Birne heller wird ! Das ist keine Demonstration - eher eine Erpressung und der soll sich Staat nicht beugen ...!!!

  • AllesBesser am 07.11.2022 14:01 Uhr / Bewertung:

    Eingekesselt werden ist wahrscheinlich unangenehm, aber wohl nicht ganz mit 30 Tagen Gefängnis zu vergleichen.

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