"Absolut kontraproduktiv": In München entbrennt die Debatte über die Klima-Kleber
München - "Ihr Deppen", brüllte so mancher Autofahrer. "Weiter so" riefen ein paar Radler und Fußgänger, die am Donnerstag am Stachus unterwegs waren. Klimaaktivisten der "Letzten Generation" hatten sich dort mit ihren Händen auf der Straße festgeklebt – wie in vielen Großstädten.
Klebe-Protest in München: OB Reiter findet's "unverantwortlich"
Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hat daran scharfe Kritik geübt: "Die Form des Protests, ganze Straßenabschnitte zu blockieren, halte ich für unerträglich und keinesfalls für eine zulässige Meinungsäußerung." Gerade vor dem Hintergrund des tödlichen Unfalls in Berlin findet er es "unverantwortlich, diese Art des radikalen Protests weiter durchzuführen".
In Berlin ist eine Radlerin, die unter einen Betonmischer geraten war, gestorben. Ein spezielles Bergungsfahrzeug steckte in einem Stau fest, den die Aktivisten verursacht hatten. Laut "Süddeutsche Zeitung" habe der Stau auf die Versorgung der Verunglückten nachweislich gar keinen Einfluss gehabt.
Klimaaktivisten wehren sich gegen Vorwürfe
Die Aktivisten sehen sich deshalb von vielen Medien ungerecht behandelt. In einer Pressemitteilung schreiben sie: "Die mediale Öffentlichkeit instrumentalisiert den Unfall der Radfahrerin. Das können wir nicht fassen. Als sei endlich ein Aufhänger gefunden, unseren friedlichen Protest durch den Dreck zu ziehen." Eine Welle der Vorwürfe, Unwahrheiten und Hetze breche über sie herein.
Katrin Habenschaden: "Solche Aktionen befördern die Spaltung der Gesellschaft"
Zumindest die Parteien im Münchner Stadtrat sind sich trotzdem recht einig, was sie von den Klebe-Aktionen und den Attacken auf Kunstwerke halten. Nämlich: relativ wenig.
Dass beim Klimaschutz dringend etwas passieren muss, dass Verzweiflung, Frust und Ärger nachvollziehbar sind, betonen von den Grünen bis zur FDP viele. Doch selbst die grüne Bürgermeisterin Katrin Habenschaden bezeichnet die Aktionen als "absolut kontraproduktiv und verantwortungslos". Habenschaden: "So gewinnt man keine gesellschaftlichen Mehrheiten für einen engagierteren Klimaschutz, im Gegenteil, solche Aktionen befördern leider die Spaltung der Gesellschaft und sind schlicht und einfach gefährlich."
Ruff: "Es ist doch nicht kreativ, sich zum 100. Mal irgendwo festzupappen"
Auch Mona Fuchs, die Chefin der Grünen im Stadtrat, hält die Methoden der Aktivsten für falsch. Die Klimastreiks von Fridays for Future bewirkten aus ihrer Sicht viel mehr. Seitdem leugne kaum jemand mehr den Klimawandel, gleichzeitig ist der Klimaschutz zum politischen Ziel von Regierungen geworden, hier in der Stadt, aber auch in Berlin und Brüssel.
Tobias Ruff, der in Bayern und im Münchner Stadtrat die Öko-Partei ÖDP anführt, kritisiert die Form des Protests ebenfalls: "Es ist doch nicht kreativ, sich zum 100. Mal irgendwo festzupappen." Er fürchtet, dass die Aktionen für die gesamte Umweltbewegung kontraproduktiv sein könnten.
Sind die Klimaaktivisten Terroristen?
FDP-Fraktionschef Jörg Hoffmann bezeichnet den Protest als "nicht legitim". "Es gibt doch demokratische Methoden: Sich zur Wahl zu stellen oder eine Demonstration offiziell anzumelden", sagt er. Handlungsspielraum, die Aktionen zu verhindern, hat die Stadt aus seiner Sicht kaum. Das sei Aufgabe der Polizei.
Hans Theiss von der CSU hat allerdings Punkte entdeckt, bei denen die Stadt handeln muss. In einer Anfrage an den OB will er wissen, ob die "Letzte Generation", "Scientist Rebellion" und Co. von der Stadt Geld oder Räume erhalten. Dass dies passiert, schließt Anne Hübner, die Chefin der SPD-Fraktion, aus. Aber auch sie fürchtet, dass die Aktionen bei den Menschen inzwischen mehr Ärger auslösen als die Bereitschaft, im Kampf gegen den Klimawandel mitzuwirken.
Doch sind die Aktivisten Terroristen, wie gerade immer häufiger zu lesen ist? Mona Fuchs und Stefan Jagel von der Linken sind sich einig: Terror verbreitete in Deutschland zum Beispiel der NSU. Und der sah ganz anders aus.