Abenteuer-Autor Detlef Dreßlein stellt sich großer Herausforderung: "München erleben, wie es ein Münchner erlebt"
München - "Eine Stadt in Erlebnissen" verspricht Detlef Dreßleins Reiseführer "München Abenteuer". Das Konzept ist vom Michael Müller Verlag: 33 Abenteuer in einer europäischen Stadt, gebündelt auf 240 Seiten. Nur für München existierte noch kein solcher Stadtführer. Wer dieses Buch kauft, will die Stadt mit kompakten Eskapaden entdecken.
AZ: Herr Dreßlein, wie geht man vor, um 33 neue Abenteuer zu erschaffen, in einer Stadt, die gut erkundet ist
DETLEF DRESSLEIN: Die erste Herausforderung war, dass ich natürlich alle Stadtteile abdecken wollte, aber nur acht Kapitel zur Verfügung hatte. So ist das Konzept. Also musste ich 25 Stadtbezirke in 8 Zonen unterteilen und mehrere Stadtteile zusammenführen.
War das schwierig?
Jeder Stadtteil hat seine Besonderheiten. Ich musste ja touristisch denken. Bei Schwabing etwa ist es so: Der touristisch spannende Teil des Bezirks hört eigentlich Richtung Norden an der Münchner Freiheit auf. Aber es geht ja eigentlich noch ziemlich weit hinauf. Ich musste Stadtteile neu erfinden. Also habe ich das spannende Schwabing, das Lehel und den Englischen Garten zusammengepackt, als eine Einheit.
Unter welchem Aspekt?
Ich dachte mir, weil das Lehel und Schwabing den Englischen Garten umschließen. Und am Mittleren Ring hört dann Schwabing bei mir auf.
Autor Detlef Dreßlein: "Ich habe den ganzen Westen von München vereinigt"
Was haben Sie noch zusammengeführt?
Giesing und Sendling sind bei mir eins, weil da wunderschön der Flaucher dazwischenliegt. Den ganzen Westen habe ich vereinigt: Nymphenburg, Neuhausen, Westend, Schwanthalerhöhe. Immer so, dass es einen Sinnzusammenhang hat. Das achte Kapitel ist übrigens immer "Abseits vom Schuss", also alles, was nicht in den inneren Kern passt. Das geht raus bis nach Dachau und an den Ammersee.
Nun gibt es schon Dutzende Reiseführer über München. Warum greift jemand zu diesem?
Es ist ein ungewöhnliches Konzept. Das hat mich gereizt. Fast alle Sehenswürdigkeiten sind zwar genannt, aber sie sind nur Nebenaspekt. Orte wie die Frauenkirche und Marienplatz werden nur kurz erwähnt. Sinn ist, die Stadt kennenzulernen, ohne ganz banal abzuklappern. Das ist der Anspruch. Wichtig ist auch: München erleben, wie es ein Münchner erlebt.
Wie lange würde es dauern, alle 33 Abenteuer durchzuspielen?
Wenn Sie gut vorankommen, würde ich sagen: Drei Abenteuer pro Tag sind locker möglich.
Ich hätte jetzt gedacht, Sie sagen: ein Abenteuer pro Tag.
Nein, die dauern nicht ewig lang. Zwei, vielleicht drei, höchstens vier Stunden. In einem Kapitel kommt das Marionettentheater vor. Da können Sie tagsüber noch an die Isar. Ganz entspannt. Es soll ja vor allem für Touristen geeignet, aber dennoch auch für Einheimische interessant sein, für neu zugewanderte zum Beispiel.
Sie haben es doch bestimmt durchgespielt.
Drei war mein Rekord. Ich war vormittags auf dem Olympiadach. Danach bin ich in den Hirschgarten gefahren, habe Brotzeit gemacht und spätnachmittags war ich bei Giesinger Bräu in der Detmoldstraße 40. Danach war ich aber schon geschafft. Vor allem, weil es ja im Giesinger Bräu etwas zum Probieren gibt (lacht).
"Jeder Münchner hat blinde Flecken in seiner Stadt"
Die Brauerei ist ziemlich weit im Norden oder?
Ja, eigentlich wollte ich die Führung in der Stadt mitmachen. Dann habe ich erfahren, dass das gar nicht mehr in Giesing stattfindet. Aber es musste mit. Giesinger Bräu ist ja die einzige namhafte, echte Münchner Brauerei neben Augustiner, die nicht von internationalen Konzernen ganz oder zum Teil aufgekauft wurde.
Was hat das mit Ihnen gemacht, die Stadt nochmal so intensiv kennenzulernen?
Ich war oft überrascht. Bei dem Abenteuer mit den Türmen heißt es ja nicht umsonst "Schnapsidee". Aber als ich oben war, auf den jeweiligen Türmen, ist es schon spannend gewesen, sehr unterschiedliche Bildausschnitte der Stadt von oben zu sehen. Und ich bin mir auch sicher, dass jeder Münchner in der eigenen Stadt blinde Flecken hat. Orte, an denen er oder sie noch nicht gewesen ist. Und ich glaube, einige Lücken kann das Buch schließen. Ich wohne ja seit 26 Jahren hier, immer links der Isar. Ich hatte dieses Gefühl sehr oft bei meinen Recherchen.
Welche Orte haben Sie nach 26 Jahren neu entdeckt?
Die Residenz zum Beispiel. Ich bin noch nie dort gewesen. Ein typischer Ort, der einfach existiert, aber den die wenigsten Münchner je besuchen. Und ich war vor dem Buch noch nie im Marionettentheater. Oder das Gärtnerplatztheater, dort habe ich mir ein Musical angesehen. Auf einem sichteingeschränkten Platz, die sind recht günstig, schon ab neun Euro. Und obwohl ich kein Musicalfan bin, blieb ich das ganze Stück drin, gut drei Stunden, das hätte ich vorher nicht gedacht. Es war sehr unterhaltsam. Das ist ohnehin eine der Verlagsvorgaben für die Reihe "Stadtabenteuer". Viele Abenteuer kosten nichts oder maximal 15 Euro. Es soll sich jeder leisten können.
Sichteingeschränkte Plätze?
Ja, die kosten neun bis elf Euro. Man ist etwas weiter weg von der Bühne, im dritten Rang, muss sich aber nur ein wenig vorbeugen und hat alles im Blick.
"Das Bier- und Oktoberfestmuseum am Isartor hat mich sehr überrascht"
Welches Musical war es?
"Candide" von Leonard Bernstein.
Ein Einstieg in eine neue Welt?
Ja, für mich schon, ein kleines Abenteuer eben.
Welches Abenteuer hat Ihnen selbst am besten gefallen?
Das ist schwer zu sagen. Als ich mir das Marionettentheater angeschaut habe, hatte ich keine großen Erwartungen. Aber es hat mich verzaubert, dieser Charme. Auch das Bier- und Oktoberfestmuseum am Isartor hat mich sehr überrascht. Es ist sehr gut gemacht. Bewegend war der Besuch in Dachau.
Wo man im Idealfall als Schüler zuletzt einmal gewesen ist.
Und ich war ja nicht in München auf der Schule. Daher ist der Besuch dort im früheren Konzentrationslager für mich umso bewegender gewesen, nachdem ich zuletzt vor 20 Jahren mal dort war. Aber Sie hatten ja gefragt, was mir persönlich am allerbesten gefallen hat, richtig?
Genau.
Jetzt fällt es mir ein. Die Rocky Horror Picture Show im Kino Museum Lichtspiele.
Warum?
Hatte ich zuletzt vor 20 Jahren auf DVD gesehen. Das ist vielleicht ein Abenteuer. Seit dem 25. Juni 1977 läuft der Film dort durchgehend. Es gibt nur drei Städte, wo das so ist. Paris, San Francisco und eben München. Ich bin mehrfach aufgestanden und habe mitgetanzt. Das hätte ich vorher auch nicht gedacht. Es ist eine Mitmachaufführung. Wahnsinnig junges Publikum, super Stimmung, Konfetti fliegt. Das geht vielleicht ab. Eine richtige Party. Super.
Das Mitmach-Konzept war mir echt nicht klar im Kino Museum Lichtspiele.
Und ich glaube, es wird vielen Münchnern so gehen, wenn sie von den 33 Abenteuern lesen.
Leseprobe aus "München Abenteuer", erschienen im Michael Müller Verlag (17,90 Euro)
"ES GIBT DINGE, die klingen nach einer Schnapsidee. Bis man sie verwirklicht und feststellt, dass es das Beste war, was man tun konnte. Die Idee: alle drei Türme rund um den Marienplatz besteigen und auf die Stadt hinunterschauen. Das Schnapsige der Idee: Die Türme liegen so nah beieinander, dass man doch überall das Gleiche sieht - was soll das also bringen? Die Realität: Im Prinzip stimmt das. Jedoch zeigt sich wie so oft im Leben: Schon geringe Unterschiede in der Perspektive bringen erstaunlich neue Einblicke. Weil das Gleiche halt doch nicht dasselbe ist. Der Turm der Kirche St. Peter liegt zwanzig Schritte vom Marienplatz entfernt, der der Frauenkirche wenig mehr. Und am Marienplatz selbst wacht der Turm des Rathauses. Alle drei habe ich mir heute vorgenommen. Und nach etwa zwei Stunden auf und ab bin ich um viele Eindrücke reicher.

DOCH DER REIHE NACH: Ich beginne am Alten Peter, der Münchner Standard-Turmbesteigung, bewährt und beliebt bei Bewohnern wie Besuchern. Karg und mönchisch fühlt es sich für mich an, die 306 Stufen zu erklimmen, bis ich auf der Aussichtsplattform auf knapp 56 Metern bin. Es ist eng im Gebälk, die Kirchturmwände sind unverputzt und uralt. Unterwegs begegnet man Leidensgenossen, die einem schon mal ein lächelndes "It's still a long way" zurufen. Denn es sind 14 Etagen, immerhin durch schlichte Schilder markiert. Die Belohnung: Ein ultranaher Blick auf Dom und Rathaus - den hat man naturgemäß von den anderen Türmen nicht. Es geht weiter zum Rathausturm. Hier ist die Transportsituation komfortabler, zwei Aufzüge befördern mich nach droben. Und weil wir ja im Rathaus sind, kann es passieren, dass auch mal der Oberbürgermeister mitfährt. Ich bin 65 Meter über der Stadt, unten bietet der Marienplatz ein schönes Wimmelbild. In der Ferne die Berge, natürlich, in der Nähe allerlei Sehenswertes, das auf plexigläsernen Schildern ausgewiesen ist. Und obwohl nur wenige Meter entfernt vom Alten Peter, sorgen die 15 Höhenmeter mehr für ein ganz anderes Bild. Drüben war's der Viktualienmarkt, hier kann ich das Siegestor sehen.
DANN GEHT ES FÜR MICH noch höher hinauf: auf den Turm der Frauenkirche. Die Türme sind weltweit das Symbol für die Stadt, fast 99 Meter hoch seit einem nicht (inzwischen nicht mehr) bindenden Volksentscheid darf kein Gebäude sie überragen. Weshalb es in der Innenstadt auch keine "richtigen" Hochhäuser gibt. Erst seit März 2022 kann man wieder hinauf, doch die Flughafen-Berlin-artige Sanierungszeit von 13 Jahren hat sich gelohnt. Nach 89 Stufen Wendeltreppe – so eng, dass es ein Ampelsystem für Auf- und Abstieg gibt - werde ich per Lift ins achteckige Turmstüberl gebracht. Hier könnte man sich fast wohnlich einrichten. Der Raum ist geschlossen, anders als bei den anderen beiden Türmen pfeift nicht der Wind durch. Heller Parkettboden, breite Stufen vor den Fenstern, auf denen man kurz rasten kann. Aus jedem der acht Fensterpaare hat man einen anderen Blickwinkel, besonders imposant ist der auf den Nordturm. So nah kommt man dieser Zwiebel ja nie. . Fazit: drei völlig unterschiedliche Erlebnisse – diese Schnapsidee war großartig!"