Was ist dran am Mythos "Bierstadt München"? Eine Expertin klärt auf
München - Petra Wucher (60), führt seit nunmehr 23 Jahren Stadtführungen zur Biergeschichte Münchens durch. Zeit, mal bei ihr nachzufragen, wo sie herkommt, die Liebe der Münchner zum Bier.
AZ: Die Liebe der Münchner zum Bier ist weltweit bekannt. War das schon immer so?
PETRA WUCHERER: Nein, München ist erst im 16. Jahrhundert zur Bierstadt geworden. Davor hat man hier vor allem Wein getrunken, es gab sogar einige Weinberge rund um die Stadt. In Norddeutschland dagegen war Bier schon im 13. Jahrhundert eines der wichtigsten Handelsgüter. München war also verhältnismäßig spät dran mit seiner Bierkultur.
Biergeschichte in München: "Früher wurde beim Bierbrauen alles Mögliche beigemischt"
Warum hat sich das im 16. Jahrhundert geändert? Lag das am Bayerischen Reinheitsgebot?
Das hat dazu beigetragen, ja. Früher war Bierbrauen nämlich ziemlich schwierig – und oft ist da alles Mögliche beigemischt worden. Wermut, Bilsensamen, Seidelbast. Teilweise wirklich giftige Pflanzen, um die Rauschwirkung und die Haltbarkeit zu erhöhen. Also haben viele Städte Verordnungen erlassen, in denen vorgegeben war, was man beim Bierbrauen verwenden darf. In München schon 1487. 1516 sind diese Verordnungen dann in der Landordnung bayernweit vereinheitlicht worden. "Reinheitsgebot" wird das allerdings erst seit dem 19. Jahrhundert genannt.

Gibt es in München noch Spuren aus der Zeit, in der der Bierkonsum begonnen hat, sich zu verbreiten?
Selbstverständlich! Meine Stadtführung beginnt immer am Isartor. Das Isartor war damals das östliche Stadttor, das war der Handelszugang in die Stadt. Die Händler sind mit ihren Fuhrwerken am Isartor angekommen und übers Tal zum Markt am Marienplatz. Dort haben sich die Brauereien, die auch meist ein Bewirtungs- und Beherbergungsrecht hatten, niedergelassen. So kam die Kundschaft direkt bei ihnen vorbei. Damals gab es an den beiden Handelsstraßen der Stadt Brauereien.
Wirtschaften wie das Hofbräuhaus entstanden: "Bierpaläste waren Mode"
Sind von diesen Brauereien noch welche übrig?
Von den Gasthäusern schon. Der Augustiner an der Neuhauser Straße beispielsweise, oder das Schneider Bräuhaus, das früher Maderbräu hieß. In der Sendlinger Straße das Hackerhaus. Und da, wo heute das Hotel Torbräu steht, da befand sich vom 16. bis 19. Jahrhundert eine Brauerei. Die ist aber wie die meisten Brauereien im 19. Jahrhundert nach außerhalb der Stadt verlegt worden.
Und wann ist München nun in den Ruf einer Bierstadt gelangt?
Das war erst im 19. Jahrhundert und lag vor allem an der Industrialisierung und den beginnenden Exportbestrebungen der Münchner Brauereien. Und natürlich am Oktoberfest und den Bierpalästen.
Moment, Bierpaläste? Was ist das?
Bierpalast war der Name für die riesigen Bierwirtschaften, die damals in München gebaut worden sind. Zum Beispiel das Hofbräuhaus. Das war im 19. Jahrhundert weit über die Grenzen Münchens hinaus berühmt. Damals war es noch um einiges größer als heute. Die Bierpaläste waren einfach Mode, sie hatten eine ganz eigene Architektur und waren alle ähnlich aufgebaut.
Bierpaläste in München boten Platz für 10.000 Leute
Wie denn?
Unten war die Schwemme, also ein Gastraum zum Biertrinken, wo es eher deftig zugeht. Im ersten Stock waren kleinere Gasträume, da konnte man etwas ruhiger essen. Und dann gab es noch einen Festsaal – und immer einen Garten, meistens natürlich einen Biergarten. Und alle Bierpaläste waren riesig. Zum Beispiel gab es den Münchner Kindl-Keller, der stand da, wo heute das Motorama an der Rosenheimer Straße ist, gegenüber vom Gasteig. In den haben zehntausend Leute reingepasst.
Was für Leute sind da reingegangen?
Absolut jeder. Künstler, Politiker, Arbeiter, einfach alle. Die Bierpaläste waren auch politisch sehr wichtig.
Inwiefern?
Zu der Zeit, in der die Bierpaläste entstanden sind, Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, haben sich auch viele politische Parteien gegründet. Die brauchten natürlich Versammlungsstätten – und da gab es eigentlich nur die großen Festsäle. Das hat dazu geführt, dass ganz viele wichtige politische Ereignisse dort stattgefunden haben. Im November 1918 zum Beispiel...
Die politische Bedeutung der Brauereien für den Freistaat Bayern
...also zu Beginn der Novemberrevolution in Deutschland.
Da haben sich tausende Menschen auf der Theresienwiese versammelt und sind dann ins Mathäserbräu gezogen. Dort haben die Revolutionäre entschieden, die Monarchie abzusetzen und dass Bayern künftig ein Freistaat sein soll. Im Anschluss sind sie dann zum Landtag gezogen und haben tatsächlich den Freistaat proklamiert.
Historisch ist also viel passiert rund ums Bier. Und geschmacklich? Alles noch wie 1516?
Nein, inzwischen gibt es viele kleine Brauereien, die eher unkonventionelle Wege gehen und zum Beispiel nicht nach dem Reinheitsgebot brauen. Bei Craft-Bieren ist das zum Beispiel so. Ob man das mag, ist ein bisschen eine Generationenfrage, zumindest bei meinen Führungen. Wenn es um Craft-Biere geht oder um Biere, die nicht nach Reinheitsgebot gebraut werden, dann sind die älteren Leute oft skeptisch – und die jungen sehen das ganz locker.
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