Star-Produzent Daniel Lanois im Interview: "Die Meerjungfrau heiraten"
Er ist einer der bedeutendsten Produzenten der Rockgeschichte: U2 und Peter Gabriel wurden mit Alben, die Daniel Lanois produziert hatte, zu Superstars. Der Kanadier arbeitete auch mit Emmylou Harris und Neil Young.
Daniel Lanois: "Einschränkung fördert die Kreativität"
Mit Bob Dylan schuf er mit "Oh Mercy" und "Time Out Of Mind" zwei Meisterwerke. Das Letztere von 1997 war die Initialzündung für Dylans triumphale Spätphase. Aber Daniel Lanois macht auch selbst tolle Musik. Jetzt hat der 71-Jährige das Instrumentalalbum "Player, Piano" aufgenommen, auf dem fast ausschließlich ein – natürlich klanglich bearbeitetes – Klavier zu hören ist.
AZ: Mister Lanois, wieso haben Sie sich auf ein Instrument beschränkt?
DANIEL LANOIS: Einschränkung fördert die Kreativität. Ich habe das gelernt, als ich mit Brian Eno gearbeitet habe. Wir haben nur drei Effektgeräte benutzt. Aber mit denen haben wir einiges angestellt, indem wir sie auf verschiedenste Weise kombiniert haben. Effektgeräte werden interessanter, wenn man sie anders einsetzt, als die Hersteller sich das vorgestellt haben.
Man kennt Sie vor allem an Saiteninstrumenten. Wieso spielen Sie diesmal Klavier?
Ich habe immer nur für mich selbst Klavier gespielt. Margaret Marissen, mit der ich zusammenarbeite, mochte mein sanftes Spiel und fragte, ob ich nicht ein Album aufnehmen könne, das sie sich zuhause anhören kann. So ging's los. Inspiriert hat mich Harold Budd, für den ich mit Eno das Album "The Pearl" produziert habe.
"Es ist etwas Besonderes, mit einer so großen Band aufzunehmen"
Zu welcher Platte, die Sie produziert haben, werden Sie eigentlich am häufigsten befragt?
"Time Out Of Mind" von Bob Dylan. Die Leute wollen zum Beispiel wissen, wieso manche Instrumente so weit weg klingen und wie diese Atmosphäre rund um das Zentrum, also Bob, entstanden ist. Wir haben mit elf Leuten aufgenommen. Wenn Jim Dickinson weit entfernt klang, dann lag es daran, dass er weiter weg stand. Es ist etwas Besonderes, mit einer so großen Band aufzunehmen, da entsteht eine Kommunikation, die es mit Overdubs nicht geben würde.
Aber ist das nicht auch sehr kompliziert?
Es ist ein wenig, als ob man ein Orchester aufnimmt. Aber der Kern der Band war verlässlich stark: die Rhythm Section mit Tony Garnier am Bass sowie Jim Keltner und Brian Blade am Schlagzeug. Wir wollten eine Blues-basierte Platte machen, und ich wollte sicher sein, dass in der Hinsicht alles passt. Tony Garnier und Brian Blade sind aus dem Süden - ich wusste, er hat das richtige Feeling an der Hi-Hat.
"Augies Noten sind mir durchgerutscht – aber so klingt es echt"
"Make You Feel My Love" klingt anders als der Rest des Albums, spartanisch, fast wie ein Demo - und wurde dann durch Cover-Versionen zu einem von Dylans erfolgreichsten Songs überhaupt. Haben Sie das erwartet?
Nein. Bob hat mich gegen Ende der Aufnahmen mit dem Song überrascht, ich habe ihn im Studio zum ersten Mal gehört. Das ist das einzige Lied des Albums, das nicht auf dem Blues basiert, es hat eine klassische Akkordfolge. Es hat mich überrascht, dass ausgerechnet das der bekannteste Song des Albums wird.
Darauf sind sogar zwei falsche Töne. Dylan wechselt von einem Dur- zu einem Moll-Akkord, aber Organist Augie Meyers bleibt bei Dur.
Augie kann keine Moll-Akkorde spielen. (lacht) Ich habe beim Mischen viele falsche Töne ersetzt, aber Augies Noten sind mir durchgerutscht. Aber so klingt es echt.
"Bob wusste zu schätzen, dass wir etwas Einzigartiges geschaffen haben"
Ich möchte Ihnen ein Zitat über Sie vorlesen: "An Lanois gefiel mir, dass er sich nicht an der Oberfläche treiben lassen wollte. Er wollte auch nicht schwimmen. Er wollte sich ins Wasser stürzen und tief hinabtauchen. Er wollte eine Meerjungfrau heiraten." Erkennen Sie's?
Ist das von Bob?
Ja, aus Bob Dylans Memoiren "Chronicles".
Den Teil mit der Meerjungfrau hatte ich vergessen. Ich weiß nicht, was er damit meint. Wissen Sie's?
Er beschreibt Sie als so leidenschaftlich, wie ein Künstler nur sein kann. Er hat Ihrer gemeinsamen Arbeit rund 80 der 300 Seiten seiner Memoiren gewidmet. Was dachten Sie, als Sie das gelesen haben?
Ich habe mich geschmeichelt gefühlt. Es ist ein Kompliment, wenn er über meine Hingabe spricht, mein Streben danach, ins Unbekannte vorzudringen. Am Anfang bewundern wir die Helden, die vor uns kamen, aber irgendwann wollen wir etwas Originelles erschaffen. Bob wusste zu schätzen, dass wir mit beiden Platten etwas Einzigartiges geschaffen haben.
Wie er es beschreibt, war der Weg dahin aber nervenaufreibend.
Es war das interessante Aufeinandertreffen zweier Menschen, die sich in ihrer Hingabe sehr ähnlich sind.
"Wenn man professioneller wird, wird man auch festgefahrener"
Sie hatten unterschiedliche Vorstellungen, wie Sie Ihr Ziel erreichen, oder?
Bob will aus den Leuten das Beste herausholen, deshalb versetzt er sie in ungewohnte Umgebungen. Bei "Time Out Of Mind" hatten wir die Aufnahmen schon in einem alten mexikanischen Theater in Oxnard begonnen, eine Stunde von Los Angeles entfernt. Da stand ein großartiges, hundert Jahre altes Steinway-Klavier. Bob klang darauf großartig, aber dann sagte er: "Mir ist klar geworden, dass wir in Miami aufnehmen sollten." Ich dachte mir: Wieso sollen wir denn jetzt nach Miami? Aber Bob will die Leute in eine Umgebung versetzen, mit der sie nicht vertraut sind - in der Hoffnung, dass man wieder so naiv und unschuldig an die Sache rangeht wie damals als junger Künstler. Wenn man professioneller wird, wird man auch festgefahrener. Bob will eine Frische erzeugen. Vor "Time Out Of Mind" haben wir lange über die Platte gesprochen. Er hat mir die Texte vorgelesen, hat mir Platten empfohlen, die ich anhören soll. Mir wurde klar, was er an diesen frühen Rock'n'Roll-Platten liebte. Sie entstanden, als das alles neu war und frisch, und diese Frische wollte er für "Time Out Of Mind".
Was haben Sie gemacht, um das zu erreichen?
Wenn man eine blues-basierte Platte macht, sollte man nicht nach einer Bluesband klingen. Man will das Gefühl, das Mysterium, die Dunkelheit des Blues - aber damit etwas Originelles zu erreichen, ist nicht leicht. Deshalb habe ich Drumloops vorbereitet und Jim Keltner und Brian Blade gebeten, darüber zu spielen. Das war eine gute Basis, und immer wenn wir etwas Gewöhnliches zu machen drohten, konnte ich diese Loops wieder hervorholen. Ich habe sie den Schlagzeugern auf die Kopfhörer gelegt, Bob musste ich gar nicht viel davon erzählen.
Daniel Lanois: "Ich bin ein Arbeitstier, immer im Studio"
Überlegen Sie sich bei allen Aufnahmen so etwas Spezielles?
Ja, ich bereite immer Sounds vor. Das war bei meinem Ansatz schon immer zentral und speziell. Ich würde nie mit einer weißen Leinwand beginnen. Die Sounds, die ich vorbereite, basieren immer auf den Gesprächen, die ich mit den Künstlern vorab geführt habe.
Zu den Künstlern, die mit Ihren Produktionen berühmt wurden, gehören U2. Die Achtziger hatte einen sehr speziellen Sound, aber "The Joshua Tree" klang ganz anders. Wieso?
Ich hatte keine Ahnung, was zu der Zeit so passierte. Ich habe einfach mein Ding gemacht. Ich bin ein Arbeitstier, immer im Studio. Trends waren mir egal, ich kannte sie gar nicht. Und der populäre Drumsound der Zeit war mir auch egal. Diese laute, tote Snare Drum mit dem vielen Hall klang einfach nicht rhythmisch für mich.
Daniel Lanlois: "Hingabe ist ansteckend"
Hat Sie nie jemand zu angesagten Sounds gedrängt?
Ich hatte immer den Luxus, zu tun, was ich wollte und zu experimentieren. Ich habe nie Druck gespürt, mir wurde nie irgendetwas aufgedrängt, als ich mit U2, Eno oder Peter Gabriel gearbeitet habe.
Letzterer wurde mit Ihrem gemeinsam produzierten Album "So" zum Superstar.
Wir wurden schnell dicke Freunde. Er hat meine Experimente gefördert. Peter schätzte, dass ich nichts anderes machte, als an dieser Platte zu arbeiten, dass ich nur das Beste für ihn wollte. Hingabe ist ansteckend.
Welche musikalischen Helden haben Ihre Hingabe gefördert?
Die erste Platte, die ich als Kind gekauft habe, war "Wipe-Out" von den Surfaris. Ich mochte einige Beat-Musik, mochte Link Wray, die Beach Boys. Ich habe zwischen Detroit und Buffalo gelebt, da habe ich die ganzen Motown-Größen gehört. Dann habe ich psychedelische Musik entdeckt, und Jimi Hendrix hat mein Leben verändert.
Sie hätten sicher gern mit ihm aufgenommen, oder?
Ja, und mit Miles Davis. Das war auch geplant, ein gemeinsamer Freund hatte uns zusammengebracht - aber dann ist er gestorben.
Sie haben viele Soloplatten gemacht, aber um 2010 hatten Sie ein Bandprojekt namens Black Dub. Warum war das so kurzlebig?
Ich wollte mit der großartigen Sängerin Trixie Whitley arbeiten. Ich habe eine Band mit meinen Lieblingsmusikern Daryl Johnson und Brian Blade zusammengestellt und dachte, wir werden die nächsten Superstars. Ich bin auf die Musik stolz, aber dann hatte ich einen Motorradunfall, Daryl Johnson wurde verhaftet, Trixie Whitley machte ein Soloalbum, Brian Blade machte weiter seine Jazzplatten. Es kam und ging wie der Wind.
Sie sagten mal, dass Sie ununterbrochen Musik im Kopf hören. Hatten Sie heute schon musikalische Ideen?
Ja, und ich mache ständig Übungen und arbeite an Rhythmen oder an Melodiephrasen. (klopft einen Rhythmus und singt) Und bei diesen Übungen komme ich auf Ideen. Damit gehe ich dann später ins Studio.
Wie erinnern Sie sich an diese Ideen?
Aus dem Gedächtnis.
Lief auch Musik in Ihrem Kopf, während wir dieses Gespräch geführt haben?
Ja.
Daniel Lanois: "Player, Piano" (CD, Vinyl, digital, erschienen bei Modern Recordings/Warner)
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