Interview

Schlagzeuger Curt Cress im Lustspielhaus München: Der Rhythmus des Lebens

Curt Cress aus München ist einer der legendärsten Schlagzeuger der Welt. In der AZ spricht er über seine Arbeit mit Stars wie Freddie Mercury, Falco und Tina Turner.
Matthias Kerber
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Der Schlagzeuger Curt Cress.
Der Schlagzeuger Curt Cress. © Foto: Lauro Cresss

Die List der Künstler, deren Alben Curt Cress mit seinem Schlagzeug-Spiel oder als Produzent verfeinert hat, liest sich wie das Who's Who der Rock-Pop-Jazz-Scene: Freddie Mercury, Falco, SAGA, Rick Springfield, Ike und Tina Turner, Meat Loaf, Scorpions, Udo Lindenberg, Nena, Nina Hagen.

Am 10. September (ab 19.30 Uhr, Einlass 18 Uhr) wird er nun im Lustspielhaus bei "Curt Cress – Drumtalk" Anekdoten und Episoden aus seinem bewegten Musikerleben erzählen.

AZ: Herr Cress, Sie haben auf geschätzt 12.000 Aufnahmen getrommelt, da kann man wirklich sagen: Drumeo ergo sum.
CURT CRESS (lacht): Gefällt mir, der Spruch. Für mich war es auch nie Arbeit. Es heißt nicht umsonst Schlagzeug spielen – nicht Schlagzeug arbeiten.

Erkennen Sie Ihr eigenes Spiel im Radio immer gleich wieder?
Eigentlich schon. Ich erkenne es oft an der Hi-Hat und am Drum-Sound. Nur manche Sachen aus der Discozeit würde ich vielleicht selbst nicht erkennen, das war so uniform, keinerlei Platz für Individualität.

Schlagzeuger Curt Cress über seine Anfänge: "Kannte die Theorie nicht, aber die Rhythmen alle"

Dabei war das Schlagzeug gar nicht Ihr erstes Instrument.
Ich habe mit Trompete und Flöte angefangen, das ist aber wegen meiner Zahnstellung nicht viel geworden. Mit elf habe ich mich an die Drums gesetzt, das fiel mir gleich leicht. Ich habe es mir selber beigebracht. Mit 16 hatte ich kurz einen Lehrer. Ich erinnere mich, wie ich zu Fuß vom Hauptbahnhof zur Musikhochschule gegangen bin, immer in einem speziellen Schlagzeugrhythmus. Da dachte ich mir, ich muss langsam in eine Anstalt. Das war schon gaga. Ich wusste nichts von Notenwerten – oder was ein Paradiddle ist. Der Lehrer hörte mir zu, meinte: "Du spielst das doch alles schon!" Ich kannte die Theorie nicht, aber die Rhythmen alle. Man muss nur zuhören – und nachmachen.

Das ganze Leben besteht ja eigentlich aus Rhythmus.
Das ist so. Vor allem, wenn man mal in Brasilien war, merkt man das. Es ist unglaublich, wie alle Menschen dort Rhythmen verinnerlicht haben. Wie jedes Kind auf einer Coladose einen Rhythmus zaubert. Ja, Leben ist Rhythmus. Umso verwunderlicher, dass es Leute gibt, die einfach nicht tanzen können, weil ihnen jedes Rhythmusgefühl fehlt. Es wäre interessant, was die für psychische Probleme haben. Eigentlich muss der Mensch Rhythmus haben, er wird damit geboren, mit dem Herzschlag der Mutter. Es gibt einen Lebensrhythmus, einen Sprachrhythmus. Vom Blinker am Auto bis zur Waschmaschine. Alles hat Rhythmus – in allen Kulturen. Zum Teil wurden so Nachrichten überbracht. Da wurde über die Trommel gemorst, oder man konnte sich in Trance trommeln. Die Trommel ist eine alte, universelle Form der Kommunikation.

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Drum-Ikone Steve Gadd, mit dem Sie zusammengespielt haben, hat mal gesagt: "Auch ein Schlagzeug kann singen."
Es kann auf seine Art singen. Groove heißt nichts anderes als Schwingen. Es ist die Aufgabe eines Drummers, die Musik schwingen zu lassen, nicht nur wild rumzudonnern. Ganz wichtig ist übrigens nicht nur, was man spielt, sondern auch das, was man nicht spielt, bewusst weglässt. Die Stille vor oder nach einem Schlag hat ja extreme Dramatik. Ich bin, wenn es ums Schlagzeug spielen geht, Schlagzeug der Wellenprediger. Du musst als Drummer der Band genau die Welle kreieren, auf der sie reiten kann. Wenn die Welle gut ist, ergibt sich alles von selbst. Ich bin kein Fan des Metronoms. Wenn ich in der Welle bin, lebt die Musik. Da muss man sich nicht von einer der Maschine befehligen lassen. Wenn du dich dem Klick unterwirfst, bist du verloren.

Warum waren so viele Schlagzeuger – etwa Keith Moon von The Who oder Led Zeppelins John Bonhams – Party-Animals?
Die sind keine Animals geworden, sondern das waren immer Animals, die eben Schlagzeug gespielt haben. Und sie konnten spielen! Moon hat zwar rumgeballert wie ein Verrückter, aber er hatte unglaublichen Groove. Bonham war schlicht ein Wahnsinniger. Ich weiß, von jemand, der Bonham in München betreut hat, dass sich Bonham in Japan ein Samurai-Schwert gekauft und hier dabei hatte. Als er im Hilton in den Fahrstuhl gestiegen ist, hat er im Lift mit dem Schwert auf dem Weg nach unten innen alles zertrümmert. Die hatten auch Studenten als Chauffeure, Bonham hat einen Fahrer gezwungen, über den Bürgersteig und dann in eine Ampel reinzurasen. Die Manager waren mit Plastiktüten voller Bargeld unterwegs, um die Betroffenen mit Geld ruhig zu stellen, damit nicht andauernd die Polizei anrückt.

Schlagzeuger aus München: "Ich hasse Unpünktlichkeit"

Trotz Ihrer großen Liebe für das Schlagzeug, haben Sie zwischenzeitlich jahrelang nicht gespielt.
Ja, es gab diese Zeit, als es sich wie Arbeit angefühlt hat, wie Fließbandarbeit. Ich hatte eine Art Nervenzusammenbruch, saß weinend da. Ich habe mich dann lieber auf die Produzententätigkeit konzentriert.

Wie wichtig ist jemanden, der so viel gespielt hat, Ruhe, Stille?
Extrem wichtig. Früher hatte ich zehn bis 14 Stunden am Tag die Kopfhörer auf. Da braucht man einen Ausgleich - Stille. Wenn ich Auto fahre, höre ich keine Musik. Entweder schalte ich Nachrichten an – oder ich fahre ganz ohne Sound.

Man nennt Sie auch das Metronom – wie steht man, wenn man so ein Zeitgefühl hat, Unpünktlichkeit gegenüber?
Ich hasse Unpünktlichkeit. Das hat mit Respekt zu tun. Ich will niemandem Zeit stehlen, nehme meine Zeit nicht wichtiger als die meines Gegenübers. Ich bin ein Mensch, der, wenn er sich nur fünf Minuten verspätet, anruft und gleich entschuldigt.

Wie bewegend ist für Sie so eine Rückschau, wie Sie beim Drumtalk" stattfindet?
Nicht bewegend in dem Sinne, dass ich vor mir selber in die Knie gehe. Aber ich bin einfach unendlich dankbar dafür, dass ich mit so unglaublichen Künstlern zusammenarbeiten durfte.

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Curt Cress und die zwei Gesichter des Falco

Etwa Ike und Tina Turner.
Ja, da war ich so 21 und Ike wollte unbedingt, dass ich in seine Band einsteige, aber ich wollte nicht. Ich wollte mit der Band Passport weitermachen. Das war mein Ding. Da ist zum Beispiel witzig, dass damals in Australien eine Band namens AC/DC unsere Vorgruppe war. Kein Mensch hatte sich vorstellen können, dass wir im Jahr 2023 bei AC/DC über die erfolgreichste Band der Rockgeschichte reden würden. Aber zurück zu Ike, er hat nicht locker gelassen, hat mir zwei Tickets nach Los Angeles geschickt. Tina hat für uns gekocht, mit Claudia, meiner damaligen Freundin, jetzigen Frau, im Flur gequatscht. Es war schön, aber es war offensichtlich, dass Ike stark auf Drogen war. Er hat acht Tage und Nächte durchgearbeitet.

Ein großer Star, den sie lange begleitet haben, war Falco.
Er hatte zwei Gesichter. Claudia sagte immer der Hansi...

Hans Hölzel, wie er hieß.
Genau. Claudia sagte, der Hansi ist der netteste, eloquenteste Künstler, den man sich vorstellen kann – einfach supersweet. Nur leider nach zwei, drei Bier – und irgendwelchen Substanzen – ging das Gehirn mit ihm total durch. Er hat nicht viel vertragen. Falco war ein geiler Typ, aber Alkohol und Drogen haben ihn zerstört.

Curt Cress gibt eine Zusatzshow im Lustspielhaus in München

Auch mit Freddie Mercury, dem Sänger von Queen, der an Aids verstorben ist, haben Sie gearbeitet. Wie war er als Mensch?
Er war ein sehr schüchterner, unheimlich netter, höflicher Engländer. Nur im Studio und auf der Bühne hat er aufgedreht. Da war er diese exaltierte Figur. Wenn er durch die Tür gekommen ist, hast du erstmal die Luft angehalten. Sein Nimbus, seine Ausstrahlung waren extrem. Auch wenn er kein Star gewesen wäre, man hätte immer auf ihn schauen müssen, so eine Aura hatte er. Er war ja klein, kleiner als ich, aber dann geht er auf die Bühne und plötzlich ist er gefühlt drei Meter groß, man denkt, er ist ein Muskelprotz. Stimmte nicht. Es gibt einfach Leute, die wachsen auf der Bühne. Es ist faszinierend, dass manche das können.

Leider sind viele dieser Sterne, mit denen Sie gespielt haben, längst verglüht: Falco, Mercury, Ike und Tina Turner, Meat Loaf - und noch viele mehr.
Schrecklich. Bei Freddie hab ich echt geheult. So ein lieber Mensch und so ein wahnsinniger Künstler. Das mit Falco und seinem Autounfall war so vollkommen unnötig. Was für ein Scheiß, welch verschwendetes Talent. Warum hat es Prince erwischt? Warum Michael Jackson? Sie hätten uns noch viel Musik schenken können. Wir haben viele grandiose Songs nie gehört, weil die Künstler viel zu früh von uns gegangen sind.

Die Veranstaltung am 10. September ist ausverkauft, wegen des großen Erfolges findet am 27. Februar 2024 eine Zusatzshow statt im Lustspielhaus statt. Karten ab 29 Euro

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