AnnenMayKantereit-Konzert in München: Warum größer nicht immer besser ist
Erst Straßenmusiker, jetzt Straßenfeger: Die drei Jungs von AnnenMayKantereit haben eine steile Karriere hinter sich. Gab es früher nur ein paar Münzen im Hut in der Fußgängerzone, füllten sie jetzt mühelos die Olympiahalle in München – und das gleich zweifach.
Eigentlich sollte die große Doppel-Sause schon im April starten, doch die Künstler mussten krankheitsbedingt absagen. "Es war für uns auch ein emotionaler Aufwand, die Shows zu verschieben", berichtete Schlagzeuger Severin Kantereit im Gespräch mit der AZ kurz vor der Show. Die Kritik zum AnnenMayKantereit-Konzert in München.
Erstsemester oder Familienvater: Ganze Generationen beim AnnenMayKantereit Konzert in München
Vom Erstsemester bis zum Familienvater pilgerten alle Generationen zum Nachholtermin unters Zeltdach. Sie lauschten leisen und lauten Pop-Erzählungen vom neuen Album "Es ist Abend und wir sitzen bei mir". Die Jungs hatten als Bühnen-Deko sogar den Tisch mitgebracht, an dem die Songs entstanden sind. Die Fans grölten bei Texten gespickt voll jugendlichem Leichtsinn "21, 22, 23" mit oder zeigten einander die Gänsehaut, wenn Liebeskummer oder eine ganz besondere Person wie bei "Oft gefragt" im Spiel war.

Geschichten, die man am liebsten seinen Freunden bei Sonnenaufgang oder am WG-Küchentisch erzählt, gepresst in radiotaugliche Drei-Minuten-Songs. War diese Intimität schon das ganze Erfolgsrezept der Musiker aus Köln? Wahrscheinlich war es die unverwechselbare Kratzbürsten-Stimme von Sänger Henning May, die Fans aller Geschlechter mal dahinschmelzen und mal von einem Fuß auf den anderen wippen ließ. Doch ganz reibungslos verlief der Start beim ersten Tour-Stopp nach der Pause nicht.
Sänger Henning May mit Startschwierigkeiten beim Konzert in München
Bei den ersten Liedern "Marie" und "Nur wegen dir" waren die Stimmbänder noch nicht an Ort und Stelle. May bemerkte seine Wackler, winkte mit der Hand ab und grinste verlegen zu seinen Kollegen. Selbst Christopher Annen an der Gitarre schüttelte immer wieder die Hände nach den Liedern aus. Auch Profi-Musiker müssen erst wieder ins Training kommen.
Im Anschluss röhrte sich der Sänger aber wie zur besten Hirschbrunft-Saison mit voller Reibeisen-Stimme durch die zwei Stunden Show in der Olympiahalle. Er grinste, als bei "Vielleicht Vielleicht" Textzeilen als kleine Hilfe besonders laut zurück auf die Bühne geschrien wurden, tanzte in ungelenker Storchen-Manier und war zum Akustik-Finale mit "Barfuß am Klavier" voll auf Betriebstemperatur. Der Funke in der Halle sprang nach der Hälfte aufs Publikum über und inzwischen sollte "Pocahontas" lautstärkenmäßig wissen, dass es den Jungs leid tut.
Einfache Texte und starke Sounds beim AnnenMayKantereit-Konzert
Das Erfolgsrezept: Einfache und ehrliche Texte, die niemanden zur Rebellion auffordern. Einprägsame, entspannt aneinander gereihte Harmonien. Wegen Lasershow und Konfettiregen kam niemand. Es gab handgemachte Musik, unterstützt von Bassistin Sophie Chassée und einem kleinen Orchester, bei dem alle Musizierenden ihr Solo bekamen.
Im April wurden die Konzerte kurzfristig abgesagt. "Wir hatten großes Glück, dass wir noch Termine gefunden haben", erklärte Schlagzeuger Severin Kantereit im Gespräch mit der AZ. "Klar gibt es Leute, die sich ärgern, weil sie am neuen Termin nicht können oder schon angereist waren, aber es gab keine bösen Kommentare".
Der intime Zauber der Songs von AnnenMayKantereit ist nicht gemacht für die Olympiahalle
So klasse Stimmung, Stimme und Sound der Dreier-Kombi am Ende war, so viel vom intimen Zauber der Songtexte verschwand in der übergroßen Halle. Man würde lieber sein Wohnzimmer ausräumen und die Jungs für ein Privat-Konzert einladen.
So hätte man ewig mit ihnen über Motivationsprobleme im Studierendenleben, wie bei "Ich geh heut nicht mehr tanzen" oder über die Sehnsucht nach Ruhe und Unkompliziertheit in einer immer lauter werdenden Welt bei "3 Tage am Meer" diskutieren können.
Auch die Band nahm sich in München ihre Urlaubsauszeit. "Es ist schön, zwei Konzerte am Stück zu haben, dann fällt der Auf- und Abbau auch für das Team weg und man hat mehr Freizeit. Ich war oft am Eisbach und habe den Surfern zugeschaut und auch im Olympiapark lässt es sich super spazieren. Die Berge sind leider etwas zu weit weg, das schaffen wir nicht", verriet der Schlagzeuger grinsend.
Kurz vor Schluss hatten die Musiker dann noch die Entschädigung für den holprigen Start im Gepäck. "Tommi", eine wunderschöne Ode an ihre Heimat am Rhein, funktionierte als sentimentaler Süßstoff in Kölsch-Glas-Größe auch an der Isar.