Musikalischer Jahreswechsel: Kulturrevolution für Dinosaurier

Wie uns Beethoven samt Johann Strauss live und in den Öffentlich-Rechtlichen sicher ins neue Jahr hinüberbringt.
Robert Braunmüller
Robert Braunmüller
|
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Franz Welser-Möst und die Wiener Philharmoniker.
Franz Welser-Möst und die Wiener Philharmoniker. © picture alliance/dpa/WIENER PHILHARMONIKER/APA

München - Zu Silvester gehört das Ritual. Oder wie Miss Sophie sagt. "The same procedure than last year." Wer nicht schon jetzt Faschings- und Stimmungskanonen auflegen will, hat an Silvester musikalisch traditionell zwei Möglichkeiten: Beethovens Neunte oder Walzer, Polkas und Märsche aus Wien.

Wer Konserven verschmäht, für den sind in München traditionell bei der Neunten die Münchner Philharmoniker samt dem Philharmonischen Chor zuständig. Der russische Feuerkopf Maxim Emelyanychev ist erkrankt, für ihn springt Silvester um 17 Uhr der als ehemaliger Chefdirigent der Münchner Symphoniker bestens bekannte Kevin John Edusei in der Isarphilharmonie ein. Es gibt noch Restkarten an der Abendkasse.

Am Neujahrstag gibt es die Neunte  in der Isarphilharmonie 

Eduseis ehemaliges Orchester führt unter Dirk Kaftan die Neunte am Neujahrstag um 16 Uhr in der Isarphilharmonie auf (ausverkauft). Stubenhocker haben den Jahreswechsel bereits hinter sich: Das ZDF sendete sein Silvesterkonzert bereits am Donnerstag um 22.15 Uhr. Christian Thielemann dirigierte die Staatskapelle Dresden. Die Tradition der Neunten zum Jahreswechsel geht übrigens auf die Arbeitermusikbewegung zurück: Friedrich Engels wünschte sich "Freude schöner Götterfunken" als Arbeiterhymne.

Johann Strauss und Co. zum Jahreswechsel sind auch keine unpolitische Tradition: Das ab 11 Uhr weltweit übertragene Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker hat seine Ursprünge in einem "Außerordentlichen Konzert" der Wiener Philharmoniker zugunsten des Kriegs-Winterhilfswerks der großdeutschen Nazi-Regierung zu Silvester 1939. Später kamen die Einnahmen der NS-Gemeinschaft "Kraft durch Freude" zugute. Und weil die Wiener Philharmoniker bis heute an einer von einem Nazi mit Schlagzeug nachmilitarisierten Version des Radetzkymarschs festhalten, schadet es nicht, immer wieder an die Ursprünge dieses Konzerts zu erinnern.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Seit einiger Zeit ist eine weitere Tradition hinzugekommen: die rituelle Frage nach der Dirigentin. Mittelfristig bestehe die Chance, so der Orchestervorstand Daniel Froschauer am Donnerstag. Voraussetzung sei eine etwa zehnjährige gegenseitige Erfahrung zwischen Orchester einerseits und Kandidaten und Kandidatinnen andererseits.

Berühmteste Konzert der Welt bleibt eine Männerdomäne 

Mit der öfter genannten Joana Mallwitz hat das Orchester erst drei Sommer lang bei den Salzburger Festspielen zusammengearbeitet: Das ist offenbar zu kurz, und so wird das berühmteste Konzert der Welt wohl noch ein Weilchen eine Männerdomäne bleiben.

Franz Welser-Möst bei einer Probe im Musikverein.
Franz Welser-Möst bei einer Probe im Musikverein. © picture alliance/dpa/WIENER PHILHARMONIKER

Der diesjährige Dirigent Franz Welser-Möst verstieg sich sogar zu der Behauptung, der mit dem Neujahrskonzert einhergehende "Wahnsinn" sei "gefährlich". Er selbst scheint dafür aber stark genug, schließlich wird der gefährliche Wahnsinn den Musikern und ihrem Dirigenten hübsch vergoldet.

Das Programm ist heuer fast ausschließlich Josef und Eduard, den Brüdern des "Donauwalzer"-Komponisten Johann Strauss, gewidmet. Josef sei schon vom berühmteren Bruder Johann als der eigentlich talentiertere bezeichnet worden, so Welser-Möst, der das Konzert nach 2011 und 2013 zum dritten Mal leitet.

Eine kleine Revolution bahnt sich dennoch an: den erstmaligen Auftritt des Mädchenchors der Wiener Sängerknaben vor einem globalen TV-Publikum. Die Kinder singen dabei zur Polka "Heiterer Muth" von Josef Strauss. "Wir sind ja keine Dinosaurier, die irgendwann aussterben wollen", sagte Philharmoniker-Vorstand Froschauer zu dieser kleinen Wiener Kulturrevolution.

Wiens Musikwelt wird ein wenig weiblicher: Der Mädchenchor der Wiener Sängerknaben wird sich in der Übertragung des Neujahrskonzerts am 1. Januar erstmals dem globalen TV-Publikum vorstellen.
Wiens Musikwelt wird ein wenig weiblicher: Der Mädchenchor der Wiener Sängerknaben wird sich in der Übertragung des Neujahrskonzerts am 1. Januar erstmals dem globalen TV-Publikum vorstellen. © picture alliance/dpa/WIENER SÄNGERKNABEN/APA

Jede Menge Livekonzerte in der ersten Januar-Woche

Den Durst nach Walzermusik löschen in München die (ausverkaufte) Silvester-"Fledermaus" der Bayerischen Staatsoper. Für die weiteren Vorstellungen mit Luise Kinseher als Frosch bis 12. Januar gibt es noch Karten.

Johann Strauss haben auch die Münchner Symphoniker unter Andreas Kowalewitz am 2. und 8. Januar im Prinzregententheater Programm (Restkarten). Das Gärtnerplatztheater feiert den Jahreswechsel erst am Dreikönigstag: Chefdirigent Antony Bramall dirigiert ein Weltraum-Programm mit Musik zwischen Offenbach und John Williams unter dem Motto "Raumschiff Gärtnerplatz" (Restkarten).

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Für einen Jahreswechsel ohne Beethoven und Walzer gibt es zwei Möglichkeiten. Arte zeigt an Silvester um 17 Uhr das auch in ausgewählte Kinos live übertragene Silvesterkonzert der Berliner Philharmoniker. Kirill Petrenko dirigiert ein italienisches Programm mit Musik von Verdi bis Nino Rota. Solist ist Jonas Kaufmann in Arien von Verdi, Mascagni und Riccardo Zandonai.

Gleichzeitig ist in der ARD um 17 Uhr ein weiteres Silvesterkonzert zu sehen: Das NDR Elbphilharmonie Orchester unter dem Chefdirigenten Alan Gilbert will zusammen mit der amerikanischen Sopranistin Julia Bullock Musik des frühen 20. Jahrhunderts präsentieren. Auf dem Programm stehen Stücke von Richard Strauss, Maurice Ravel und Lili Boulanger. Bullock singt neben Liedern von Margaret Bonds den Evergreen "Summertime" aus dem Musical "Porgy and Bess". Durch das Programm führt Ingo Zamperoni, der mit Gilbert über die aktuelle Situation in den USA, über Klassik im Allgemeinen und die Besonderheiten der Elbphilharmonie sprechen wird.

Das klingt in der Mitteilung des NDR dermaßen hanseatisch steif, dass es ohne einen Piccolo kaum zu ertragen ist. In diesem Sinn: Prost Neujahr!

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.