Münchener Kammerorchester: Reinheit und überbordende Fantasie
München - Im Programmheft ist Alexander Lonquich nur als Pianist, nicht als Dirigent verzeichnet, was er durchaus verdient gehabt hätte. Wenn er nämlich nicht gerade das Geschehen kompetent vom Klavier aus leitet, steht er in zwei Stücken dieses abwechslungsreichen Abends mit Taktstock am Pult des Münchener Kammerorchesters. Zwar bleibt der Notenständer imaginär, weil Lonquich alles auswendig kann. Entscheidend ist, dass dem MKO eine Figur gut tut, die die hervorragenden instrumentalen Kräfte entschlossen ordnet und auf einen Punkt hin konzentriert.
In zwei Ouvertüren von Ludwig van Beethoven kreiert der Anfang Sechzigjährige einen unromantisch schlanken, doch substanzvollen Streicherkörper, der auch im Eifer des Gefechts fein gegen die blasenden und paukenden Gäste ausbalanciert ist. In der "Leonoren"-Ouvertüre Nr. 1 begeistern die räumlichen Effekte, die aus den einander gegenübersitzenden ersten und zweiten Violinen gewonnen werden, in der "Coriolan"-Ouvertüre entladen sich die Tutti explosiv und tritt insbesondere das rhythmische Moment hervor. Als Solist des Konzertstücks d-moll von Robert Schumann gelingt Lonquich der Spagat, mit dem MKO Kammermusik zu machen und gleichzeitig das erzählerische Moment des Klavierparts, jenen wundersamen Sagenton, zu treffen.
Nicolas Altstaedt scheut nicht vor säuselnder Tongebung zurück
Ohne Dirigenten kommt das Münchener Kammerorchester im Concertino für Violoncello und Streicher op. 43bis von Mieczyslaw Weinberg aus; ein paar anfeuernde Gesten vom Solisten gibt es gratis dazu. Je einfacher, volksmusikalischer der Solopart gehalten ist, desto schillernder spielt ihn Nicolas Altstaedt, wobei er auch vor leicht überreif kitschigen Effekten wie verschmierender Intonation und säuselnder Tongebung nicht zurückscheut. Der dritte Solist des Abends braucht nicht einmal ein Orchester: Ilya Gringolts widmet sich den Sechs "Capricci" für Violine solo von Salvatore Sciarrino: allesamt sehr leise, sehr schnell und sehr hoch, und hält auf bewundernswerte Weise die Aufmerksamkeit auch dann noch lebendig, wenn das hohe Gefiesel das Publikum im ausverkauften Prinzregententheater merklich zu ermüden droht.
Ist diese Erfahrung mit Sciarrinos nie erlöster Hibbeligkeit der Grund dafür, dass Gringolts den Violinpart im Tripelkonzert C-Dur von Beethoven in derart angenehm natürlicher Reinheit auffasst?
Auf jeden Fall ergibt sich ein scharfer Kontrast zu Altstaedts hemmungslos, aber auch unwiderstehlich überbordender Klangphantasie. Vermittelt, zusammengehalten werden die Gegenspieler von Alexander Lonquich am Klavier, der wie nebenbei auch noch das prachtvoll klingende Münchener Kammerorchester einbindet. Eine so überzeugende Personalunion von Solist und Dirigent erlebt man nicht alle Tage.