Chefdirigent: Der Bändiger gewaltiger Kräfte

Teodor Currentzis und das SWR Symphonieorchester in der Isarphilharmonie.
Robert Braunmüller
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Teodor Currentzis und das SWR Symphonieorchester.
Teodor Currentzis und das SWR Symphonieorchester. © Alexander Kluge

München - Eigentlich kann einem Orchester nichts besseres passieren als ein Chefdirigent, den die eine Hälfte des Publikums für ein Genie und die andere für einen Scharlatan hält. Dass Teodor Currentzis sein Amt beim Symphonieorchester des SWR allerdings besonders ernst nehmen würde, lässt sich kaum behaupten: Er leitet in der laufenden Saison gerade mal zwei Abo-Programme und dazu zwei Extrakonzerte mit Musik von Richard Wagner.

Gastspiel in der Isarphilharmonie

Was davon zu halten ist, mögen Rechnungshöfe und Kulturjournalisten im Sendegebiet des SWR beurteilen. Für das traditionell auf Musik der Gegenwart spezialisierte und aus zwei Klangkörpern fusionierte Symphonieorchester des Senders fallen im Windschatten von Currentzis Hauptgeschäft mit MusicAeterna und Utopia immerhin ein paar prestigeträchtige Gastspiele ab.

Antiromantische Musik des frühen 20. Jahrhunderts

Dazu gehörte auch ein Termin in der Isarphilharmonie mit dezidiert antiromantischer Musik des frühen 20. Jahrhunderts. Die - womöglich russische - Pianistin Yulianna Avdeeva (das Programmheft vermied jenseits der Erwähnung einer Ausbildung am Moskauer Gnessin-Institut eine Festlegung) donnerte stahlfingrig das Klavierkonzert Nr. 2 von Sergej Prokofjew. Currentzis unterstützte mit dem Orchester die vorgegebene Steigerungs-Dramaturgie. Und die Pianistin setzte mit einem Ausschnitt aus Wladyslaw Szpilmans Suite "The Life of the Machines" einen effektvollen Schlusspunkt.

Eindringliche Orchesterleistung

Nach der Pause dann Igor Strawinskys "Le Sacre du Printemps". Currentzis betonte in seiner Sicht auf diese Ballettmusik weniger das Rituelle als das Barbarische und Brutale. Hörner und Posaunen röhrten wie eine Herde Elefanten, das Fortissimo trampelte über alles hinweg, ohne allerdings forciert zu wirken. Auch langsamen Einleitungen der beiden Teile gelangen dem Orchester mit trüben Bläserfarben sehr eindringlich.

Im zweiten Teil musste sich der Dirigent in den rhythmisch vertrackten Passagen auf die Präzisionsmaschine eines deutschen Rundfunkorchesters verlassen. Womöglich verstehen auf ihn eingeschworene Musiker seine Tänze, Schlagtechnik mag man es nicht nennen. Und der heikle Schlussakkord trifft natürlich besser ins Mark, wenn man davor eine (vom Komponisten nicht vorgesehene) Kunstpause einlegt.

Den Bolero zum Finale

Maurice Ravels "Bolero" bildete als ins Programm eingebaute Zugabe das Finale. Currentzis forderte von den ersten Solo-Bläsern ein fast unspielbares Pianissimo, später motivierte er die Musiker zum einen oder anderen emotionalen Drücker. Derlei ist bei diesem Stück zwar möglich, aber Geschmackssache.

Kein Zweifel dürfte aber darin bestehen, dass Currentzis sich wie kein Zweiter auf die Entfesselung gewaltiger Orchesterkräfte versteht, die er mit viel Gespür für Klang inszeniert. Das rechtfertigt alle Superlative, wäre da nicht die anhaltende Dauer-Debatte um die Finanzierung seiner russischen Ensembles durch regierungsnahe Unternehmen und die damit verbundenen regimenahen Auftritte.

Kritik an Currentzis: keine Distanzierung zu Russland

Die Kölner Philharmonie strich wegen der ausbleibenden Distanzierung des Dirigenten vom russischen Überfall auf die Ukraine bereits ein Gastspiel mit dem SWR Symphonieorchester unter Currentzis. Das mag ein wenig wohlfeil sein, weil sich der Dirigent in der Vergangenheit - im Unterschied zu Valery Gergiev - nie politisch geäußert hat. Insofern ist es dem privaten Veranstalter in München nicht zu verübeln, dass er an diesem Gastspiel festhielt.

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Je länger der Krieg dauert, desto schwieriger wird es, sich gegenüber den Ereignissen neutral zu verhalten. Das Publikum in der Isarphilharmonie nahm sein gutes Recht auf Eskapismus wahr. Es bejubelte Currentzis als Star.

Der SWR hat sich bereits gegen ihn entschieden: François-Xavier Roth wird 2025 Chef des Orchesters. Die Entscheidung, so heißt es, sei bereits im Herbst vergangenen Jahres gefallen. Was angesichts des Unwillens des Dirigenten, seine Chefposition tatsächlich wahrzunehmen, durchaus stimmen mag.

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2 Kommentare
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  • Chroniker am 15.12.2022 11:37 Uhr / Bewertung:

    Lieber zwei von zehn Abokonzerten mit Currentzis auf Weltklasse-Niveau als fünf mit Roth in - wenn überhaupt - gehobenem Mittelmaß.

  • Chroniker am 14.12.2022 12:23 Uhr / Bewertung:

    Lieber zwei von zehn Abokonzerten mit Currentzis auf Weltklasse-Niveau als fünf mit Roth in - wenn überhaupt - gehobenem Mittelmaß.

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