Viel Kontrolle, wenig Überschwang

Robin Ticciati debütiert bei den Phiharmonikern mit Mahlers Dritter.
Robert Braunmüller
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Der Dirigent Robin Ticciati in der Isarphilharmonie.
Sebastian Widmann Der Dirigent Robin Ticciati in der Isarphilharmonie.

Der Eindruck kann täuschen. Aber es scheint, als habe der 39-Jährige bei bisherigen Auftritten mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks typische Haupt- und Großwerke vorsichtig gemieden. Beim anderen Großorchester der Stadt debütierte Robin Ticciati nun im ganz großen Stil mit Gustav Mahlers Symphonie Nr. 3, die außer einem mit Musikern vollbesetzten Podium auch noch eine Sängerin sowie Frauen und Knaben aufbietet, die keine fünf Minuten lang zu singen haben.

Ticciati versucht, den kompletten Mahler zu bieten: das große spätromantische Gefühl und dessen verzerrte Groteske. Der britische Dirigent geht dabei eher nüchtern vor. Die Extreme bleiben aber Momente. Im Vordergrund steht die Darstellung der Musik, nicht ihre Überinterpretation oder ihr Missbrauch zum Zweck einer Selbstdarstellung orchestraler Virtuosität, wie sie zuletzt am gleichen Ort und mit dem gleichen Orchester der junge Finne Klaus Mäkela betrieb.

Leider besteht die Symphonie Nr. 3 nicht nur aus dem Kopfsatz und dem Finale

Im letzten Satz, der mit hymnischer Verinnerlichung auf eine kurz aufblitzende Himmelsvision antwortet, stellte sich ganz ungezwungen etwas ein, das man Innigkeit nennen könnte, wenn dieser Gefühlslage nicht ein wenig zu misstrauen wäre, wenn sie von 100 Damen und Herren kollektiv geäußert wird.

Der erste Satz, ein kontrastreicher Trauermarsch, profitierte zweifellos vom Verzicht auf erhöhten Druck. Jonathan Ramsay interpretierte die Weckrufe der Solo-Posaune mit Geschmack. Auch sonst stand das Integrierende im Vordergrund. Die Gewalttätigkeit der Musik stellt sich ohnehin ganz selbstverständlich ein.

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Leider besteht die Symphonie Nr. 3 nicht nur aus dem Kopfsatz und dem Finale. Die Mittelsätze gelangen Ticciati nur auf höchstem Niveau routiniert. Als Interpret konnte er nicht wirklich deutlich machen, worin sich der zweite und dritte Satz stimmungsmäßig unterscheiden. Das heikle, auf einem Flügelhorn gespielte Posthornsolo (Alexandre Baty) war zwar schön. Nur: Ist es eine sentimentale Erinnerung an Welt des biedermeierlichen Straßenverkehrs, Kitsch oder eine echte Gefühlsäußerung? Alle Beteiligten wirkten mit der Klangbalance zwischen dem fernen Instrument und dem Orchester ausgelastet. Das ist zwar handwerklich ehrlich, aber eine Interpretation wäre nicht völlig verfehlt.

Die Emphase ist - gerade bei Mahler - Geschmackssache

Dem Bim-Bam des Tölzer Knabenchors und der Frauen des Philharmonischen Chors bekam die gläserne Kühle recht gut. Die schätzenswerte Elina Garanca scheint bei Dirigentin derzeit die beliebteste Interpretin der Nietzsche-Worte "O Mensch!" zu sein. Sie bietet die wohl doch einem dunklen Alt zugedachte Vertonung mit hellem Mezzo eher nüchtern-kühl und meidet jeden Überschwang. Das kann man mögen. Man kann aber auch einiges dabei vermissen.

Und bevor das alles zu negativ klingt: Die Emphase ist - gerade bei Mahler - Geschmackssache. Nur ein Schritt zuviel, und man ist peinlich berührt. Kein Zweifel dürfte aber darüber bestehen, dass Ticciati den großen Apparat souverän beherrscht und ihm immer wieder auch kontrollierte Zurückhaltung abverlangen kann.

Und das ist eine größere Leistung als die permanente Entfesselung letzter Reserven.


Am 17., 18. und 19. Dezember dirigiert Kent Nagano in der Isarphilharmonie Werke von Strauss, Grieg und Bach. Solist ist Jan Lisiecki. Infos und Karten unter www.mphil.de

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