AZ-Kritik zu Roger Waters in der Olympiahalle München: Plumpe Provokation
Am Nachmittag vor dem Konzert hatte Roger Waters nochmal maximal provoziert: Ein Video auf seinem Facebook-Kanal zeigte ihn mit seiner Frau Kamilah am Grab von Sophie und Hans Scholl im Perlacher Forst. Die Weiße Rose hätte gegen ein tyrannisches, rassistisches System aufbegehrt, schrieb er dazu – und bezeichnete zugleich den Staat Israel als tyrannisches, rassistisches System, das institutionalisierten Mord am palästinensischen Volk begehe. Außerdem schwadronierte er von einer israelischen Lobby und pries die vom Bundestag als antisemitisch eingestufte BDS-Bewegung.
Roger-Waters-Konzert in München: Plumpe Provokation und eine Demonstration
Am Abend nun sollte dieser Mann, der Israel und das Dritte Reich in einem Atemzug nennt, in der Olympiahalle auftreten. OB Dieter Reiter und der Stadtrat hatten das Konzert aus juristischen Gründen nicht verhindern können, in Frankfurt war ein Verbot gerichtlich aufgehoben worden. Und so blieb all jenen, die dieser Mann empört, nur zu betonen: Er mag zwar spielen dürfen – aber willkommen ist er in München nicht.
Das sagen viele der Redner bei der Demo von "München ist bunt!" am Rand der Olympiahalle, auch einige Stadträte sind gekommen. "Keine Bühne für Antisemitismus, keine Bühne für Putin-Propaganda", steht auf den Transparenten: Mit Blick auf den Ukraine-Krieg hatte Waters für Empörung gesorgt, indem er die Nato wegen angeblicher Provokationen Russlands zum Mitschuldigen erklärte. In Sichtweite der Olympiahalle hat die Stadt deshalb Flaggen der Ukraine und Israels aufhängen lassen, dazu die Regenbogenflagge.
Charlotte Knobloch bezeichnet bei der Demo Waters als "antisemitischen Brandstifter" und fordert schärfere Gesetze, um solche Veranstaltungen künftig verbieten zu können. "Der Antisemitismus hat ganz offensichtlich einen Platz in diesem Land", sagt sie, "dieser Platz ist heute die Olympiahalle". Rund hundert Menschen hören ihr am Rande der Olympiahalle zu – derweil strömen Tausende in die Arena.

Konzertbesucher bei Roger Waters: Von Musik-Fan bis Schwurbler
Sind ihnen Roger Waters’ Einlassungen egal? Viele sagen auf Nachfrage, dass sie nur wegen der Musik hier seien. Ein Mann im Pink-Floyd-T-Shirt erklärt, dass ihn das "Geplänkel" nicht interessiere, ein anderer erklärt Waters' politische Positionen, die die Öffentlichkeit monatelang beschäftigten, zu dessen "persönlicher Sach'". Andere dagegen kommen mit schlechtem Gewissen zum Konzert, zum Beispiel zwei Regensburger Studenten. "Roger Waters ist ein furchtbarer Mensch", sagt einer der beiden. "Aber wir sind halt große Pink-Floyd-Fans. Wir wären lieber zu David Gilmour gegangen."
Ein Fan um die Sechzig bezeichnet Waters mit einem Schimpfwort, das mit "A" beginnt. Er wollte eigentlich zuhause bleiben, sagt er, aber da es die vielleicht letzte Gelegenheit sei, Waters live zu sehen, habe er sich doch spontan auf den Weg in den Olympiapark gemacht. Er ergattert schnell eine Karte für 50 Euro, weniger als die Hälfte des Originalpreises. Auch im Internet seien viele Tickets angeboten worden, sagt er, viele Fans hätten wohl doch einen Rückzieher gemacht.
Knobloch-Rede gestört: "Roger Waters ist geil"
Doch es gibt hier auch die andere Seite des Spektrums: Ein Mann im Pink-Floyd-Shirt mokiert sich über die angeblichen "Mainstream-Medien", die wegen des Roger-Waters-Konzerts eine "Panikwelle" geschürt hätten. Ein anderer, ebenfalls im Fan-Shirt, hat extra ein Schild gebastelt: "Jetzt erst recht zu Roger Waters. Gegen diese grün-rote Verbotskultur" steht darauf, und als er damit zur "München ist bunt"-Demo marschiert, kommt es zum ersten von mehreren Wortgefechten.
Übermäßig hitzig geht es meist nicht zu, doch es gibt auch schlimme Momente. Eine demonstrierende Studentin aus Israel erzählt, ein Mann habe ihr die Flagge ihres Heimatlandes aus der Hand gerissen – und darauf gespuckt. Ein anderer Tiefpunkt ist erreicht, als einer Charlotte Knoblochs Rede stört. "Judenhass ist keine Meinung", sagt sie gerade und meint Roger Waters. "Hass auf Israel ist keine Meinung, Toleranz und Respekt mit Füßen zu treten ist keine Meinung" – da schreit der Mann: "Roger Waters ist geil."
Konzert von Roger Waters: Pro-Palästina-Stand und Weltklasse-Band
Die meisten Gäste in der sehr gut besuchten, aber nicht ausverkauften Olympiahalle dürften von diesem Vorspiel wenig mitbekommen. Vielleicht übersehen sie in der Nähe des Eingangs auch den Stand des Münchner Ortsvereins von "Palästina spricht", auf dem "Beendet Israels Apartheid" steht. Roger Waters' Management hat bei dem Verein angefragt, ob er ausstellen möchte, erzählt dort eine junge Palästinenserin, doch an ihrem Stand ist nichts los.
Aber als das Licht ausgeht, wird auch den letzten Gästen klar gemacht, dass hier kein politikfreies Entertainment ansteht. Waters begrüßt seine Gäste, die teils über 200 Euro gezahlt haben, in einer voraufgezeichneten Botschaft: "Wenn du einer von diesen 'Ich liebe Pink Floyd, aber ich hasse Rogers Politik'-Typen bist, dann verpiss dich an die Bar!" Die Zuschauer klatschen, manche lachen höhnisch, und ob die wenigen Pfiffe ablehnend gemeint sind oder Teil des Applauses, lässt sich kaum ausmachen.
Dann hebt die Musik an, sie ist nämlich auch noch Teil des Abends, und der Sound ist angesichts der akustischen Verhältnisse in der Olympiahalle sehr gut. Waters hat eine Weltklasse-Band dabei, zwei Sängerinnen und sieben vielgefragte Musiker wie Schlagzeuger Joey Waronker oder Gitarrist und Sänger Jonathan Wilson. Die bringen die Pink-Floyd-Klassiker in ihrem originalen Gewand auf die Bühne, und die dynamischen Stücke wie "Sheep" und vor allem "Have A Cigar" entfalten live eine größere Explosivität. Waters vereinnahmt das Erbe der Band in Gänze – und lässt seine Gitarristen bei "Money" oder "Another Brick In The Wall" Note für Note die Soli David Gilmours nachspielen, der mit ihm bekanntlich verfeindet ist.
Multimediashow mit düsteren Botschaften
Die Solostücke wie "The Bravery Of Being Out of Range" sind auch nicht schlecht und werden in Perfektion gespielt, abgesehen von einem kleinen Moment in "The Bar", als Waters am Flügel kurz das Timing verrutscht. Doch der meist bombastisch daherkommende Sound ist nur ein Teil der Multimediashow: Über der Bühne, die in der Mitte der Olympiahalle steht, sind kreuzförmig Riesenleinwände angeordnet, sodass alle Zuschauer im Rund das visuelle Spektakel sehen können.
Das ist oft im Stil von Graphic Novels gehalten, farblich meist in Rot, Schwarz und Weiß gehalten und inhaltlich praktisch immer düster. In den Textbotschaften werden im Stakkato die Tode von George Floyd oder Anne Frank beklagt, werden Ronald Reagan und Joe Biden zu Kriegsverbrechern erklärt, wird aufgelistet, was alles schlecht ist: Neben Israel ("Fuck The Occupation") sind das zum Beispiel der Kapitalismus, das Patriarchat, Drohnen oder Bombardements.
Doch ob man dieses Sperrfeuer an mal plump-plakativen, mal problematischen Botschaften nun höchst ermüdend findet oder sich an der perfekten Produktion dieses Bombast-Show erfreut, ist eine müßige Frage: Denn da gibt es ja noch dieses Schwein, das nach der Pause zu "In The Flesh" in die Arena fliegt. Ein solches Schwein mag zwar schon 1977 auf dem ikonischen Cover von "Animals" zu sehen gewesen sein, aber zwischenzeitlich hatte Waters es bei seinen Konzerten mit einem Davidstern und anderen religiösen Symbolen versehen.
Der ist nun zwar verschwunden und durch die Namen von Rüstungsfirmen ersetzt, darunter einer israelischen. Justiziabel ist das nicht, doch das Schwein lässt sich eben weiter mit mit dieser antisemitischen Botschaft assoziieren. Und ein Rockkonzert ist durchaus ohne fliegende Sau denkbar – dass Waters sie weiter steigen lässt, ist indiskutabel.
So ist's letztlich egal, wie die zweite Plattenseite von "Dark Side Of The Moon" live klingt oder ob der "Crazy Diamond" hell erstrahlt: Denn es gibt keine richtige Show in einer falschen.