Interview

Spektrale Herzen beim Opern-Festival "Ja Mai!"

Die beiden Dirigenten von "Bluthaus" und "Thomas" über die Musik des Komponisten Georg Friedrich Haas.
Robert Braunmüller
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In einem österreichischen Haus ist Schreckliches geschehen: Szene aus der Oper "Bluthaus" in der Inszenierung von Claus Guth.
In einem österreichischen Haus ist Schreckliches geschehen: Szene aus der Oper "Bluthaus" in der Inszenierung von Claus Guth. © Monika Rittershaus

Bei ihrem neuen Festival "Ja Mai!" bringt die Bayerische Staatsoper zwei Opern von Georg Friedrich Haas mit Musik von Claudio Monteverdi zusammen. Titus Engel dirigiert am heutigen Samstag "Bluthaus" im Cuvilliéstheater, Alexandre Bloch "Thomas" am Montag in der Reithalle. Teodor Currentzis sollte ursprünglich die dritte Oper "Koma" dirigieren, diese Produktion wird auf 2024 verschoben.

AZ: Herr Engel, Herr Bloch, wann haben Sie zum ersten Mal Musik von Haas gehört?
TITUS ENGEL: 1999, als Hospitant von Sylvain Cambreling bei den Salzburger Festspielen. Da habe ich vom Klangforum Wien die ersten Stücke gehört. Ihre neuartige Harmonik öffnete mir eine neue Welt. Seitdem habe ich immer wieder Stücke von ihm aufgeführt, "Bluthaus" ist aber meine erste Haas-Oper.
ALEXANDRE BLOCH: Ich habe Haas erst durch "Thomas" kennengelernt. Aber er ist mir natürlich schon lange ein Begriff, weil ich mich viel mit Spektralmusik beschäftigt habe - allerdings mehr mit französischen Vertretern wie Tristan Murail und Gérard Grisey. Näher mit Haas habe ich mich erst in den letzten beiden Jahren bei der Vorbereitung auf "Thomas" auseinandergesetzt.

Titus Engel (rechts) stammt aus Zürich und studierte Dirigieren in Dresden. Er übernahm im vergangenen Dezember als Einspringer die Premiere von Lehárs "Giuditta" im Nationaltheater. Alexandre Bloch studierte Cello in Paris. Seine internationale Dirigentenkarriere begann, als er 2012 in Amsterdam für Mariss Jansons einsprang.
Titus Engel (rechts) stammt aus Zürich und studierte Dirigieren in Dresden. Er übernahm im vergangenen Dezember als Einspringer die Premiere von Lehárs "Giuditta" im Nationaltheater. Alexandre Bloch studierte Cello in Paris. Seine internationale Dirigentenkarriere begann, als er 2012 in Amsterdam für Mariss Jansons einsprang. © Wilfried Hösl

Spektralmusik kann den Hörer emotional berühren

Der Begriff "Spektralmusik" könnte den einen oder anderen Besucher verschrecken. Was ist das überhaupt?
BLOCH: Es klingt speziell und die Anforderungen an die Ausführenden sind extrem. Aber jeder, der bereit ist, sich auf diese Musik einzulassen, kann emotional berührt werden.
ENGEL: Jeder Ton, den wir hören, besteht nicht nur aus dem Ton, den wir hören, sondern aus dem Grundton und der mitschwingenden Obertonreihe. Die Töne dieses Spektrums ergeben den spezifischen Klang dieses Tons. Dass der gleiche Ton auf einem Klavier und einer Flöte unterschiedlich klingt, hat mit diesen Obertönen zu tun. Wenn uns eine Stimme mehr berührt als eine andere, hat das mit der spezifischen Obertonstruktur zu tun. Die Spektralmusik verstärkt die Töne dieses natürlichen Obertonspektrums bewusst durch Instrumente. Dieses harmonische Spektrum ist eigentlich natürlicher als unsere traditionelle wohltemperierte Stimmung.
BLOCH: Die französischen Spektralisten haben zusätzlich Klänge mit dem Computer analysiert. Ich habe kürzlich ein Stück von Tristan Murail aufgeführt, das die Geräusche der Gezeiten in musikalische Klänge verwandelt hat. Haas ist direkter und auch natürlicher: Im Zentrum von "Thomas" steht ein Wiegenlied, das man trotz seiner sehr komplexen Harmonik für ein Volkslied halten könnte.

Spektralmusik ist in ihrem Aufhören von Klängen oft sehr langsam. Auch bei Haas?
ENGEL: Der harmonische Puls der Musik ist in den spektralen Teilen ist oft ruhig, das stimmt. Aber es gibt auch mikrotonale Passagen und traditionelle Elemente, vor allem in den Gesangspartien.

Der 1953 in Graz geborene Georg Friedrich Haas.
Der 1953 in Graz geborene Georg Friedrich Haas. © picture alliance / dpa

Was bedeutet mikrotonal?
ENGEL: In "Bluthaus" wird der Abstand zwischen zwei Ganztönen in 12 Stufen unterteilt.

Für eine Verzahnung von Oper und Sprechtheater waren viele Proben nötig

Ist das nicht sehr schwer zu proben?
BLOCH: Die Musik lässt sich wegen ihrer speziellen Harmonik nicht mit einem Klavier proben. Man braucht dafür elektronische Midi-Instrumente, und dann ist es immer noch kompliziert genug. Und bei den Proben sind alle sehr lange mit dem Stimmen beschäftigt.
ENGEL: In "Bluthaus" wirken außerdem viele Schauspieler aus dem Ensemble des Residenztheaters mit. Jedem von ihnen ist zur Orientierung ein Schlaginstrument zugeordnet. Das musste trotzdem lange geprobt werden, aber ich denke, es ist eine ungewöhnliche Verzahnung aus Oper und Sprechtheater gelungen.

Worum geht es in "Bluthaus"?
ENGEL: Eine junge Frau will ein Haus in Niederösterreich verkaufen. Es ist ein sehr schönes Haus, und es gibt ziemlich viele Interessenten. Aber dann stellt sich heraus, dass in dem Haus ein furchtbares Verbrechen geschah: Der Mann hat seine Tochter missbraucht und wurde von seiner Frau erstochen.

Der Text von "Thomas" stammt ebenfalls von Händl Klaus. Worum geht es in dieser Oper?
BLOCH: Es ist eine Reflexion über Leben und Tod. Die Oper beginnt mit den letzten Atemzügen von Matthias. Mit seinem Tod beginnen nicht nur das Abschiednehmen und Rituale wie das Waschen der Leiche, sondern auch bürokratische Vorgänge, die mit dem Sterben verbunden sind.

Holger Falk als Thomas in der gleichnamigen Oper von Georg Friedrich Haas in der Reithalle.
Holger Falk als Thomas in der gleichnamigen Oper von Georg Friedrich Haas in der Reithalle. © Wilfried Hösl

Bloch: "Die Instrumentalisten spielen im Verborgenen"

Wie ist das Orchester besetzt?
ENGEL: In "Bluthaus" spielt ein größeres Ensemble mit fünf Celli und zwei Kontrabässen, weil bei den natürlichen Spektren die tiefe Lage besonders wichtig ist.
BLOCH: In "Thomas" kommen ausschließlich gezupfte Instrumente wie Mandoline, Zither, akustische Gitarre, Harfe und zwei Cembali vor. Alle diese Instrumente können einen Ton nicht lange halten, sondern müssen ihn dafür schnell wiederholen. Das macht den besonderen Klang dieses Stücks aus.

Die beiden Aufführungen finden in sehr verschiedenen Räumen statt.
BLOCH: Der langgestreckte Raum der Reithalle ist Teil der Inszenierung von Anna-Sophie Mahler. Der Zuschauer befindet sich sozusagen im Körper des sterbenden Matthias. Die Instrumentalisten spielen im Verborgenen.
ENGEL: Die Uraufführungen von "Bluthaus" und "Thomas" fanden im klassizistischen Schlosstheater von Schwetzingen statt. Das ist ähnlich groß wie das Cuvilléstheater. Natürlich steht ein dunkles Stück wie "Bluthaus" im Kontrast zu dem Raum.

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Engel: "Monteverdi und Haas passen überraschend gut zusammen"

Beide Haas-Opern werden mit Monteverdi kombiniert.
BLOCH: Bei mir ist es das "Lamento d'Arianna". Ich habe mich für die Version a cappella für fünf Stimmen entschieden, die gut zur Kirchen-Akustik der Reithalle passt. Es singen Studierende der Schola Cantorum aus Basel.
ENGEL: Die Monteverdi-Stücke "Ballo dell'Ingrate" und das Lamento della Ninfa bilden den Rahmen der Aufführung. Das ist Teil der Inszenierungsidee von Claus Guth. Bei uns sind es die gleichen Sänger, darunter auch drei Tölzer Knaben, die auch bei Haas mitwirken. Haas' "Bluthaus" endet in c-moll, der anschließende Monteverdi beginnt in C-Dur. Da Monteverdis Musik vor der wohltemperierten Stimmung komponiert wurde, passt beides trotz der großen Unterschiede überraschend gut zusammen.


"Bluthaus" ist am 21., 25., 26., 28. und 29. Mai im Cuvilliéstheater zu sehen, "Thomas" am 23., 25., 27. und 29. Mai im Utopia (vormals Reithalle, Heßstraße 123). Karten unter staatsoper.de und Telefon 089/21851920

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