Kritik

"Schwanensee" im Nationaltheater: Eine Vorstellung mit Kompromissen

Das Staatsballett tanzt im Nationaltheater Ray Barras Version von "Schwanensee" wieder vollständiger.
Vesna Mlakar |
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Prisca Zeisel (Odette/Odile), Jinhao Zhang (Siegfried) und Emilio Pavan (hinten, Rotbart) in Ray Barras "Schwanensee".
Prisca Zeisel (Odette/Odile), Jinhao Zhang (Siegfried) und Emilio Pavan (hinten, Rotbart) in Ray Barras "Schwanensee". © Wilfried Hösl

München - Überall häufen sich derzeit Meldungen über kurz- und langfristige Vorstellungsabsagen oder Verschiebungen. Auch für das Staatsballett bleibt es schwierig, den regulären Betrieb von Repertoirestücken und Premieren am Laufen zu halten.

Mit Aushilfen dauert alles ein bisschen länger

Vor drei Wochen ließ man das Publikum in der Pause der "Giselle"-Wiederaufnahme 20 Minuten länger als geplant durch die Foyers flanieren. "Wir arbeiten momentan viel mit Aushilfen, die oft nicht so eingespielt sind. Da dauert es in der Technik und Maske manchmal ein bisschen länger", hieß es zur Erklärung.

Um Haaresbreite schaffte es nun Ray Barras 1995 für München konzipierte "Schwanensee"-Vollversion zurück auf die Bühne. Ein beachtlicher Kraftakt - offenbar weniger für die fitten Interpreten, bei denen sich nur anfangs kleine Patzer in die Freudentänze anlässlich der Verlobung des Prinzen Siegfried schlichen.

Viele Debüts zieren den Abend

Für einen Großteil von Siegfrieds jugendlichem Begleittross handelte es sich um Rollendebüts: vom Freund Benno (Yonah Acosta) bis zu einigen Partygästen aus Spanien, Russland und Italien. Die Partie der rüde abservierten Braut Charlotte übernahm - technisch fein austariert - erstmals Maria Baranova.

Die Rollencharaktere dabei mit individuellen Akzenten zu versehen, gibt diese "Schwanensee"-Fassung jedoch nur in recht beschränkter Weise her. Anders als Peter Wrights wesentlich ältere "Giselle" aus den 1970er Jahren setzt Barra ganz auf eine komplex psychologische, schlanke und zu einer Art Prinzen-Kopfkino verdichtete Adaption des traditionellen Plots.

Der emotionalen Zugkraft sind in Ray Barras Version Grenzen gesetzt

Diese nicht unbedingt nachvollziehbare und keineswegs genial neue Deutung ermöglicht es Barra, nach dem ensemblesatten Auftakt im zweiten Akt - eigentlich reich an Aufruhr- und Schaueffekten - auf die gesamte Entourage des Prinzen bis zum fast statischen Finalbild zu verzichten.

Weniger Dekor tut der Ausstattung sogar gut

Aber zu welchem Preis! Sonst reagieren die Figuren um Siegfried auf den fiesen Betrug des Zauberer-Tochtergespanns ja mit. Ob mit oder ohne Bühnenbild sind der emotionalen Zugkraft im Münchner "Schwanensee" Grenzen gesetzt. Mitunter entstehen Verständnislücken bei den Übergängen, die Tschaikowskys Komposition allein nicht zufriedenstellend aufzufangen vermag.

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Der Kompromiss des Abends stellte dies deutlich unter Beweis: ein reduziertes Dekor für das Palastbild nach der Pause wegen zahlreichen Technikern in Quarantäne. Sonst wäre die komplette Vorstellung wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. Zudem verschaffte diese (Not-) Lösung dem Ensemble unerwartet Raumweite und tänzerisch Luft. Etwas, das John Macfarlanes bisweilen beklemmend-sperriger Ausstattung generell gut täte.

Der "Schwanensee" könnte noch überzeugender sein

In den Hauptrollen wurde das Ensemble von Jinhao Zhang (ein Siegfried mit meisterhaft hohen und weiten Luftsprüngen), Emilio Pavan als intrigantem Zauberer Rotbart und Prisca Zeisel angeführt. Stilsicher wusste die findige Künstlerin in ihrer Doppelrolle als weiblicher Spielball im Spannungsfeld männlicher Fantasien zwischen tragischer Unschuld (Odile) und fatalem Verführungsauftrag (Odette) zu beeindrucken. Insgeheim darf man sich vom Staatsballett doch bald eine überzeugendere "Schwanensee"-Version wünschen.


Nächste Vorstellungen am 22. (mit Madison Young und Osiel Gouneo) und am 26. Februar im Nationaltheater. Karten unter 089/ 2185 1920

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