Kritik

Neuproduktion der "Trojaner" im Nationaltheater: Lateinische Herrenbegegnungen

Daniele Rustioni dirigiert eine musikalisch herausragende Neuproduktion der "Trojaner" von Hector Berlioz im Nationaltheater.
Robert Braunmüller
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Marie-Nicole Lemieux als Cassandre.
Wilfried Hösl 5 Marie-Nicole Lemieux als Cassandre.
Gregory Kunde als Enée.
Wilfried Hösl 5 Gregory Kunde als Enée.
Ekaterina Semenchuk als Dido.
Wilfried Hösl 5 Ekaterina Semenchuk als Dido.
"Les Troyens" von Hector Berlioz im Nationaltheater.
Wilfried Hösl 5 "Les Troyens" von Hector Berlioz im Nationaltheater.
"Les Troyens" von Hector Berlioz im Nationaltheater.
Wilfried Hösl 5 "Les Troyens" von Hector Berlioz im Nationaltheater.

München - Diese Oper hat gewiss musikalisch geniale Viertelstunden. Aber letztendlich handelt es sich bei "Les Troyens" von Hector Berlioz um das, was Investoren einen "weißen Elefanten" nennen: sehr teuer, sehr aufwendig, aber für das Repertoire eines Opernhauses weitgehend unprofitabel. Keinem Regisseur ist es je gelungen, dem Werk Aktualität abzuringen. Was aber nicht heißt, dass sich die Aufführung dieses mythologischen Kolossalschinkens nicht trotzdem lohnt.

Dirigent Rustioni holt den Klang nach vorn, am Rand zur Übersteuerung

Vor allem der Dirigent macht diese Neuproduktion der Bayerischen Staatsoper zum Ereignis. Das Staatsorchester dominiert die Aufführung von Beginn an mit plastischer Präsenz.

Daniele Rustioni holt den Klang nach vorn, am Rand zur Übersteuerung, aber letztendlich ohne Überschreitung von Grenzen ins Grelle. Die vielen Spezialeffekte der Instrumentierung treten mit maximaler Deutlichkeit hervor, und oft klagen die Celli schöner wie jede Sängerin auf der Bühne.

Das allein ist absolut hörenswert. Über ein paar Wackler in rhythmisch komplexen Chorszenen (Einstudierung: Stellario Fagone) darf großzügig hinweggesehen werden. Rustioni agiert mit dem sehr flexibel agierenden Bayerischen Staatsorchester nicht nur auf Augenhöhe mit den Berlioz-Experten der älteren Generation, er übertrifft sie mit sinnlicher Farbigkeit und einem klar aufgefächerten, französisch-kühlem, bläserbetonten Klang.

Ekaterina Semenchuk springt für  die erkrankte Anita Rachvelisvili ein

Die ersten beiden Akte dominiert die anfangs einschließlich eines breitkrempigen Huts ganz ins Unglück-Schwarz gehüllte Cassandre von Marie-Nicole Lemieux. Sie gibt die große französische Tragödin, der Bariton Stéphane Degout assistiert ihr in einer hochgradig stilisierten Liebesszene kongenial als Chorèbe.

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Die kurz vor der Premiere für die erkrankte Anita Rachvelisvili eingewechselte Ekaterina Semenchuk wirkt nach der ersten Pause als Dido anfangs nicht ganz so präsent. Aber sie steigert sich. Ihre gelegentliche Neigung zum veristischen Sprechgesang bleibt allerdings Geschmackssache.

Gregory Kunde singt den Enée mit einer offenbar unerschöpflichen Kraft

Diverse kleinere Preziosen wie die Lieder des Iopas und Hylas sowie die kurze komische Szene der beiden Wachtposten sind nicht ganz so hell poliert, wie es wünschenswert wäre. Der 68-jährige Gregory Kunde singt den Enée mit blitzendem Metall und einer offenbar unerschöpflichen Kraft.

Aber seine Stimme mischt sich im Duett "Nuit d'ivresse" nicht wirklich gut mit dem Mezzo von Ekaterina Semenchuk. Und wenn man Kunde sieht und zugleich die superlativischen Helden-Adjektive in den Obertiteln liest, wirkt der Gegensatz zu seinem Habitus unfreiwillig komisch: Er sieht aus, als habe sich Peter Grimes oder der Fliegende Holländer in die Antike verirrt.

Christophe Honorés Inszenierung bleibt gehobener Lateinunterricht, nicht nur im Vergleich mit seiner Lyoner "Tosca". Es wird viel feierlich geschritten und mit den Händen gerungen, wie es der steifen Tradition des franzöischen Theaters geziemt. Einzelne Verfremdungseffekte wie das durch eine Leuchtschrift vertretene Trojanische Pferd und die Bierkästen bleiben läppisch (Bühne: Katrin Lea Tag).

Karthago ist in dieser "Trojaner"-Inszenierung ein schwuler Freizeitpark

Weder mit dem befrackten Chor in Konzertkleidung noch mit den allzu klischeehaft charakterisierten Damen wusste der Regisseur allzu viel anzufangen. Und nach fast 30 Jahren Video im Theater wirken hereingeschobene Leinwände und Monitore arg aus der Zeit gefallen.

Karthago ist in dieser Inszenierung ein schwuler Freizeitpark, den Dido zusammen mit ihrer Schwester leitet. Bei der Königlichen Jagd und der anschließenden Party begegnen sich melancholisch dreinschauende Herren in maßvoll expliziten Filmen, ohne dass die Berlioz-Rezeption durch diesen Eros wirklich weitergebracht würde.

Recht scharfe Ablehnung der Inszenierung wirkt homophob grundiert

In der zweiten Pause der Premiere waren Äußerungen wie "Des kennan's dahoam macha, aber ned da", aber auch Herberes zu vernehmen. Die doch recht scharfe Ablehnung der Inszenierung (mit Pfiffen) wirkte homophob grundiert.

Darüber darf man sich im Jahr 2022 ein wenig wundern. Wen die Videos stören, der möge seine Brille abnehmen und allein dem Klangzauberer Berlioz lauschen. Der klingt im Nationaltheater dank Daniele Rustioni sensationell. Und der Rest lässt sich verschmerzen, auch wenn die fünf Stunden manchmal doch recht lang werden.


Wieder am 14., 21., 26. und 29. Mai sowie am 6. und 10. Juli im Nationaltheater. Karten unter staatsoper.de

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