Interview

"Les Troyens" im Nationaltheater: Kalaschnikow mit etwas Charme

Daniele Rustioni über Hector Berlioz und seine Oper "Les Troyens" im Nationaltheater.
Marco Frei |
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Christophe Honoré aktualisiert mit Videos den trojanischen Krieg in Berlioz' Oper "Les Troyens".
Christophe Honoré aktualisiert mit Videos den trojanischen Krieg in Berlioz' Oper "Les Troyens". © Wilfried Hösl

Von Serge Dorny wurde er 2017 als Chefdirigent an die Opéra National in Lyon geholt. Seit Dornys Wechsel nach München wirkt Daniele Rustioni auch Erster Gastdirigent an der Bayerischen Staatsoper. In dieser Funktion leitet er die Premiere der zweiteiligen Mammut-Oper "Les Troyens" von Hector Berlioz im Nationaltheater. Deren erste Gesamtaufführung ging 1890 in Karlsruhe über die Bühne - geteilt auf zwei Abende. Die erste Gesamtaufführung an einem Abend dirigierte erst Rafael Kubelík 1957 in London. Aus Frankreich ist kein nennenswerter Beitrag zur Wirkungsgeschichte dieser Oper nach Vergils "Aeneis" bekannt.

Daniele Rustioni wurde 1983 in Mailand geboren. Er studierte in seiner Heimatstadt, in Siena und London. 2008 dirigierte er in Turin seine erste Oper. Seit 2017 ist Rustioni Chefdirigent der Oper in Lyon und seit 2019 auch des Ulster Orchestra.
Daniele Rustioni wurde 1983 in Mailand geboren. Er studierte in seiner Heimatstadt, in Siena und London. 2008 dirigierte er in Turin seine erste Oper. Seit 2017 ist Rustioni Chefdirigent der Oper in Lyon und seit 2019 auch des Ulster Orchestra. © Ulster Orchestra

AZ: Herr Rustioni, warum tun sich die Franzosen so schwer mit dieser Oper? Ist Berlioz generell das Problem?
DANIELE RUSTIONI: Heikle Frage, verdammt! Jetzt muss ich aufpassen, was ich sage, weil ich ja weiterhin in Lyon tätig sein möchte. Als ich mitten in der Pandemie dort die komische Oper "Béatrice et Bénédict" von Berlioz geleitet habe, wurde mir vollends klar, wie schwierig das Verhältnis der Franzosen zu seiner Musik ist. Mir scheint, dass es vor allem die Behandlung des Orchesters berührt. Es ist eine Mischung, wie man sie in Frankreich nicht gewohnt ist.

"Kalaschnikow der Artikulation, fast schon teutonisch-deutsch"

Wie meinen Sie das?
Die klangliche Schwere, auch der spezifische Tutti-Einsatz, die markante Artikulation: Das ist den Franzosen eher fremd. Manche markante Sforzati gehen in ihrer Kraft und den unbedingten Willen über Beethoven hinaus. Das gleicht einer Kalaschnikow der Artikulation, fast schon teutonisch-deutsch. Für Berlioz braucht man bisweilen eine Kriegsmaschine.

Das passt ja durchaus zum Stoff. Immerhin geht es um Krieg, Flucht und Asyl. Wie aktuell ist die Oper? Ist Wladimir Putin rückblickend ein trojanisches Pferd?
Er hat viele Interessen in Europa und viele trojanische Pferde dafür installiert. Ich bin froh, dass die Sicht von Christophe Honoré auf diese Oper nicht traditionell ist. Als Filmregisseur setzt er Videos, Mittel und Techniken ein, die uns in eine Aktualität beamt und sie auf der Bühne auch erzählt: wie schon die griechischen Mythen selber. Ich kenne ihn aus Lyon, wo wir "Don Carlos" gemeinsam gemacht haben oder in Aix-en-Provence eine "Tosca". Das ist jetzt unsere dritte Zusammenarbeit. Ich möchte aber noch gerne etwas zur Kriegsmaschine ergänzen.

Nämlich?
Ich meine damit einen virtuosen Klangkörper, der zugleich fähig ist, sich ganz hinzugeben. Bei Berlioz gibt es im Orchester keine reine Begleitfunktion. Ein deutsches Orchester kann hier eine eigene, starke Position entwickeln, mit der berühmten Disziplin und Perfektion. Bei einer Riesen-Partitur mit 52 Musiknummern würde in Italien ein totales Chaos drohen. In diesem Sinn bin ich froh, dieses Werk hier in München zu machen.

"Der Fluss der Musik bleibt stets horizontal und damit italo-französisch"

Wann klingt Berlioz besonders italo-französisch?
An Stellen zum Beispiel mit ausgeprägtem Lyrismus und einer gewissen Belcanto-Herkunft. Im Vergleich zu Wagner markieren zudem die in sich geschlossenen Nummern einen großen Unterschied. Ja, die Musik von Berlioz strebt vielfach ins Vertikale im deutschen Sinn, was auch die Dynamik berührt aber: Der Fluss der Musik bleibt stets horizontal und damit italo-französisch. Das begründet ihren besonderen Charme. Im Gegensatz zur italienischen Operntradition ist aber die Harmonik bei Berlioz weitaus komplexer.

Es ist also ein Spagat zwischen Stilen, Haltungen und Traditionen?
Ganz genau. Nehmen Sie die Rezitative mit Orchester: Berlioz gibt hier ganz genaue Anweisungen, fast schon ähnlich manisch wie später Gustav Mahler. Schon in der ersten Szene von Kassandra mit ihrem Verlobten Choröbus schreibt Berlioz ein Rezitativ in strengem, gemessenem Takt vor. Hier versteht man schnell, dass er es wie Verdi meinte. Auch Berlioz ist offenkundig mit einer Gitarre im Zimmer auf und ab gegangen, den Rhythmus der Worte einfangend. Die intuitive Freiheit der Interpretation ist der Schlüssel zum Text, und das berührt im Grunde auch die vielen Märsche. Sie wirken oft deutsch, müssen es aber nicht sein.

Weil nicht jede Note betont und ausartikuliert wird, sondern mit einem Legato verbunden - ähnlich wie bei den berühmt-berüchtigten Um-Pa-Begleitungen bei Verdi?
Exakt! Man muss die Noten untereinander kohärent verbinden und eben nicht einzeln trennen. Gleichzeitig entwickeln bei Berlioz die Rubati einen ähnlichen Charme wie bei Georges Bizet, Jacques Offenbach oder Jules Massenet. Auch da muss man nichts forcieren, es kommt einfach. Das ist eine Magie, wie man sie aus der französischen Musik kennt.

"Les Troyens" im Nationaltheater.
"Les Troyens" im Nationaltheater. © Wilfried Hösl

Oftmals wird der erste Teil der "Trojaner" dem Gluck-Stil zugeschrieben, der zweite hingegen der französischen Grand opéra. Ist das also zu einfach?
Für mich ist der erste Teil ein Mysterium. Das Schönste im ersten Akt ist die Pantomime mit der Klarinette: wie der zweite Satz aus einem Klarinetten-Konzert. Die Zeit hält hier buchstäblich inne. Ist diese Musik gluckähnlich? Nein! Das ist tiefste Romantik. Die Oper beginnt zudem ohne Streicher, jedenfalls zupfen sie nur Pizzicati. Andernorts reicht die Instrumentation über Wagner hinaus. Wo ist da Gluck?

"Das ist genial und doch so einfach"

Und wo ist die Grand opéra?
Vielleicht bin ich ignorant, aber mir fallen keine Schubladen oder Etiketten ein. Diese Oper knüpft an viele unterschiedliche Traditionen an und nimmt gleichzeitig andere vorweg. Sie steht irgendwie dazwischen. Es gibt sogar Passagen im Chor im mittelalterlichen lydischen Modus. Das ist genial und doch so einfach. Wir wissen, dass das Einfachste auch das Schwerste ist. Manche Dirigenten wissen bravourös, wie sie sich bei Puccini oder Wagner retten, um bei Bellini oder Donizetti jäh zu scheitern.

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Wurden Sie deshalb von Serge Dorny als Erster Gastdirigent an der Bayerischen Staatsoper installiert, um hier Abhilfe zu schaffen?
Das sollten Sie ihn fragen, aber was ich sagen kann: An diesem Haus eine Premiere pro Saison zu leiten, ist schon allein eine große Ehre. Wenn ich überdies behilflich sein kann im italienischen Repertoire, mache ich das sehr gerne.

Zumal es selbst im italophilen München ein gewaltiges Problem mit der Italianità in der Musik gibt?
Jedenfalls soll es jedes Jahr drei italienische Werke geben, und mit der Zeit werden auch mehr französische Opern hinzukommen. In einem Repertoire-Betrieb wie hier und mit einem Orchester wie diesem, das die Breite des Repertoires beherrscht, möchte ich eine Farblichkeit und Klanglichkeit hinzufügen. Das ist die Idee.


Premiere am 9. Mai, 17 Uhr, im Nationaltheater. Auch am 14., 21., 26. und 29. Mai sowie am 6. und 10. Juli. Karten: staatsoper.de

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  • Elisa am 10.05.2022 12:02 Uhr / Bewertung:

    "Das gleicht einer Kalaschnikow der Artikulation, fast schon teutonisch-deutsch. ...Bei einer Riesen-Partitur mit 52 Musiknummern würde in Italien ein totales Chaos drohen." Wie gut, dass dieser Dirigent keine Vorurteile hat - und die auch noch in seinem Beruf pflegt. Und der Interviewer haut in dieselbe Kerbe: "Zumal es selbst im italophilen München ein gewaltiges Problem mit der Italianità in der Musik gibt?" Oh. Mei. Da werden immer noch die ganz uralten Hüte gepflegt: Die deutsche Sprache klingt wie eine Kalaschnikow (und das auch noch in den Zeiten des Ukraine-Kriegs. Geht es noch ein bisschen unsensibler, werte angeblich so sensible Künsternatur?). Und musikalisch Italianità zu verströmen, ist uns unmöglich. Und das zu Zeiten, in denen sämtliche Orchester von Rang seit vielen Jahren nicht nur teutonisch, sondern höchst international besetzt sind. Egal. Wir können nur ... Kalaschnikow.

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