Intendant der Bayerischen Staatsoper: Das Genre Oper weiterentwickeln

Eröffnet wird die kommende Spielzeit mit dem Konzert "Oper für alle" in Rosenheim und einem Festwochenende in der Münchner Residenz. Die zweite gemeinsame Saison des Intendanten Serge Dorny und des Generalmusikdirektors Vladimir Jurowski steht unter dem Motto "Gesänge von Liebe und Krieg" und bringt Premieren von Monteverdi bis zur Gegenwart.

AZ: Herr Dorny, ehe die neue Spielzeit beginnt, muss die alte zu Ende gehen. Beeinträchtigt Corona weiter den laufenden Betrieb?
Serge Dorny: Im Zuschauerraum herrscht fast Normalität. Wir empfehlen, Maske zu tragen, aber das ist eine freie Entscheidung jedes einzelnen. Natürlich ist Corona noch Teil der Realität. Vor allem, wenn im künstlerischen Bereich wie im Chor oder beim Ballett, oder im technischen Bereich ein Fall auftritt, beeinflusst das den Proben- und Spielbetrieb. Auch die Proben für "Les Troyens" mussten immer wieder unterbrochen werden. Wir müssen vorsichtig bleiben.
Bayerische Staatsoper hat Verpflichtung, das Genre weiterzuentwickeln
Worum dreht sich das Festival "Ja, Mai", das in der zweiten Monatshälfte beginnt?
Institutionen wie die Bayerische Staatsoper haben eine Verpflichtung, sich um Werke zu kümmern, die heute geschrieben werden und das Genre Oper weiterzuentwickeln. Meiner Ansicht nach sind wir nur dann berechtigt, die Werke der Vergangenheit zu nutzen, wenn wir uns um die Zukunft kümmern. Das ist auch die Idee hinter der Verknüpfung von Claudio Monteverdi mit drei Werken von Georg Friedrich Haas.
Letztendlich kommen aber nur zwei Haas-Opern.
Die Partitur von "Koma" ist sehr anspruchsvoll. Es war nicht sicher, ob es unter den gegenwärtigen Umständen gewährleistet gewesen wäre, dass das Orchester MusicAeterna für den notwendigen Zeitraum von Russland nach Deutschland hätte kommen können. Daher haben wir das Projekt leider auf die übernächste Spielzeit verschieben müssen. Ein Konzert kann man kurzfristig absagen, eine Oper nicht.
Intendant Dorny: "Krieg und Liebe begleiten die Menschheit seit Anbeginn"
Zeitgleich mit "Ja, Mai" findet die städtische Musiktheater-Biennale statt. Wäre da nicht eine Zusammenarbeit sinnvoll, wenn Sie ohnehin mit den Premieren in die Kammerspiele und ins Volkstheater gehen?
Ich habe mit den Kolleginnen und Kollegen der Biennale sehr früh über meine Planungen gesprochen. Die Biennale hat eigene künstlerische Leitlinien, wir ergänzen uns aber gegenseitig. Die Bayerische Staatsoper wird jedoch versuchen, "Ja Mai" in den kommenden Jahren ein wenig vorzuverlegen.
Reagieren Sie mit dem Spielzeitmotto "Gesänge von Krieg und Liebe" auf die aktuelle Entwicklung?
Nein, unser Schwerpunkt steht seit 2018 fest. Krieg und Liebe begleiten die Menschheit seit Anbeginn der Zeiten. Der Krieg in seinen verschiedensten Dimensionen hat die Erde nie verlassen, wir sind gerade dabei, uns dessen wieder bewusst zu werden. Und auch die Liebe in ihren vielen Schattierungen begleitet jeden einzelnen Menschen. Den Dynamiken dieser beiden Themenkreise, die stärker miteinander verschränkt sind als man vielleicht zunächst erst einmal denken würde, möchte ich mich in der kommenden Spielzeit zuwenden.
Diesmal gibt es eher bekannte Werke, darunter eine neue "Aida", inszeniert von Damiano Michieletto.
Wir haben in der vergangenen Spielzeit eher selten gespielte Werke herausgebracht, die sich aus vielfältigen Perspektiven mit dem Thema "Jeder Mensch ein König" auseinandersetzen, und haben darüber das Repertoire des Hauses geöffnet und erweitert. Es geht mir darum, mit Kunst und Musiktheater dazu einzuladen, über aktuelle Fragen, unsere Gegenwart und Zukunft, nachzudenken.
"Brett Dean komponiert sehr lebendige, farbenreiche Partituren"
Als erste Premiere kommt im Oktober Mozarts "Così fan tutte" heraus.
Das ist der Auftakt zu einem Da-Ponte-Zyklus. Benedikt Andrews ist nach einigen Inszenierungen an der Komischen Oper in Berlin in Richtung Film abgewandert. Ich möchte ihn zur Oper zurückholen. Christian Gerhaher singt den Don Alfonso, Vladimir Jurowski dirigiert. Er bringt in der neuen Spielzeit drei Werke aus sehr unterschiedlichen Epochen heraus, was seine musikalische und stilistische Bandbreite betont.
Jurowskis zweite Neuproduktion wird Sergej Prokofjews "Krieg und Frieden" nach dem Roman von Tolstoi sein.
Die Premiere findet am 5. März statt, dem gemeinsamen Todestag von Prokofjew und Stalin. Dmitri Tcherniakovs Inszenierung spielt im Säulensaal des Haus der Gewerkschaften, wo Lenin, Stalin und Breschnew vor ihrer Beisetzung aufgebahrt wurden. In diesem klassizistischen Raum fanden aber Konzerte und Parteitage statt.
Als dritte Premiere dirigiert der Generalmusikdirektor Brett Deans Oper "Hamlet".
Wir übernehmen die sehr erfolgreiche Uraufführung aus Glyndebourne. Vladimir Jurowski interessiert sich sehr für zeitgenössische Musik und ich kann jetzt schon sagen, dass wir bei Brett Dean eine Oper über Elisabeth I. und Maria Stuart in Auftrag gegeben haben.

Was interessiert Sie an der Musik von Brett Dean?
Brett Dean komponiert sehr lebendige, farbenreiche Partituren, von großer menschlicher Tiefe. Man merkt seiner Musik an, dass er lange als Orchestermusiker gearbeitet hat - er war Bratscher der Berliner Philharmoniker. Er schreibt wunderbar für Stimmen. "Hamlet" halte ich für eine dramaturgisch extrem klug gemachte Oper.
Corona-Folgen an der Staatsoper: "Wir werden uns finanziell breiter aufstellen müssen"
Außerdem gibt es einen neuen Wagner: "Lohengrin", inszeniert von Kornél Mundruczo.
Francois-Xavier Roth, den ich für einen sehr spannenden und am Klang interessierten Dirigenten halte, übernimmt die musikalische Leitung, Marlis Petersen macht ihre erste Elsa.
Klaus Florian Vogt als Lohengrin finde ich - offen gesagt- weniger originell.
Es ist eine seiner besten Rollen. Klaus Florian Vogt ist ein Künstler, der hier ans Haus gehört.
Wieso kombinieren Sie Purcells "Dido and Aeneas" mit Schönbergs "Erwartung"?
In beiden Werken spielt das Warten eine große Rolle. Und das passt zu der Zeitenwende und zum schwebenden Zustand zwischen verschiedenen Epochen, den wir gegenwärtig erleben. Die fundamentale Verunsicherung der beiden Frauenfiguren ist eine weitere Gemeinsamkeit. Inszenieren wird Krzysztof Warlikowski, der Dirigent Andrew Manze leitet seine erste Oper.
Haben wir noch eine Neuinszenierung vergessen?
Als zweite Premiere der Opernfestspiele bringen wir Händels "Semele" szenisch heraus. Dieses Oratorium stellt die Frage: Kann man jemanden Lieben mehr als sich selbst. Das ist der Kern unseres Spielzeitthemas. Das Festival "Ja, Mai" verbindet Musik von Monteverdi mit zwei Opern von Toshio Hosokawa, die vom No-Theater beeinflusst sind. Das Opernstudio spielt Monteverdis "Il ritorno d'Ulisse in patria" in einer Inszenierung von Christoper Rüping, der viel an den Kammerspielen gearbeitet hat.
Corona hat ein Loch in der Kasse hinterlassen, die Stadt München hat ihren seit Jahrzehnten üblichen Zuschuss von 4,9 Millionen Euro zum staatlichen Etat gestrichen, weitere Kürzungen in den Kulturetats werden befürchtet. Wie rüsten Sie sich dagegen?
Wir werden uns finanziell breiter aufstellen müssen und machen auch mehr Koproduktionen. Ich hatte gute Gespräche mit dem OB Dieter Reiter und Bürgermeisterin Katrin Habenschaden über den städtischen Zuschuss. Außerdem müssen wir darüber diskutieren, was unser Kerngeschäft ist. Derzeit finanzieren wir die Nachwuchsarbeit nicht aus dem fixen Etat, sondern über Sponsoren. Sind unsere Nachwuchsarbeit und das Programm "Kind und Co." kein Kerngeschäft? Ist Digitales kein Kerngeschäft? Diese Debatte müssen wir führen, um der Bayerischen Staatsoper eine vielversprechende Zukunft zu geben.