Charlie-Watts-Biografie: Rockstar wider Willen

Paul Sexton hat eine Biografie über den Stones-Drummer Charlie Watts geschrieben.
Dominik Petzold
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Charlie Watts, Schlagzeuger der Rolling Stones, und seine Frau Shirley bei einer Pferdeauktion.
Charlie Watts, Schlagzeuger der Rolling Stones, und seine Frau Shirley bei einer Pferdeauktion. © picture alliance/dpa/PAP/epa

Hätte man diesen Charlie Watts erfunden, so schreibt sein Biograf, würde einem keiner glauben. Derart exzentrisch und eigen war der Schlagzeuger der Rolling Stones, zugleich aber auch so freundlich, bescheiden und uneitel, wie es bei lebenslang gefeierten Rockstars kaum denkbar erscheint. Und Paul Sexton liefert in "Charlie's Good Tonight" 350 Seiten lang Anekdote um Anekdote, um all das zu beweisen.

Rolling Stones: Watts prognostizierte der Band keine große Zukunft

Der Musikjournalist hat die erste Biografie des Musikers geschrieben. Der war 1941 als Sohn eines Londoner Lastwagenfahrers geboren worden und in einer liebevollen Familie aufgewachsen. Früh entdeckte er seine vielbeschriebene Liebe zum Jazz - wobei er vielseitig begeisterungsfähig war, wie Mick Jagger schon im Vorwort klarstellt, er mochte ebenso Klassik, Reggae, afrikanische Musik, Pop und Blues.

Mick Jagger (links), Charlie Watts und Keith Richards 1970 in Hamburg.
Mick Jagger (links), Charlie Watts und Keith Richards 1970 in Hamburg. © picture alliance/dpa

Und so gab er 1962 dem hartnäckigen Werben einer blutjungen bluesbegeisterten Band namens Rolling Stones nach. Um ihn zu überzeugen, musste diese erst einen regelmäßigen Gig an Land ziehen, sodass sich der in der Londoner Szene gut etablierte Schlagzeuger nicht allzu sehr verschlechterte. Watts räumte der Band aber ohnehin höchstens eine Lebensdauer von einem Jahr ein.

Charlie Watts: Größere Wendepunkte gab es kaum in seinem Leben

Er blieb dann 59 Jahre, bis zu seinem Tod im August 2021, neben dem Trommeln brachte sich der gelernte Grafiker bei visuellen Fragen ein, ob es um das Zungenlogo oder die gigantischen Bühnenbauten ging.

Ebenso langlebig war seine 1964 geschlossene Ehe mit Shirley, die vor wenigen Tagen im Alter von 84 Jahren gestorben ist. Mit ihrer Tochter Seraphina, später mit Enkeltochter Charlotte, führten sie ein skandalfreies, nach allen Schilderungen sehr glückliches Familienleben. Größere Wendepunkte gab es kaum in diesem Leben, und laut dem ersten Stones-Manager Andrew Loog Oldham sei Watts bei ihrem letzten Treffen 2005 exakt der gleiche Mann gewesen wie Anfang der Sechziger.

Biografie liefert eher Oberflächliches von Watts' Tochter und Enkeltochter

Eine derart lineare Lebensgeschichte ist für einen Biografen natürlich ungünstig - doch umso enttäuschender ist, wie wenig Sexton aus dem einen großen Ausreißer zu machen wusste: Von den Exzessen der Stones hatte sich Charlie Watts weitgehend ferngehalten, doch als die schon in der Vergangenheit lagen, fing er Mitte der Achtziger mit dem Heroin an, mit Mitte vierzig.

Sexton weiß dieses biografische Rätsel nicht zu erhellen, und wie Ehefrau und Teenagertochter mit dem plötzlichen Junkie-Vater auskamen, bleibt ebenso unbeleuchtet. In der autorisierten Biografie erfährt man ohnehin eher Oberflächliches von Tochter und Enkeltochter, Ehefrau Shirley hatte gar nicht mit dem Autor gesprochen.

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Das Buch hat weitere große Lücken. Kurz vor seinem Einstieg bei den Stones hatte Watts ein Grafik-Angebot angenommen - und zog nach Dänemark: Darüber schreibt Sexton genau zwei Sätze. Diese Erzählung einer Lebensgeschichte überzeugt also nur bedingt, zumal der Autor auch keinen tiefen Blick ins Seelenleben seines ruhig-reservierten, distanzierten Protagonisten werfen konnte, obgleich dieser öfters mit ihm gesprochen hatte.

Charlie Watts: Das Getue um Rockstars bleibt ihm ein Rätsel

Dennoch ist die Biografie lesenswert. Denn Sexton breitet die liebenswürdigen Schrullen des Charlie Watts auf unterhaltsame Weise aus. Der sammelte Autos, obwohl er keinen Führerschein hatte; bevorzugte die Gesellschaft von Hunden; räumte zwanghaft auf, sodass seine Enkelin ihn aus der Fassung bringen konnte, indem sie farblich sortierte Socken neu anordnete; bügelte sich selbst die Hosen, bevor er im Hyde Park vor mehreren hunderttausend Leuten auftrat.

Das Getue um Rockstars blieb ihm ohnehin ein Rätsel. Als das Mitglied einer Coverband ihn unbekannterweise zu einer Feier einlud, schrieb Watts ihm einen Brief, sagte aus Termingründen ab und fügte hinzu: "Den Rollin' Clones wünsche ich jeden nur erdenklichen Erfolg. Mit freundlichen Grüßen, Charlie Watts, Drummer, Rolling Stones".

Charlie Watts: Sein Haus war halb Museum, halb Kleiderschrank

Sein Hobby war das Sammeln, er hortete alte Waffen, Buch-Erstausgaben oder Jazz-Programmhefte, und legendär ist seine Begeisterung für feinen Zwirn. Sein Haus war halb Museum, halb Kleiderschrank, und beides kam zusammen, als er Anzüge von Edward VIII. kaufte, dem britischen König, der 1936 abgedankt hatte: Watts wollte eigentlich nur die Stoffe befühlen und eventuell die Anzüge nachmachen lassen, stellte dann aber fest, dass sie ihm haargenau passten. Von da an steigerte er bei Auktionen auf Kleidung des Königs, der mit ihm Stilempfinden und Konfektionsgröße teilte.

Watts war aber auch anderen gegenüber extrem großzügig: Für die Pferdezucht seiner Frau Shirley kaufte er zahllose teure Exemplare, unter anderem einen Araberhengst aus Australien für 740.000 Dollar, und seinen Freunden machte er ständig wertvolle Geschenke, insbesondere Bill Wyman. Der war 1993 bei den Stones ausgestiegen, also genau vor der ersten der vielen Tourneen, mit denen sie unfassbare Summen verdienten. Das tat Watts so leid, dass er seinem archäologisch interessierten Freund regelmäßig Dinge schenkte, die dieser sich nicht hätte leisten können: etwa ein guterhaltenes Bronzezeit-Schwert aus dem Jahr 1000 vor Christus.

Charlie Watts hörte sich die Stones-Alben nicht an

Das eigene historische Vermächtnis war ihm dagegen vollkommen gleichgültig. Er hörte noch nicht mal die Alben der Stones an, anders als seine Frau: "Sie ist ein großer Stones-Fan. Ich nicht. Es ist mein Beruf. Mick, Keith und Ronnie sind meine Freunde, es ist eine sehr gute Band, aber das war's auch schon."


Paul Sexton: Charlie's Good Tonight (Ullstein, 384 Seiten, 24,99 Euro)

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