"Night of the Proms": Ungebrochene Lust am Da-Capo!
München - Die Olympiahalle birst vor Menschen, fast alles alteingesessene Profis der "Night of the Proms". Ich bin gefühlt der einzig Neue und betrachte den Abend wie aus den Augen eines neugierigen Kindes.
Kein Merchandise
Einer alten Gewohnheit folgend suche ich erst einmal den Merchandise-Stand, um zu sehen, welche Souvenirs Fans dort erwerben können – und würde mich dabei nicht ausnehmen – Weihnachten im Blick. Doch es gibt keinen Stand. Keine T-Shirts von Kool & The Gang, keine Kaffeetassen von Nik Kershaw. Hm.
Autogrammkarten von Radiomoderatoren
Mein Blick schweift: Da! Ein Stand von Bayern 1! Die sponsern, glaub' ich, den Abend. Ich schlendere hin und entdecke einen Postkartenständer mit bereits signierten Autogrammkarten: von BR-Radiomoderatoren! Nach ein paar Augenblicken Bedenkzeit frage ich die netten Mitarbeiterinnen, ob ich mir welche nehmen darf. Sie bejahen und ich ergattere vier coole Exemplare von Susanne Rohrer, Jürgen Kaul, Tilmann Schöberl – und Markus Fahn, der den heutigen Abend moderieren wird.
Ich kaufe mir ein Bier und setze mich auf meinen Platz neben zwei Routinebesuchern. Auf dem Monitor werden die Night-of-the-Proms-Highlights der letzten Jahrzehnte gezeigt, wie Roger Hodgson, Chicaco und viele andere. Dann macht es Wumms! Und die Show beginnt.
Eröffnung mit einem Medley
Das Antwerp Philharmonic Orchestra unter der Leitung der brasilianischen Maestra Alexandra Arrieche (die aussieht wie eine Mischung aus Morticia Addams und Vampira aus den Ed Wood-Filmen) eröffnen mit einem Medley und dem "ungarischen Tanz" von Brahms. Markus Fahn macht ein paar locker-flockige Späße und stellt die freudenfunkensprühende Saxophonistin Yolanda Brown vor, die "How Deep Is Your Love" von der Boygroup Bee Gees, allerdings in einer Interpretation der Boygroup Take That, spielt.
Zwei Jahren Warten aufs Konzert
Fahn fragt ins Publikum, wer die Karten schon 2019 erworben hat und wer nach dieser extrem langen Wartezeit seine Tickets in Schubladen suchen, oder einfach nur den Magneten vom Kühlschrank lösen musste? Und wer schon damals wusste, mit wem man hingehen würde? Wie auf frischer Tat ertappt lacht das Publikum.
Vor Konzertbeginn waren rote, grüne, blaue und smartphoneweiße, batteriebetriebene Lichtlein ans Volk verteilt worden, die über den Abend verteilt, fleißig zum Einsatz gebracht werden. Es blinkt und funkelt im Hallenrund.
Putzige Scherze auf der Bühne
Im Hintergrund, auf der Leinwand, tanzen vorproduziert aufgekratzte Kinder herum, als Matt Simons "We Can Do Better" trällert. Der erzählt, wie cool er die Olympiahalle findet, auch wenn das Hineinfahren mit einem Automobil ungeahnte Hürden böte. Alle hier auf der Bühne machen putzige Scherze.
Wie eine Siebziger-Jahre-Fernsehshow
Ich fühle mich, als befände ich mich mitten in einer Siebziger-Jahre-Fernsehshow im Wohnzimmer meiner Großeltern, erst recht, als "An der schönen blauen Donau" von Johann Strauß Junior gespielt wird und plötzlich die Hälfte der Besucher walzertanzend durch die Halle schwoft.
Beispiellose Bob Marley-Interpration
Nach ein paar Liedchen von Carol Decker, der Stimme von "T'Pau", kommt wieder Mrs. Brown auf die Bühne und entführt die Zuhörerschaft mit einer beispiellosen Interpretation des Bob Marley-Klassikers "Is This Love" nach Jamaika, wo, wie sie sagt, immer die Sonne scheint und feinste Speisen kredenzt werden.
Erfolgreiches Konzept – seit 30 Jahren
Das Konzept der "Night of the Proms" funktioniert seit fast 30 Jahren. Mehrere Hochkaräter spielen in der Vorweihnachtszeit in den großen Konzerthallen der Republik. Der Ansturm ist gewaltig auf jene wohlchoreografierte Mischung aus Pop, Soul und Klassik, die durchaus reizvoll ist. Jeder Act hat nur kurz Zeit, doch nichts wirkt gehetzt oder lieblos. Im Gegenteil, die Veranstalter, Techniker und Künstler verstehen ihr Handwerk.
"Night of the Proms" statt "Wüsten-WM"
Gründliche Vorbereitung, gut einstudierte Moderationspassagen, flotte Übergänge, frische Musikanten, klarer Sound. Markus Fahn erklärt launig, wer denn eine "wahnsinnige Wüsten-WM" in Katar brauche, wenn es die "Night of the Proms" hier vor der Haustür gebe.
Donnernder Zwischenapplaus und eine perfekte Überleitung zu John Williams samt "Superman-March" und dezenter Animation, in der der beliebte Comic-Held in Schrittgeschwindigkeit durch die Milchstraße schwebt und Raum schafft für den nächsten, besinnlichen Programmpunkt: John Miles, ältestes Mitglied der Show, sozusagen der Gründungsvater, der aber vor etwa einem Jahr überraschend verstarb.
Tränen der Rührung
Mit moderner Tontechnik ist es gelungen, seine kraftvolle Stimme aus einer Live-Aufnahme herauszusampeln und den Sinatra-Song "My Way" live zum Orchester erklingen zu lassen. Ein wahrlich bewegender Moment, der noch gesteigert wird, als der sympathische Sohn John Miles Jr. das Podium betritt und Daddys größten Hit "Music" herzergreifend vorträgt: Tränen der Rührung in den Augen vieler.
Party-Stimmung in der Olympiahalle
Nach einer halbstündigen Pause geht die Party so richtig los. Die gewohnt ungekünstelt und absolut glaubwürdig rüberkommende Amy Macdonald trällert "Mr. Rock'n' Roll", gefolgt von einem Beethoven-Einspieler. Schließlich ballert Nik Kershaw seine drei Dauerkracher "The Riddle", "I'Wont Let the Sun Go Down on Me" und "Wouldn't It Be Good" raus: Die Halle tobt. Die kurzen rasanten Umbaupausen erinnern an ein Hans-Rosenthal-Geschwindigkeitsspiel in "Dalli Dalli".
Bombastische Disco-Atmosphäre
Der eindrucksvolle Abend endet mit "Kool & The Gang" und deren Hitfeuerwerk. Sämtliche Fans stehen, tanzen, juchzen und strahlen. "Cherish", "Ladies Night" und "Get Down on It" werden lässig dahergesoult, das Orchester unterstützt die bombastische Disco-Atmosphäre feierlich. Das Finale ist der Party-Evergreen "Celebration", wobei nochmals sämtliche Stars des Abends auf die Bühne gebeten werden.
Der Applaus will nicht enden. Im Erdgeschoss gibt es Tickets für die "Night of the Proms 2023" zu kaufen – vorraussichtlich coronafrei. Sie sind schon jetzt fast ausverkauft.
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- Johannes Brahms
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