Kritik

"Rockin' Rosie": Die Freiheit von vor 50 Jahren

"Rockin' Rosie" von Wolfgang Böhmer und Peter Lund auf der Studiobühne des Gärtnerplatztheaters.
Robert Braunmüller
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Erschöpft und doch zufrieden: Rosie (Dagmar Hellberg) am Ende ihrer turbulenten Geburtstagsparty.
Erschöpft und doch zufrieden: Rosie (Dagmar Hellberg) am Ende ihrer turbulenten Geburtstagsparty. © Jean-Marc Turmes

Der aus einem stadtbekannten Hit populäre Vorname und der Schauplatz einer Schwabinger Wohnung weckte gewisse Erwartungen. "Rockin' Rosie" von Wolfgang Böhmer (Musik) und Peter Lund (Text) hat aber ebensowenig mit der Spider Murphy Gang zu tun wie die Hauptfigur mit der Dame und ihrer Telefonnummer. Und das muss niemand bedauern, denn dafür gibt's auf der Studiobühne des Gärtnerplatztheaters ein höchst gelungenes Theaterstück mit Musik über das Älterwerden, das auch in jeder anderen größeren Stadt spielen könnte.

Rosemarie Murr, die ehemalige Sängerin einer mittelerfolgreichen Band, feiert ihren 70. Geburtstag. Dabei werden natürlich Erinnerungen an die (angeblich) große Freiheit von vor 50 Jahren wach, die vor allem der Altrocker Sir Toby (Frank Berg) auch im siebten Lebensjahrzehnt weiter kultiviert. Rasch entwickelt sich allerdings der ungeklärte Konflikt zwischen Rosie und ihrem Sohn zum Zentrum der Feier, und das relativiert die verklärende Nostalgie der älteren Herrschaften und ist auch für den Zuschauer aufregender als erzählte Erinnerungen.

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Dagmar Hellberg singt und spielt die Hauptfigur raumgreiend 

Peter Lund hat die Geschichte in Gesprächen mit den Darstellern entwickelt und das alles mit viel theaterpraktischem Gespür zu einer Zimmerschlacht über Lebenslügen sortiert, in der es sogar einmal zu einer perfekt naturalistischen Schlägerei kommt (Choreografie: Rita Barão Soares). Keine der Figuren ist perfekt, alle haben - wie in echten Familien - einen Knacks. Rosie hat ihre Familie vernachlässigt, ihr Sohn sucht nach seinem unbekannten Vater, und es scheint, als würden alte Traumata auch in der Enkelgeneration durchbrechen. Und niemand scheint jemals das Bild an der Wand aufzufallen, mit dem Rosie am Anfang und Ende des Musicals spricht.

- unter leichter Betonung der Großmütterlichkeit: ein reizvoller Kontrast zu Alexander Franzens aufgesetzt brustbehaarter Jugendlichkeit und der ewig blonden Band-Kollegin Ulicia (Frances Lucey), die ihren Krebs verdrängt. Frank Berg gelingen anrührende, stille Momente einer beginnenden Demenz, Erwin Windeggers Ex-Manager hat bei gutem Herzen auch Reste von Öligkeit behalten. Der keusche Neokonservative (Peter Austifter) streift zwar in seinen weißen Turnschuhen zum Anzug die Grenze zur Karikatur. Aber es bleiben harmlose Schrammen, ähnlich wie bei seiner Braut (Florine Schnitzel), die am Ende den Befreiungschlag wagt.

Dagmar Hellberg in "Rockin' Rosie"
Dagmar Hellberg in "Rockin' Rosie"

 "Rockin' Rosie" ist mehr Theaterstück mit Musik als ein Musical

Lund - der auch selbst Regisseur ist - hat einen Text geschrieben, der sich mehr oder weniger von selbst inszeniert. Nicole Claudia Weber bleibt das Verdienst, dies auch zugelassen und für eine runde Zimmertürenregie gesorgt zu haben. Rainer Sinells Bühnenbild enthält viele Kleinigkeiten, für die offenbar liebevollst Gebrauchtwarenkaufhäuser abgesucht wurden. Beim Betreten der Studiobühne durch Rosies Wohnung darf der Zuschauer das alles bewundern.

Am Rand der Spielfläche sitzt in einem mit Eierkartons ausgekleideten Probenraum eine historisch kostümierte Band. Wolfgang Böhmer sorgt für überwiegend klassische Rock-Balladen, die gut in die Handlung passen. "Rockin' Rosie" ist mehr Theaterstück mit Musik als ein Musical, ohne dass das groß stören würde. Die Aufführung beweist, dass Gebrauchsstücke mit reduziertem Anspruch oft besser gelingen als hochambitionierte Großprojekte. Und dass das Gärtnerplatztheater über eine Reihe exzellenter Charakterspieler verfügt, die hier ihre Qualitäten voll ausspielen dürfen.

Studiobühne, wieder am 14., 16., 18., 19. und 31. Dezember, 2., 7. und 8. Februar, nur noch wenige Restkarten

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