Personaldebatte über Aiwanger? Das sei töricht, sagt sein Minister Fabian Mehring
Er geht davon aus, dass die Freien Wähler in naher Zukunft im Bundestag sitzen werden ‒ warum, erklärt Fabian Mehring im Interview. Der 36-Jährige gehört seit Oktober 2018 als Abgeordneter der Freien Wähler dem Bayerischen Landtag an und war dort für seine Fraktion als Parlamentarischer Geschäftsführer tätig. Seit dem 8. November 2023 ist der promovierte Politikwissenschaftler bayerischer Staatsminister für Digitales.
AZ: Herr Mehring, war es eine Kampfansage an Ihren Vorsitzenden Hubert Aiwanger, als Sie bemerkten, eine Landwirtspartei mit harter Migrationspolitik reiche nicht aus?
FABIAN MEHRING: Keineswegs. Hubert ist unser Markenzeichen und Aushängeschild. Er ist der einzige Landespolitiker in ganz Deutschland, der im Bekanntheits- und Beliebtheitsranking vor den meisten Mitgliedern der Bundesregierung steht. Es wäre völlig töricht, eine Personaldebatte über Aiwanger zu führen. Ich halte auch die Wählerschaft, die er uns sichert, für existenziell für uns Freie Wähler. Dank dieser Stammwählerschaft im ländlichen Raum ereilt uns nie das Schicksal der FDP und wir fallen in der Landespolitik verlässlich nicht unter fünf Prozent. Wenn wir darüber hinaus wachsen und mittelfristig die zweite Volkspartei in Bayern werden wollen, müssen wir uns aber zusätzlich neue Wählerschichten erschließen.

Bayerischer Staatsminister für Digitales: Kein Aiwanger-Lager gegen ein Mehring-Lager
Aber Aiwanger als Person spricht nun mal das städtische Publikum wenig an. Eine große Wählerschicht kann nichts mit ihm anfangen...
Dafür können viele andere Menschen etwas mit ihm anfangen, die vielleicht mit meinem Profil nichts anfangen können. Wenn wir uns zur zweiten Volkspartei in Bayern entwickeln wollen, müssen wir die Partei des ländlichen Raums und der Landwirtschaft bleiben. Darüber hinaus müssen wir aber zusätzlich zur Heimat für junge Konservative werden, die es etwas moderner und progressiver wollen. Und vor allem sollten wir erste Anlaufstelle für all die Liberalen sein, die wegen des Ausscheidens der FDP keine politische Heimat mehr haben. Das bedeutet für mich nicht, ein Aiwanger-Lager gegen ein Mehring-Lager auszutauschen, sondern beides miteinander zu kombinieren. Ich will weder Hubert Aiwanger noch seine Anhänger ersetzen, sondern dieses Potenzial um ein paar neue Wählerschichten ergänzen. Mir geht es um eine Verbreiterung unseres thematischen Spektrums.
Gibt es denn da noch unbesetzte Nischen?
Ich finde, das bürgerlich-liberale Lager in Deutschland braucht insgesamt ein Update, und konservativ zu sein, muss in den Augen junger Menschen wieder cool werden, wenn wir nicht zwischen linken Ideologen und rechten Populisten zerrieben werden sollen. Meine Prognose ist, dass ein in vielerlei Hinsicht aus der Zeit gefallener Bundeskanzler Merz, mit seinem antiquierten Frauen- und Gesellschaftsbild, genau das nicht schaffen wird. Dadurch eröffnet sich ein Riesen-Potenzial für uns Freie Wähler. Wir sollten deshalb versuchen, die innovativen, modernen Konservativen zu werden, und den Anspruch haben, das bürgerliche Lager mit frischen Ideen wieder cool zu machen!

"Die Debatte finde ich eher amüsant"
War die Bundestagswahl vom vergangenen Sonntag die letzte für die Freien Wähler?
Im Gegenteil. Ich gehe fest davon aus, dass wir in naher Zukunft im Bundestag sitzen werden. Die Debatte, die unsere Koalitionspartner (die CSU ‒ d. Red.) gerade aufmachen, finde ich eher amüsant. Natürlich hätte die CSU ein paar Stimmen mehr bekommen, wenn wir Freien Wähler nicht angetreten wären. Mein Heimatfußballverein FC Augsburg wäre aber auch Deutscher Meister geworden, wenn zehn andere Vereine nicht angetreten wären. Es kann ja wohl kein ernsthaftes Argument unter Demokraten sein, das eigene Wahlergebnis damit zu rechtfertigen, dass andere Parteien sich erdreisten, ebenfalls an Wahlen teilzunehmen. Schließlich sind Freie Wähler und CSU zwar in Bayern starke Partner, aber wir FW sind keine Untergruppe der Union. Für mich ist es absurd, wenn die stolze CSU jetzt von sich aus den Eindruck erweckt, sie könne nur dann noch Wahlen gewinnen, wenn wir FW freiwillig nicht antreten. Da hätte ich bessere Tipps für unsere Partner.

Und die wären?
Wenn die CSU ihren deutlich beliebteren Parteichef Söder als Kanzlerkandidaten durchgebracht hätte, statt für den 1990er-Jahre-Politiker Friedrich Merz aus dem Sauerland werben zu müssen, wären die Schwarzen in Bayern vermutlich zehn Prozent stärker geworden. Fünf Prozent mehr hätte auch Merz holen können, wenn er sich seinen Wahlkampf-Flirt mit der AfD gespart hätte. Ihr eigenes Ergebnis verantwortet die Union also schon selbst.
Strategie war kein Selbstläufer
Ist Ihr Parteivorsitzender auch beschädigt, weil er nicht einmal ein Direktmandat in seinem Heimatkreis erringen konnte?
Ich finde nicht. Schließlich war doch für jeden in der Freie-Wähler-Welt von Beginn an klar, dass unsere Strategie mit den Direktmandaten zwar klappen kann, aber natürlich kein Selbstläufer ist. Für uns war diese Wahl auch keine Schicksalswahl. Deshalb wirft ihr Ausgang jetzt auch keine existenziellen Fragen auf. Wir sind eine Kommunal- und Bürgermeisterpartei und zweitstärkste Kraft in der bayerischen Landespolitik. Folgerichtig sind die wichtigen Wahlen für uns auch die Kommunal- und Landtagswahlen. Auch Hubert Aiwanger wusste natürlich vorher, dass seine Bundestagskandidatur keine "gmahde Wiesn" ist, wie man in Bayern sagt. Dazu, dass wir den Einzug in den Bundestag diesmal nicht geschafft haben, nehme ich folgerichtig in der Partei auch eine große Gelassenheit wahr.
Vielleicht sind die Schlauchboote ja Lotsenboote?
Die Freien Wähler bestehen ja nicht nur aus dem bayerischen Landesverband. Außerhalb Bayerns stehen nicht alle Freien Wähler einer erneuten Bundestagskandidatur offen gegenüber. Werden die denn noch einmal mitziehen?
Mit Sicherheit. Einige FW-Leute aus anderen Bundesländern, die jetzt glauben, uns beraten zu müssen, sollten erstmal mit der gesamten Partei und in ihrem ganzen Bundesland so viele Stimmen holen, wie Hubert Aiwanger als Einzelperson in einem einzigen Stimmkreis.
CSU-Chef Söder hat auf Ihre Bemerkung, die Freien Wähler sollten sich links der CSU positionieren, reagiert. Die CSU sei ein großes Schiff und solle mit zwei Schlauchbooten links und rechts in die Zange genommen werden. Ist da was dran?
Vielleicht sind die Schlauchboote ja Lotsenboote? Denken Sie daran, wie oft die Union bei der Atomkraft oder in der Asylpolitik in den letzten Jahren die Pferde gewechselt hat. Die letzte Pirouette von Merz zur Frage gemeinsamer Abstimmungen mit der AfD dauerte sogar nur wenige Wochen. Da kann es doch nur hilfreich sein, wenn links und rechts vom CSU-Dampfer je ein oranges Lotsenboot fährt, das den Kurs hält.