Interview

Ilse Aigner über Energiekrise: "Nicht abschalten oder abwürgen, was wir haben"

Landtagspräsidentin Ilse Aigner spricht im AZ-Interview unter anderem über die Energiekrise, den möglichen "XXL-Landtag" und die Wahl 2023.
Natalie Kettinger
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Der Landtag bekommt derzeit ein neues Glasdach über dem Plenarsaal. Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) zeigte vergangene Woche die Baustelle.
Der Landtag bekommt derzeit ein neues Glasdach über dem Plenarsaal. Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) zeigte vergangene Woche die Baustelle. © Sven Hoppe/dpa

München - AZ-Interview mit Ilse Aigner: Die 57-jährige CSU-Politikerin ist seit November 2018 Präsidentin des Bayerischen Landtags. Von 2013 bis 2018 war sie die stellvertretende Ministerpräsidentin Bayerns.

AZ: Frau Aigner, Russland hat die Ukraine überfallen, China bedrängt Taiwan und in den USA heißt der Präsident womöglich bald wieder Donald Trump. Ist Demokratie ein Auslaufmodell?
ILSE AIGNER: Nein. Sie ist die beste Staatsform, die es je gegeben hat. Ich bin überzeugt davon, dass gerade diese freiheitliche Einstellung – die Freiheit des Einzelnen, die Freiheit der Wirtschaft, die Freiheit der Presse – dazu beigetragen hat, dass wir uns in den letzten sieben Jahrzehnten so gut entwickelt haben. Aber wir erleben einen Kampf der Systeme.

Wie wird dieser Kampf ausgehen?
Ich hoffe gut für uns. Diese Auseinandersetzung hat dazu geführt, dass klar wird, dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist. Sie ist eine Gabe – aber auch eine ständige Aufgabe. Demokratie kann nur leben, wenn Demokratinnen und Demokraten für sie kämpfen.

Aigner: Kampf für die Demokratie an zwei Fronten

Gegen wen?
Es gibt zwei Fronten: Die Demokratie wird von innen angegriffen, was man während der Pandemie sehr stark gesehen hat. Und nun wird sie auch von außen attackiert. Putin geht es ja weniger um den Kampf gegen die Nato als vielmehr um seine Angst vor Freiheit und Demokratie. Insofern geht es auch gegen uns. Allerdings hat er sich verrechnet. Es ist das Gegenteil von dem eingetreten, was er sich wahrscheinlich gewünscht hat, nämlich, dass die demokratischen Kräfte auseinanderdriften: Die Nato wurde gestärkt und Länder, die vorher immer komplett neutral waren, wollen jetzt beitreten. Auch die Europäische Union ist enger zusammengerückt.

Der drohende Energie-Engpass birgt allerdings enorme Sprengkraft.
Ja, das ist eine Gefahr und wir haben deswegen jetzt große Herausforderungen zu bewältigen. Die Menschen haben Angst vor hohen Strompreisen und um ihre sichere Versorgung. Deshalb plädiere ich dafür, alle ideologischen Scheuklappen beiseite zu werfen und gemeinsam zu überlegen, wie wir über diesen Winter kommen. Dazu gehört, dass nicht abgeschaltet oder abgewürgt wird, was wir haben.

Was genau meinen Sie?
Zwei Beispiele: Bei uns in Bayern haben wir auch historisch bedingt viele Wasserkraftwerke. Da sollten die Bedingungen durch die Bundesregierung verschlechtert werden. Das wurde zum Glück wieder zurückgenommen. Wasserkraft ist schließlich eine dauerhaft laufende Energiequelle. Außerdem müssen wir uns zwingend über eine Verlängerung der Atomenergie unterhalten. Da geht es nicht um den Ausstieg vom Ausstieg, sondern darum, wie wir über den nächsten Winter kommen. Bei Olaf Scholz deutet sich in dieser Hinsicht ja eine gewisse Bewegung an. Bleibt zu hoffen, dass diese auch bei den Grünen ankommt.

Aigner über Streckbetrieb: "Müssen erst einmal über den Winter kommen"

Ist ein Weiterbetrieb rechtlich überhaupt machbar?
Die Gutachten, die uns vorliegen, sagen, dass es möglich ist. Es geht ja in erster Linie um einen Streckbetrieb.

Ministerpräsident Markus Söder will die Meiler bis 2024 laufen lassen. Das ist doch kein Streckbetrieb mehr.
Wir müssen erst einmal über den Winter kommen. Das ist mit Sicherheit mit den vorhandenen Brennstäben machbar. Dann könnte man mit neuen Brennstäben verlängern – aber die müsste man dann bestellen, in den USA, Kanada oder Schweden.

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Bayern stünde heute in puncto Strom nicht so schlecht da, wenn sich der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer und der damalige Heimatminister Söder nicht so vehement gegen "Südlink" und "Südostlink" gewehrt hätten. Die beiden wollten lieber mehr Gaskraftwerke. Sie waren eine Befürworterin der Trassen, mussten sich jedoch beugen. Mit welchen Gefühlen schauen Sie zurück?
Es war eine schwierige Zeit für mich als damalige bayerische Wirtschaftsministerin, die das System als gelernte Elektrotechnikerin verstanden hat: Wenn ich die großen Stromquellen abschalte, die Menge auf die Schnelle aber nicht ersetzen kann, brauche ich den Überschussstrom aus dem Norden und ein leistungsfähiges Stromnetz. Übrigens auch zum Transport unserer Sonnenenergie in den Norden. Ja: Wenn wir konsequenter gewesen wären, hätten wir jetzt mit Sicherheit etwas weniger Sorgen.

Selbiges gilt, hätte die Staatsregierung bei der Windkraft nicht jahrelang auf die 10H-Regel bestanden.
Ich bin mir nicht sicher, dass 10H wirklich das Haupthindernis gewesen ist. Jede Gemeinde kann ja planungsrechtlich unterhalb 10H eine Bebauung ermöglichen.  Es gab aber Naturschutzvorgaben, die nun verändert worden sind, und lange Genehmigungsprozesse. Hinzu kommt die Windhäufigkeit, die bei uns in manchen Regionen schlechter ist als andernorts – und auch Investoren rechnen.

Trotzdem ist die Zahl der Anträge für Windkraftanlagen nach Einführung der 10H-Regelung um 90 Prozent eingebrochen.
In Baden-Württemberg haben sie dieselbe Problematik – ohne 10H. Die haben trotz der grünen Regierung in den letzten Jahren auch nicht sonderlich viele Anlagen gebaut. Außerdem ist die Windenergie nur ein Baustein der Energiewende – bei allen anderen Erneuerbaren Energien sind wir in Bayern spitze.

Aigner: "Ich dusche jetzt disziplinierter"

Der Landtag wird nur noch auf 26 Grad gekühlt und soll im Winter nur mehr auf 20 Grad geheizt werden. Wie sparen Sie persönlich Energie?
Ich habe schon lange Lampen gegen LEDs ausgetauscht und zuhause komplett auf Photovoltaik und Solarthermie umgestellt. Allerdings brauche ich im Moment noch Gas als komplementäre Energie und hoffe, dass ich demnächst auf Fernwärme oder Gas aus einer nahegelegenen Biogasanlage umstellen kann. Außerdem dusche ich in der Tat jetzt disziplinierter.

Wie bewegt man die Menschen zum Mitmachen?
Ich glaube, dass mittlerweile jeder verstanden hat, dass Energie teurer wird. Deshalb liegt es schon im Eigeninteresse, Energie zu sparen. Jede Kilowattstunde, die ich nicht verbrauche, muss ich auch nicht bezahlen. Außerdem weiß inzwischen jeder, dass uns ein schwieriger Winter bevorstehen könnte und jeder einen Beitrag dazu leisten kann, das abzuwenden.

Kommuniziert die Bundesregierung in dieser Krise richtig? Nimmt Sie die Leute mit?
Sie bringen schon rüber, dass es dringlich ist. Aber sie halten sich mit Sachen auf, bei denen die Mehrheit der Bevölkerung schon viel weiter ist. Stichwort Atomenergie – da müssen die Grünen noch über ihren Schatten springen. Gerade ist die Gasumlage beschlossen worden, die den Bürgern Mehrkosten von bis zu 1.000 Euro bescheren wird, zusätzlich zum teuren Rohstoff.

Wie würden Sie die Menschen entlasten?
Ich würde vor allem keine Mehrwertsteuer auf die Umlage erheben und fände es gut, wenn die Ampel davon Abstand nimmt. Gut ist auch, dass die EEG-Umlage zum ersten Juli abgeschafft worden ist. Darüber hinaus muss man bei den Energiesteuern auf ein möglichst niedriges Niveau kommen – so niedrig, wie es mit Blick auf EU-Regeln eben möglich ist. Und die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel sollten wir generell auf sieben Prozent senken.

Aigner über den möglichen "XXL-Landtag" in Bayern

Der Landtag ist auf 180 Abgeordnete ausgelegt, droht aber 2023 auf 220 anzuwachsen – und damit mehr Geld zu kosten. Ist das in Zeiten von Sparsamkeits-Appellen nicht ein falsches Signal? Der Steuerzahlerbund übt Kritik, die FDP strebt ein Volksbegehren gegen den "XXL-Landtag" an.
Demokratie kostet Geld, aber umgerechnet auf jeden Einzelnen ist es gar nicht so viel. Aktuell zahlt jeder Bürger 13,30 Euro pro Jahr für den Landtag. Hinzu kommt: Nach dem Weltkrieg hatte Bayern acht Millionen Einwohner – und in etwa so viele Abgeordnete wie jetzt. Heute sind wir aber bei 13 Millionen Einwohnern. Außerdem geht es immer auch um die Frage der Repräsentanz der Menschen. Je größer die Stimmkreise werden, desto weniger können wir mit den Menschen in Kontakt treten. Was die FDP da betreibt, ist extrem populistisch.

Zu Ihrer Partei: Ist es als Frau in der CSU heute eigentlich leichter als früher?
Ja. Es ist zum Glück viel geschehen in den letzten Jahren, auch auf Betreiben der Frauen-Union. Aber ich bin bei zehn Bezirksverbänden weiterhin die einzige Vorsitzende – da haben wir noch Potenzial. Und auch, wenn die Quote nicht mein Lieblingsmittel ist: Sie wirkt. Durch sie haben wir Frauen in den höheren Ebenen der Partei mehr Präsenz. Ich war in meinem Bezirksverband übrigens so gut, dass ich zu viele Frauen im engeren Vorstand hatte und eine nicht mehr gewählt werden konnte.

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Der Vorsitzende hat die Parole ausgegeben, die CSU solle jünger und weiblicher werden. Trotzdem sind unter den 85 Landtagsabgeordneten nur 18 Frauen – und ihr Anteil im Kabinett sank mit jeder Regierungsumbildung auf aktuell vier. Was läuft da schief?
Unsere Mandate wurden nicht über die Liste, sondern ausschließlich über Stimmkreise errungen. Und da fällt die Entscheidung vor Ort. Zu versuchen, von oben etwas zu steuern, ist meist kontraproduktiv. Man kann nur versuchen, Frauen zu motivieren, anzutreten. Bei der Liste zur Europa-Wahl haben wir allerdings mit Erfolg auf ein Reißverschlussverfahren gesetzt, beim Bundestag auch – aber es ist leider niemand über die Liste reingekommen. Und bei Regierungsumbildungen werden auch mal andere Prioritäten gesetzt.

2023 wird der Landtag neu gewählt. Wie schwierig ist Wahlkampf in Krisenzeiten?
Sehr, weil niemand weiß, was in einem halben Jahr sein wird. Es gibt keine Prognosen, welche Themen dann aktuell sind – das haben uns die letzten Jahre gelehrt. Deshalb gilt es, einen klaren Kompass zu haben, ein Wertefundament, bei dem in meiner Partei das christliche Menschenbild im Vordergrund steht, die freiheitliche Grundordnung, Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit.

Welche Fehler von 2018 sollte man nicht wiederholen?
Der Wahlkampf war an sich gut, aber Streiten ist generell immer schwierig. Außerdem würde ich in der kritischen aktuellen Lage dazu raten, nicht auf Populismus zu setzen – etwa, indem man die Verkleinerung des Landtages fordert. Das trägt nicht zum besseren Verständnis von Politik bei, es spaltet eher.

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4 Kommentare
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  • Opa Alois am 10.08.2022 00:18 Uhr / Bewertung:

    So langsam kommen sie drauf, die Damen und Herren Pussis Politikerinnen, dass der Strom nicht aus der Steckdose, das Gas nicht aus dem Rohr und das Schnitzel nicht aus der Gefriertruhe kommen.

    Es braucht nicht nur Geschwätz, sondern es braucht Verstand und Arbeit und Leistung.

  • Leserin am 09.08.2022 12:19 Uhr / Bewertung:

    Seh ich da Söderdämmerung? So viel wie hetzt war Frau Eigner schon lange nicht mehr in den Medien. Das fällt einfach auf.

  • Fußball-Fan am 09.08.2022 11:18 Uhr / Bewertung:

    Lächerlich. Die CSU hat den Ausbau erneurrbarer Energien "abgewürgt" Kein Bundesland ist so von Putins Gas abhängig wie Bayern. Deshalb hört man von Söder auch kaum was.

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