Söders Bayern-Bashing-Klagen: "Egozentrik in Krisenzeiten ist immer schädlich"
München - AZ-Interview mit Heinrich Oberreuter: Der Politologe (79) ist Direktor des Instituts für Journalistenausbildung in Passau und lehrte unter anderem in Eichstätt, Dresden und München.
AZ: Herr Professor Oberreuter, hat das "Berlin-Bashing", das CSU-Chef und Ministerpräsident Markus Söder seit geraumer Zeit betreibt, seine Berechtigung?
HEINRICH OBERREUTER: In gewisser Hinsicht ist Berlin- oder Bundes-Bashing für die CSU als bayerische Partei immer berechtigt. Ihre Reputation beruht ganz wesentlich darauf, dass sie bayerische Interessen im Bund zur Geltung bringt. Da die CSU an der jetzigen Regierung nicht beteiligt ist und in dieser Bundesregierung auch kein Bayer ein herausgehobenes Amt innehat, ist der Versuch, bayerische Akzente zu setzen, grundsätzlich von strategischer Bedeutsamkeit.

"Es wird schon berechtigte Interessen geben"
Wird es gegenwärtig übertrieben?
Aufgrund der geografischen Gegebenheiten und der Abhängigkeiten, die in der vorherigen Regierungsperiode im Bund - an der die CSU ja beteiligt war - geschaffen worden sind, ist die süddeutsche Energieversorgung herausgeforderter als im Rest der Republik. Insofern wird man schon berechtigte Interessen identifizieren können.
Aber besonders in Krisenzeiten schätzen die Deutschen doch keinen Parteienstreit.
Man muss sorgfältig abwägen können zwischen nachvollziehbaren Interessen und den Argumenten, die der politischen Strategie geschuldet sind. Dass man da schwer Grenzziehungen vornehmen kann, ist klar. Das ist für Söder aber nicht bedeutsam: Auch in Krisenzeiten ist es für den innerbayerischen Hausgebrauch nicht falsch, diese Positionen zu beziehen. Für den bundesdeutschen Hausgebrauch ist es durchaus nicht nützlich. Man sieht es ja an den Reaktionen aus dem nichtbayerischen Bereich, die den Bayern vorhalten, dass sie ein bisschen spinnen. Man wird eben überregional nicht so ernst genommen, wie man ernst genommen werden müsste, weil auch ernsthafte Einwände unter Egozentrik abgebucht werden. Egozentrik in Krisenzeiten ist natürlich immer schädlich.
"Als kluger Politiker muss ich mich immer situationsangepasst positionieren"
Bedeutet dies, dass Söder nun wirklich bundespolitische Ambitionen abgeschrieben hat, weil es ihm egal ist, welches Bild er beispielsweise in Norddeutschland abgibt?
Gegenwärtig sind Söders Bundesambitionen vorbei. Die andere Frage ist: Was sagt Söder, wenn die bayerische Landtagswahl glanzvoll für die CSU ausfallen sollte und die CDU Schwierigkeiten hat, klare Linie zu beziehen und Koalitionspartner zu finden, oder wenn die Krisensituation sich noch weiter zuspitzt? Oder wenn in Berlin Koalitionskrisen und Koalitionszerfall dazukommen, was ja auch nicht auszuschließen ist? Was ist die Position dann? Er wird immer sagen, was kümmert mich mein Geschwätz von gestern? Als kluger Politiker muss ich mich immer situationsangepasst positionieren. Was Söder jetzt über bundespolitische Ambitionen sagt, ist zutreffend für den Jetzt-Zustand, aber keine verlässliche Prognose für die nächsten zwei, drei Jahre.
Bleibt in Bayern die "Mehrheit jenseits der CSU" ein Traum der Opposition?
An eine Vierer-Koalition mit Grünen, SPD und FDP in Anlehnung an 1954 bis 1957 kann man sich eigentlich schwer gewöhnen. Davon wird man die Freien Wähler nicht überzeugen können.
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