"Er ist noch nie negativ aufgefallen": Mitarbeiter in Bayern fassungslos über Abschiebung ihres Kollegen

Odomero Godstime Otegu (26) aus Nigeria soll bald abgeschoben werden. In seiner Firma in Ingolstadt, bei der er seit fast vier Jahren arbeitet, will man das verhindern.
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Abgelehnte Asylbewerber werden in ein Flugzeug gebracht (Archiv).
Abgelehnte Asylbewerber werden in ein Flugzeug gebracht (Archiv). © Daniel Maurer/dpa

Ingolstadt - Wird er seinen Geburtstag am 9. April in Abschiebehaft verbringen? Und wenige Tage später im Flieger nach Nigeria sitzen? Das befürchten seine Kolleginnen und Kollegen bei Runtime Packaging in Ingolstadt und versuchen, das in letzter Minute zu verhindern: Ihr langjähriger Kollege Odomero Godstime Otegu soll bleiben dürfen. Zusammen mit Verdi und dem bayerischen Flüchtlingsrat setzen sie sich gegen die Abschiebung des bald 27-Jährigen ein. Laut einer Mitteilung der Gewerkschaft ersucht der Nigerianer seit November 2017 Asyl in Deutschland.

Nigerianer arbeitet seit vier Jahren in Bayern:  "Er ist beliebt, weil er immer am Strahlen ist"

Seit fast vier Jahren sei er bei dem Ingolstädter Logistik-Dienstleiter tätig. Als Verpacker, wie Katja Hirschböck der AZ sagt. Sie ist die Betriebsratsvorsitzende und hat ihn am Mittwoch besucht. Sie sagt über Otegu: "Er ist beliebt, weil er immer am Strahlen ist. Wir kennen ihn als Sunnyboy, jetzt war er ein Häufchen Elend. Wir wollen ihn so schnell wie möglich da rauskriegen."

Sie hat nur Gutes über den jungen Kollegen zu berichten und gar nichts, was aus ihrer Sicht gegen den Aufenthalt in Deutschland sprechen könnte: "Er war nicht straffällig, er ist ein integrer junger Mann, der seit vier Jahren bei uns im Unternehmen arbeitet, sich nichts zu schulden hat kommen lassen, sich an Regeln hält. Er ist noch nie negativ aufgefallen." Warum sein Asylantrag abgelehnt wurde, weiß Hirschböck bisher noch nicht.

Seine Kolleginnen und Kollegen beziehen klar Stellung für Odomero Godstime Otegu.
Seine Kolleginnen und Kollegen beziehen klar Stellung für Odomero Godstime Otegu. © Verdi/Hirschböck

Unternehmen ist froh über Otegu:  "Wir suchen Fachkräfte. Er ist angelernt, hat bei uns Deutsch gelernt"

Den Angaben der Gewerkschaft Verdi zufolge soll Otegu am 15. April von den Behörden abgeschoben werden. Seit 28. März sitze er in der Abschiebehaftanstalt Eichstätt. Für Hirschböck ist einerseits unverständlich, warum man einen integrierten, arbeitswilligen Menschen abschieben sollte: "Wir suchen Fachkräfte. Er ist angelernt, hat bei uns Deutsch gelernt. Da verlässt uns eine erfahrene Fachkraft." In der Branche Lager und Logistik sei es momentan zudem schwierig, Personal zu bekommen.

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Andererseits sei es für sie überwältigend, wie die Kolleginnen und Kollegen nun zusammenhielten, um das Schicksal des jungen Mannes aufzuhalten. "Er liegt uns sehr am Herzen, er ist ein lieber Kollege. Viele haben sich auch angefreundet." In dem Unternehmen herrsche ein familiärer Umgang, schildert sie. "Das schmerzt, wenn ein Kollege, den man liebgewonnen hat, plötzlich ins Ungewisse geschickt wird." Er habe Angst, fürchte um sein Leben, wenn er zurückgeht. So schildert sie ein Gespräch mit ihm.

Otegu wäre in seiner Heimat Gefahren ausgesetzt: "Eine Abschiebung müssen wir mit aller Kraft gemeinsam verhindern"

Luise Klemens, Landesbezirksleiterin bei Verdi Bayern, beschreibt die Situation in der Mitteilung - diese verbreitet auch der Flüchtlingsrat – so: "Seine Rückkehr nach Nigeria würde ihn nicht nur seiner Lebensgrundlage berauben, sondern ihn auch ernsthaften Gefahren aussetzen, da er aufgrund seines politischen Engagements in seiner Heimat verfolgt wurde. Eine Abschiebung müssen wir mit aller Kraft gemeinsam verhindern."

Auf der Seite des Auswärtigen Amtes heißt es über das westafrikanische Land Nigeria unter anderem: "Es besteht ein erhöhtes allgemeines Risiko terroristischer oder krimineller Überfälle in nigerianischen Metropolen." Und weiter: "In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte können politischer, wirtschaftlicher, religiöser, gesellschaftlicher und/oder ethnischer Art sein." Vor Reisen in diverse Regionen wird gewarnt. Im kürzlichen "Transformationsindex" der Bertelsmann Stiftung, der die Demokratien in Entwicklungs- und Schwellenländern analysiert, gehört Nigeria zu den 25 "moderaten" Autokratien mit laut Stiftung autoritärer Herrschaft. Dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zufolge gehört es nicht zu den sogenannten Sicheren Herkunftsländern.

"Bayern ist Vorreiter im Bereich der Rückführungen"

Erst im vergangenen Oktober hatte Kanzler Olaf Scholz (SPD) den nigerianischen Präsidenten Bola Tinubu besucht. Eines der Themen: die Migrationszentren für Rückkehrer nach Nigeria ausbauen. Verdi und die Belegschaft haben sich nun im Fall Odomero Godstime Otegu an den Integrationsbeauftragten der Bayerischen Staatsregierung, Karl Straub, gewandt. Über 70 Kollegen unterzeichneten demnach die Petition, die Straub übersandt wurde.

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Verdi erinnert in dem Zusammenhang auch an den Koalitionsvertrag zwischen CSU und Freien Wählern. Darin heißt es: "Wir werden auf Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber dann verzichten, wenn ein fester Arbeitsplatz oder ein Ausbildungsvertrag besteht und keine Straftaten oder Gefährdungslagen vorliegen."Allerdings brüstet man sich darin auch: "Für rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber müssen Rückkehr oder Rückführung konsequent und zeitnah durchgesetzt werden. Bayern ist Vorreiter im Bereich der Rückführungen."

Integrationsbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung will sich um den Fall kümmern

Karl Straub teilt der AZ auf Anfrage am Freitag mit: "In meiner Funktion als Integrationsbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung dürfen sich Bürgerinnen und Bürger mit ihren Eingaben an mich wenden. So ist es auch im Fall des Odomero Godstime Otegu geschehen." Er versichert: "Selbstverständlich werde ich mich um den Fall intensiv kümmern und habe bereits die entsprechenden Akten, welche erfahrungsgemäß sehr umfangreich sind, angefordert, die mir jedoch zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vorliegen." Zu dem Fall könne er deswegen aktuell noch nichts berichten.

Weiter führt Straub aus, dass er grundsätzlich eine beratende Funktion habe, er könne über den Ausgang konkreter Fälle nicht eigenmächtig entscheiden. "Meine Empfehlungen werden jedoch durchaus gehört und ich versichere Ihnen, dass ich diese auf der Grundlage des vollständigen Inhalts des entsprechenden Abschnitts des Koalitionsvertrages und meiner persönlichen humanitären Überzeugungen vorbringen werde."

Auch das Innenministerium will sich zu dem Fall informieren und für mehr Auskünfte die Behörden vor Ort einbinden, jedoch werde dies bis Anfang der Woche dauern, heißt es auf Anfrage der AZ am Freitag.

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20 Kommentare
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  • Der Pipopax am 11.04.2024 13:03 Uhr / Bewertung:

    Das Durcheinander in den Köpfen, wenn es um dieses leidige Thema geht, ist schon zum Kopfschütteln.
    Der Mann wird ausgewiesen, weil er sich als Asylsuchender vorgestellt hat und nach (viel zu langer) Prüfung man festgestellt hat, dass es für ihn keinen Asylgrund gibt. Wir nehmen nicht Leute auf nur weil sie nett sind, keine Straftaten begehen und in der Lage sind einen Job auszuüben und eine Fremdsprache zu lernen. Denn das trifft auf über 2/3 der Menschheit zu. Wenn wir anfangen alle bleiben zu lassen, die ilegal einreisen und irgendeinen Grund vorgaukeln, nur weil sie ach so lieb sind, dann haben wir bald 160 Millionen EW statt 80 Millionen.

  • WolfgangS am 10.04.2024 20:31 Uhr / Bewertung:

    ... man kommt nicht umhin zu Denken: Hauptsache die, die nicht Arbeiten und "Geschäften" nachgehen dürfen bleiben ...

  • loewenhund am 10.04.2024 15:29 Uhr / Bewertung:

    hauptsache die straffälligen die dem staat auf der tasche liegen dürfen dableiben

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