AZ-Reporter berichtet: "Ohne die Hilfe könnten wir das nicht aushalten"
Der Passauer Journalisten Hubert Denk erzählt, wie seine Stadt mit den Verwüstungen umgeht. Der Blick aufs Haus war ein Schock": Ein Report zur Hochwasser-Lage in Passau
Passau - Ich bin Passauer von Geburt an. Ich habe schon überall gearbeitet, in Berlin, Frankfurt, München – aber Passau ist für mich die schönste Stadt der Welt. Jetzt sieht es hier aus wie in einem Endzeitfilm.
Ich bin nur eines von mehr als zehntausend Flutopfern und meine Geschichte ist sicher nicht die schlimmste. Trotzdem möchte ich sie erzählen: Weil ich Journalisten bin, weil ich Passau liebe und weil ich möchte, dass die Leute draußen wissen, wie es hier aussieht.
Der Schlamm steht vier Meter hoch
Das Hochwasser ist wieder gesunken. Hinterlassen hat es eine Mondlandschaft. Der Schlamm steht teilweise bis zu vier Meter hoch. In der Innstadt spucken die Häuser durchweichte Habseligkeiten aus, es riecht nach Öl und Moder. In der Lederergasse, dort wo der Kabarettist Sigi Zimmerschied wohnt, sind drei Öltanks geplatzt. 800 Liter Öl sind ausgelaufen, das Öl ist tief ins Gemäuer gezogen.
An jeder Ecke stehen Einsatzfahrzeuge. Auf den Straßen Soldaten, Feuerwehrleute und THW-Mitarbeiter – die Schuhe klobig von eingetrocknetem Schlamm. Der Schlick ist unglaublich zäh und schwer. Und er ist giftig, denn das Innwasser hat aus Kellern, Autos und Garagen viele Giftstoffe ausgespült: Benzin, Farben, Lacke.
Der erste Blick aufs Haus war ein Schock
Auf meiner fünfzehn Quadratmeter großen Terrasse haben wir zu zwölft geschlagene zwei Stunden gebraucht, um den gröbsten Schlamm wegzuschaufeln. Ein Eimer wiegt um die dreißig Kilo – so fest und dicht ist dieser elende Schlamm.
Trotz dieser kräftezehrenden Arbeit komme ich kaum zum Essen. Weil so viel zu tun ist, und weil mir das alles auf den Magen schlägt. Gestern habe ich am Rotkreuz-Zelt nur ein Würstl runtergebracht. Mehr ging nicht.
Der erste Blick auf mein Haus nach der Zwangsevakuierung war ein Schock. Mein Garten ist eine Schlammwüste. Brusthoch stand das Haus im Wasser – ich war entsetzt zu sehen, wie hoch es wirklich gestiegen ist.
Schränke und Tische sind durchgeweicht
Am Dienstag hatten mich die Rettungskräfte rausgeholt, mir sogar Schutzhaft angedroht – ich wollte ihnen nicht glauben, dass das Wasser so hoch steigen könnte. Doch sie haben Recht behalten.
Wir hatten zum Glück noch genug Zeit, viel Mobiliar nach oben zu stapeln. Trotzdem: In der Küche sind Geschirrspüler und Kühlschrank wahrscheinlich kaputt. Die Schränke und Tische im Büro sind durchgeweicht, in den unteren Schubladen ist nur noch Matsch.
Mein historisches Zeitungsarchiv mit Zeitungen aus der Zeit um 1900 – alles futsch. Der giftige Schlamm ist in die Holzböden gezogen, die werde ich rausreißen müssen. Dass ich erst vor kurzem neu renoviert habe – geschenkt.
Alle Informationen zum Hochwasser finden Sie auf unserer Flut-Themenseite
Das Wirtschaftsleben ist kollabiert
Meine Vermieterin habe ich gestern zum ersten Mal wieder erreicht: Ihr Haus ist bis zum Dach vollgelaufen, sie lebt jetzt erstmal im Hotel.
Es gibt so viele Passauer, die noch mehr verloren haben: Die Ladenbesitzer, die Gastwirtschaften, die Bäcker, die Handwerksbetriebe. Sie stehen alle vor dem Ruin.
Das Wirtschaftsleben in der Stadt ist praktisch über Nacht kollabiert. Ich habe sogar gehört, dass schöne alte Häuser in ihrer Statik bedroht sind und vielleicht abgerissen werden müssen. Diese Flut wird in Passau Narben hinterlassen.
Die Solidarität ist enorm
Wir könnten das alles nicht aushalten, wäre nicht die Hilfsbereitschaft der Menschen. Wildfremde kommen vorbei und schaufeln mit mir den Schlamm von der Terrasse.
Hunderte Passauer Studenten treffen sich jeden Morgen um 10 Uhr auf dem Kirchplatz und ziehen gruppenweise mit Schaufeln und Gummistiefeln los. Nachbarn bringen Kuchen und Suppe ans Rotkreuz-Zelt.
Das sind bewegende Momente. Surreale Momente.
Vor meinem Haus ist jetzt eine Art Sanddüne. Der Inn hat sie dort aufgetürmt, ein abgesoffenes Auto steckt zur Hälfte drin. Auf diese Sandbank haben wir uns gestern Abend gesetzt. Mit schlammigen Schuhen und ein paar Flaschen warmem Bier. Über Passau ging langsam die Sonne unter. Ich liebe diese Stadt.
Protokoll: Annette Zoch
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